# taz.de -- Voyeuristische Sportfotografie: Was Japan gegen heimliches Filmen u… | |
> Nicht nur in Japan, aber vor allem da, wird in Zeiten der sozialen Medien | |
> ein Problem erkannt: die voyeuristische Sportfotografie. | |
Bild: Einwandfrei: Haruka Kitaguchi, japanische Speerwerferin | |
Berlin taz | Jemand aus dem Publikum hat dein Hinterteil aus der Nähe | |
gefilmt“. Das hörte die Amateur-Leichtathletin Saki (Pseudonym) von einer | |
Freundin, die bei einem Laufwettbewerb unter den Zuschauern war. „Damals | |
wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich Opfer geworden war. Danach fand | |
ich im Internet Fotos von mir, die verkauft wurden, und in sozialen | |
Netzwerken Kommentare wie ‚Ich mag deinen großen Hintern‘ oder ‚Deine | |
Unterwäsche ist durchsichtig, das ist erotisch‘“, erzählte sie Japans | |
öffentlich-rechtlichem Sender NHK. | |
Als Saki bei Wettkämpfen Erfolge erzielte, nahmen die Belästigungen noch | |
zu. „Ich erhielt täglich vulgäre Nachrichten wie ‚Ich zahle dir 4.000 Yen | |
(23 Euro) für ein Video von deinem Hintern.‘“ Saki liebte das Laufen seit | |
ihrer Kindheit, aber nun fühlte sie sich unwohl. „Es gab viele Kommentare | |
wie ‚Es ist deine Schuld, dass du dich so anziehst‘, oder ‚Frauen sind im | |
Sport nicht so gut wie Männer, deshalb müssen sie sich zeigen, um beliebt | |
zu sein‘. Ich wusste, dass es solche Leute gibt, aber ich war schockiert, | |
dass es so viele sind.“ | |
Die Zahl von Opfern wie Saki geht in die Tausende, wie eine neue Umfrage | |
des japanischen Leichtathletikverbandes vermuten lässt. Danach berichtete | |
jeder siebte Trainer, dass seine Schützlinge, darunter auch Grundschüler, | |
beim Training und im Wettkampf heimlich mit sexueller Absicht fotografiert | |
worden seien. In einigen schweren Fällen, wo Fotos auf pornografischen | |
Webseiten auftauchten, wandten sich die Trainer an die Polizei. Das | |
Ergebnis der Umfrage bewies, dass Sportlerinnen und Sportler in Japan immer | |
[1][noch nicht vor voyeuristischen Fotografen sicher] sind. | |
Rückblende: Als solche sexuellen Belästigungen in den Jahren vor den | |
Olympischen Spielen in Tokio 2020/21 immer mehr zunahmen, beschwerten sich | |
mehr Betroffene beim Leichtathletikverband. Darauf begannen | |
Sportfunktionäre, sich um den guten Ruf von Japan zu sorgen. Japans | |
Olympisches Komitee reagierte und versprach im November 2020 gemeinsam mit | |
anderen Sportverbänden Maßnahmen gegen den Voyeurismus. | |
## Spezielles Personal | |
Seitdem reservieren viele Veranstalter von Sportveranstaltungen bestimmte | |
Bereiche für Fotografen, um mögliche Übeltäter leichter zu identifizieren. | |
In Leichtathletikstadien und Volleyballhallen hängen Plakate mit dem Aufruf | |
„Melden Sie Voyeurismus und böswillige Beiträge in sozialen Netzen dem | |
Veranstalter“. Über einen aufgedruckten QR-Code kann jeder schnell einen | |
Hinweis geben. Spezielles Personal hält Ausschau nach möglichen Tätern, | |
Hinweisschilder warnen die Eltern von jungen Athletinnen und Athleten vor | |
der Gefahr. | |
Solche Fotovoyeure gibt es in Japan nicht nur im Sport. Das verbreitete | |
heimliche Fotografieren unter Röcken führte dazu, dass alle Handys in Japan | |
bei jeder Fotoaufnahme ein hörbares Knipsgeräusch machen, selbst im | |
Lautlosmodus, damit Betroffene und ihre Umgebung den Upskirting-Angriff | |
bemerken können. Die Mobilfunkbetreiber haben sich selbst dazu | |
verpflichtet, ihre Geräte so auszuliefern, dass sich das Knipsgeräusch | |
nicht ausschalten lässt. | |
Diese Neigung zum heimlichen Beobachten [2][könnte historische Wurzeln | |
haben]. In der Edo-Zeit inszenierten Bordelle und das Kabuki-Theater | |
voyeuristische Momente. Erotische Farbholzschnitte, Shunga, zeigen häufig | |
Szenen, bei denen eine Figur andere heimlich beim Liebesakt beobachtet. | |
Manche Shunga nehmen die Perspektive eines Betrachters ein, der durch ein | |
Loch in der Wand oder einen Spalt in der Schiebetür zuschaut. Während der | |
Heian-Zeit um die erste Jahrtausendwende war Voyeurismus ein literarisches | |
Motiv, weil die Begegnungen zwischen Männern und Frauen nach strengen | |
Regeln abliefen. Das „Sehen, ohne gesehen zu werden“ beschrieben Literaten | |
als intensiven Reiz, vor allem, wenn es nur Teile des Körpers oder die | |
Kleidung betraf. | |
## Im Unterkörperbereich | |
Japans Gesetzgeber stellte aufgrund des öffentlichen Drucks vor zwei Jahren | |
das Aufnehmen voyeuristischer Bilder zu sexuellen Zwecken von | |
Geschlechtsteilen, Unterwäsche und obszönen Handlungen unter Strafe. Doch | |
die Paragrafen decken den Sport nicht ab, weil es juristisch schwierig ist, | |
die sexuelle Absicht beim Aufnehmen von Sportlerinnen und Sportlern | |
nachzuweisen. Die Gesetzeslücke bedeutet aber nicht, dass die Täter freie | |
Hand bekamen, da Verordnungen auf regionaler Ebene möglich bleiben. Die | |
Polizei von Kyoto etwa erwischte mehrere Männer dabei, Leichtathletinnen | |
gezielt im Unterkörperbereich zu fotografieren. Als Motiv gaben sie an, | |
„ihre sexuelle Lust befriedigen zu wollen“. | |
Fukuoka definierte im Frühjahr 2024 als erste Region in Japan das heimliche | |
Filmen von Sportlern als Sexualstraftat und untersagte das Filmen von | |
Personen ohne deren Einwilligung zu sexuellen Zwecken in Schulen und | |
Sportstätten, unabhängig davon, ob diese bekleidet sind oder nicht. Es sind | |
keine Strafen vorgesehen, aber durch klare Formulierungen versucht Fukuoka | |
ein Klima zu schaffen, in dem Betroffene und Umstehende verdächtige | |
Personen leichter melden können. Bei Wettkämpfen machen die Veranstalter | |
entsprechende Durchsagen und kontrollieren die Einhaltung. | |
Die Maßnahmen sollen die Öffentlichkeit erziehen. „Es ist wichtig, in der | |
gesamten Gesellschaft ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das heimliche | |
Filmen von Sportlern nicht toleriert wird“, meinte der Sportsoziologe Osamu | |
Takamine von der Meiji-Universität. Der Kulturwandel hilft auch den Opfern, | |
die Angriffe abzuwehren. | |
## Frei trainieren | |
Die 15-jährige Mittelschülerin Shurei Doruri überholte beim nationalen | |
Frauen-Staffellauf auf ihrer 3-Kilometer-Etappe 17 Läuferinnen und stellte | |
einen neuen Streckenrekord auf, sodass sie plötzlich ins nationale | |
Rampenlicht geriet. Daraufhin wurde sie überall ungefragt fotografiert und | |
bekam psychische Probleme. Sie antwortete offensiv. „Ich kann nicht mehr so | |
frei trainieren wie früher und möchte, dass die Leute davon absehen, mich | |
zu filmen und anzufeuern“, teilte sie mit und sagte ihre Teilnahme an den | |
Crosslaufmeisterschaften ab. | |
Ihr Anwalt berichtete: „Sie war schockiert und fühlte sich unwohl, in | |
welcher Rolle sie fotografiert wird.“ Nach ihrer Erklärung gingen die Fälle | |
heimlicher Film- und Fotoaufnahmen zurück. Einige Monate später begann | |
Doruri wieder zu laufen und brach bei den Oberschulmeisterschaften über | |
1.500 Meter der Frauen den Rekord in ihrer Altersklasse. | |
Auch eine neuartige Sportkleidung erschwert Voyeuren das Geschäft. Der | |
Sportartikelriese Mizuno entwickelte einen Stoff, der für Infrarotstrahlen | |
blickdicht ist. Bei den Olympischen Spielen in Paris trugen die japanischen | |
Frauenmannschaften im Volleyball, Tischtennis und Hockey Trikots aus diesem | |
Stoff. Nun gibt es diese Anti-Voyeur-Kleidung [3][auch für Läuferinnen]. | |
Tiefer geschnittene Ober- und Unterteile legen weniger Haut frei. Eine | |
Oberschülerin lobte nach einem Probelauf: „Der Bauch ist bedeckt, was mir | |
ein Gefühl der Sicherheit gibt. Ich fühle mich weniger beobachtet.“ | |
Der japanische Turnverband probierte unterdessen einen anderen Weg aus, | |
nachdem man über 20 Jahre lang das Fotografieren bei Turnwettkämpfen | |
komplett verboten hatte. Die oft jungen Turnerinnen in hautengen, knappen | |
Trikots locken besonders viele Voyeure an. Doch beim NHK-Turnpokal vor zwei | |
Jahren verkaufte der Verband 50 Pauschalpakete zu je 60 Euro, die neben | |
einem Sitzplatz mit Fotografierrecht eine Broschüre mit Erklärungen zu | |
voyeuristischer Fotografie und eine Diskussionsrunde mit Funktionären | |
enthielten. 59 der 60 Pakete wurden verkauft. Bei anderen Wettkämpfen | |
kostete eine Fotoerlaubnis 6 Euro. Interessenten mussten sich vorab | |
registrieren. | |
## Ein Sport, der begeistert | |
Der Turnverband änderte seine Politik nicht nur aus finanziellen Gründen – | |
nach Olympia in Tokio rutschte man wegen geringerer Zuschüsse in die roten | |
Zahlen. „Turnen ist ein Sport, der begeistert und die unendlichen | |
Möglichkeiten des Menschen zum Ausdruck bringt. Das wollen wir mehr | |
Menschen vermitteln“, erklärte Verbandschef Koichi Endo. „Fotos von | |
Wettkämpfen zeigen auf einen Blick, wie hart die Athleten trainiert haben, | |
und das sieht cool aus.“ Bilder und Videos müssten aktiv in den sozialen | |
Medien verbreitet werden, um den Sport populärer zu machen. | |
Doch Geschäftsleute im Internet wollen mit unangemessenen Fotos Geld | |
verdienen. Sie erwerben sie von Dritten, um sich selbst nicht strafbar zu | |
machen, und verkaufen sie anschließend weiter. Die hohen Klickraten bringen | |
den Webseitenbetreibern hohe Werbeeinnahmen ein. Einige Onlineshops | |
spezialisieren sich auf Fotos von Mittel- und Oberschülern bei | |
Sportwettkämpfen für Männern mit pädophiler Neigung. | |
Für seine Dokumentation befragte der Sender NHK einen Shopbetreiber anonym, | |
ob er keine moralischen Bedenken habe. „Ich halte Bilder von bekleideten | |
Frauen für unproblematisch. Selbst wenn Unterwäsche zu sehen ist, kann der | |
Fotograf zwar vor Ort festgenommen werden, aber der Verkäufer wird wohl | |
nicht bestraft werden. Es ist unmöglich, alles zu löschen“, lautete seine | |
ungenierte Antwort. Der Betreiber fühlte sich auch sicher, weil es bei | |
vielen Fotos Ansichtssache ist, ob sie obszön sind oder nicht. Die Polizei | |
setzt den Hebel daher bevorzugt beim Urheberrecht an, wenn etwa | |
TV-Aufnahmen ohne Genehmigung verkauft werden. Auf diese Weise konnte sie | |
Webseiten schließen. | |
7 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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