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# taz.de -- ZDFneo Serie „Chabos“: Mitten ins Millennial-Gedächtnis
> Zwischen Trash-Nostalgie und Erinnerungsschmerz: Mit „Chabos“ gelingt dem
> ZDF eine präzise Serie über das Erwachsenwerden im Deutschland der
> 2000er.
Bild: Peppi (Nico Marischka, r.), PD (Jonathan Kriener, l.), Alba (Loran Alhasa…
Roh, schonungslos ehrlich und direkt: So geben sich viele „Coming of
Age“-Serien spätestens seit dem Überraschungserfolg der britischen
TV-Produktion „Skins“, die ab 2007 den Ton für eine neue Generation von
Jugenddramen setzte.
Doch was seither als radikaler Zugriff auf das wahre Lebensgefühl von
Heranwachsenden verkauft wird, ist oft kaum mehr als ein kluger Kniff, um
Dringlichkeit zu suggerieren – und explizite Bilder zu legitimieren. Nicht
selten für ein Publikum, das längst nicht mehr zur dargestellten
Altersgruppe gehört.
Das wohl prominenteste Beispiel, das nach dieser Logik funktioniert, ist
[1][„Euphoria“], Sam Levinsons hochstilisierte Skandalserie, die für ihren
freien Umgang mit Sexualität und Sucht, mit Identitätsfragen und familiären
Traumata gleichermaßen zelebriert wie kritisiert wird. Wie ungebrochen die
Faszination für „grenzüberschreitende“ Jugenddramen ist, zeigt nicht
zuletzt, dass mit [2][„Euphorie“] bald ein deutscher Ableger auf RTL+
startet.
Umso bemerkenswerter wirkt daneben die neue Serie [3][„Chabos“], produziert
von BBC Studios Germany für das ZDF. Auch hier fielen Schlagworte wie
„ungeschönt“, um die Erzählung um Peppi (Johannes Kienast) zu bewerben –
einem 36-Jährigen, der von einem Klassentreffen erfährt und überstürzt in
seine Duisburger Heimat zurückkehrt, um herauszufinden, warum er nicht
eingeladen wurde.
## Ein bestechend genaues Porträt der frühen 2000er
Auf der Suche nach der Person, die ihn von der Gästeliste gestrichen hat,
taucht Peppi in Erinnerungen an sein 16-jähriges Ich (Nico Marischka) ein.
„Chabos“, geschrieben und inszeniert von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch,
erzählt auf zwei Zeitebenen, eine davon führt in den Sommer 2006 zurück, in
prägende Wochen für den Protagonisten und seine Freunde: Ein illegaler
Download von „Saw 2“ zieht eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzung
nach sich.
Die Eltern einzuweihen, ist für Peppi keine Option: Vater Bernd (Peter
Schneider) hat seinen Job verloren, und die Ehe mit Mutter Martina
([4][Anke Engelke]) droht unter der Last ständiger Geldsorgen zu
zerbrechen. Also greifen die vier Jungs zu immer drastischeren Mitteln, um
die Summe aufzutreiben. Khaet und Paatzsch dient dies aber nur als
spannender Rahmen, um ein bestechend genaues Porträt der frühen 2000er in
Deutschland zu entwerfen, aus Sicht der Generation der [5][„Millennials“].
Von ICQ am Familien-PC, über Sonnenbank-Flatrates und Wodka-Bull, bis zu
einem Soundtrack zwischen [6][Eko Fresh], Silbermond und [7][Tokio Hotel]:
Das Gespür für eine authentische Atmosphäre, mit dem „Chabos“ das
Aufwachsen zu dieser Zeit nachzeichnet, ist beeindruckend. Das Kaleidoskop
dieser Erfahrungswelt erschöpft sich zwar nicht in popkulturellen
Verweisen, wird aber durchaus mit ihren düsteren Aspekten in Verbindung
gebracht.
Etwa dem Sexismus einer Zeit, in der „schwul“ noch eine Beleidigung war,
„Deine Mutter“-Witze ein Ausdruck von pubertärem Zynismus und misogyne
Kommentare aus TV-Formaten wie „DSDS“ kaum als solche kritisiert wurden.
## Zwischen „Arschficksong“ und Assi Toni
Mindestens genauso intensiv erzählen Khaet und Paatzsch von alltäglicher
Ausgrenzung anderer Art, der rassistischen Türpolitik in der Disco oder
diskriminierenden Fremdzuschreibungen. Peppis Freund Phillip (Jonathan
Kriener) etwa trägt den Spitznamen „PD“, kurz für „Polendeutscher“ –
während „Alba“ (Loran Alhasan) nur so genannt wird, weil er
fälschlicherweise für einen Albaner gehalten wird.
Was es bedeutete, als Junge zwischen [8][Sidos „Arschficksong“] und
Youtube-Phänomenen wie Assi Toni sozialisiert zu werden, rückt dabei
besonders in den Fokus. Peppi, der das Geschehen mit kritisch-nostalgischem
Blick aus dem Heute kommentiert, bringt es auf den Punkt: Nicht die
deutsche Fußball-WM, sondern die Gründung von „YouPorn“ sei das Ereignis
des Jahres gewesen. „Aber hat es uns geschadet?“, fügt er noch lakonisch
hinzu.
Durch solch schmerzlich-treffende Pointen und dem Dialog mit dem Publikum
wird „Chabos“ tatsächlich zu einer rohen, schonungslos ehrlichen und
direkten [9][„Coming of Age“-Erzählung]. Statt abseitige Exzesse zu zeigen,
setzt die Serie zur Selbstbefragung einer Generation an, deren
Identitätsbilder zwischen medial geprägten Rollenklischees und subtilen wie
offenen Formen des Alltagsrassismus oszillierten.
Mehr noch: Sie zeichnet dieses Echo aus dem Gestern als Nährboden für die
Gegenwart, und zieht damit eine direkte Linie in unser Jetzt, zu
AfD-Rhetorik, Ausländerfeindlichkeit und Männlichkeitsbildern, die eben
längst nicht überwunden sind – sondern nur neue und digital verstärkte
Formen angenommen haben.
11 Aug 2025
## LINKS
[1] /Nacktheit-in-Serien/!5632978
[2] https://www.moviepilot.de/news/das-deutsche-euphoria-remake-kommt-erster-tr…
[3] https://presseportal.zdf.de/trailer/trailer/chabos-1
[4] /Serie-mit-Engelke-und-Pastewka/!6027027
[5] /Wie-Gen-Z-ueber-Millennials-denkt/!5901507
[6] /Eko-Fresh-will-Buergermeister-werden/!6093966
[7] /Tokio-Hotel-beginnen-Europatour/!6072793
[8] https://www.youtube.com/watch?v=BXlfjBeEV5Q
[9] /Coming-of-Age/!t5023590
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
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Metal
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