Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kisscam-Affäre: Aufgeflogen bei Coldplay
> Die Kisscam-Affäre beim Coldplay-Konzert ist nicht weniger als ein
> digitales Drama in fünf Akten – inklusive Memes, Moral und medialem
> Pranger.​
Bild: Ertappt: Eine Kiss Cam hat das Paar im Bild eingefangen
Wer in den letzten Tagen mindestens einmal im Internet war, kennt das Hot
Topic der Stunde: die entblößte Affäre des CEOs eines US-Software-Start-ups
und der Personalchefin derselben Firma. Die beiden hatten das
Coldplay-Konzert Foxborough im Bundesstaat Massachusetts am 16. Juli
besucht. Was wohl als harmloses Date geplant war, endete in einem Fiasko
mit allen Elementen eines Dramas, das nebenbei auch noch Meme-Geschichte
schreibt.
Die Exposition: Eng umschlungen wurden die beiden [1][von der sogenannten
Kiss Cam] eingefangen. In den USA ist das üblich: bei Konzerten oder
Sportveranstaltung fängt eine Kamera Bilder von Paaren ein, die sich küssen
sollen, sobald sie auf einem riesigen Bildschirm erscheinen. Blöd nur, wenn
man eigentlich incognito bleiben möchte. Das Einzige, was aber tatsächlich
noch blöder ist als dieser Umstand: sich wegducken und die Hände vors
Gesicht schlagen, um seine Identität zu schützen und damit allen zu zeigen,
dass hier etwas Schmuddeliges passiert. Erregendes Moment: Der Konflikt
verschärft sich.
Als der Coldplay-Frontmann [2][Chris Martin] daraufhin sagte „Oh, die
beiden sind entweder sehr schüchtern oder haben eine Affäre“, war das
Schicksal der zwei Fremdgänger besiegelt. Es dauerte keine 24 Stunden, bis
sich das Internet von seiner hässlichsten Seite zeigte. Höhepunkt und
Peripetie: Der dramatische Höhepunkt wird erreicht und eine entscheidende
Wendung tritt ein.
Nicht nur wurden die Namen der Betroffenen und der Firma in Rekordtempo von
Internet-Usern recherchiert und mit der Welt geteilt, auch eine weitere
Frau aus dem Video wurde fälschlicherweise als Kollegin „entlarvt“.
Selbstverständlich wurden sämtliche Social-Media-Accounts der betrogenen
Ehefrau gestalkt – inklusive der Fotos, auf denen auch die Kinder des
Ehepaars zu sehen sind.
## Drei Existenzen zerbrechen
Der CEO und die Personalerin wurden suspendiert, der CEO ist inzwischen
zurückgetreten. Die betrogene Ehefrau änderte ihren Namen in den sozialen
Medien. Mindestens drei Existenzen zerbrechen, und nicht nur sieht die
ganze Welt dabei zu, nein, sie weidet sich am Leid. Wenige Tage sind seit
dem Vorfall vergangen, doch die Kiss-Cam-Affäre ist als Schlagzeile längst
durch jedes Medium eines jeden Landes dieser Welt gegangen.
Was die komische Tragödie am Leben hält – das retardierende Moment –, ist
die Viralität durch die Flut an Memes, die versehen mit Hashtags wie
#Coldplaygate oder #Kisscamaffair nicht mehr abebben will. Entweder werden
die Gesichter der beiden mit anderen schwer gescheiterten Figuren ersetzt
(aktuell sehr beliebt: Jens Spahn, der eine Frau mit Maske eng umschlungen
hält). Oder aber Fotos von Chris Martin, auf denen er scheinbar besonders
diabolisch lächelt, werden mit derben Sprüchen versehen. „Being
coldplayed“, gecoldplayed werden, ist inzwischen ein stehender Begriff für
die unbeabsichtigte Bloßstellung beim Fremdgehen in der Öffentlichkeit
geworden.
Nun müsste die Katastrophe folgen, die bei einer tragischen Komödie
durchaus mit lustigen Elementen aufgelockert sein darf. Und auch damit kann
diese absurde Geschichte dienen. Gekrönt wird dieser Internet-Moment mit
einer vermeintlichen „The Simpsons“-Analogie. Ein besonders kreativer User
erstellte mit künstlicher Intelligenz eine simpsonsgetreue Nachbildung der
beiden Antihelden, was viele nun glauben lässt, auch dieser Moment sei eine
von [3][den berühmten Zukunftsvorhersagen der Simpsons.] Ein Finale, das
man sich wirklich nicht besser hätte ausdenken können.
Natürlich streiten jetzt die Menschen im Internet: Die einen tippen wütend
„Geschieht ihnen recht so“ in die Kommentarspalten, die anderen „was ist
mit ihrer Privatsphäre?!“. Und ja, natürlich wird die Kiss-Cam-Affäre auch
von einem Karma-Momentum getragen. Wer fremdgeht, spielt mit dem Feuer. Wer
das auch noch an einem öffentlichen Ort mit Kameras tut, wirkt überheblich.
Doch das, was gerade passiert, hat die Grenzen der Schadenfreude schon
längst überschritten. Auch der betrogenen Frau dürfte es wenig Trost
spenden, dass durch die Affäre ihres Mannes auch ihr Leben zum Meme wird,
ganz zu schweigen, welche unangenehmen Fragen die Kinder haben werden. Alle
Beteiligten sind am Ende tragische Figuren.
Die Kiss-Cam-Affäre sollte also weniger Exempel an den untreuen Seelen
dieser Welt, sondern viel mehr als Katharsis, Läuterung, verstanden werden:
Wehe dem Internet, das Leute schnell zu Stars, aber eben noch schneller zur
Witzfigur macht!
21 Jul 2025
## LINKS
[1] https://www.nytimes.com/2025/07/18/style/coldplay-andy-byron-astronomer-vid…
[2] https://www.rollingstone.de/coldplay-saenger-chris-martin-umschmeichelt-sch…
[3] https://www.youtube.com/watch?v=YWaIhpHoy68
## AUTOREN
Giorgia Grimaldi
## TAGS
Internet
Kameras
Post Privacy
Social Media
Datenschutz
Privatsphäre
GNS
Britpop
Schwerpunkt Überwachung
Kolumne Gossip Girl
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reunion von Oasis: Wie eine Kreuzfahrt
Die britische Gruppe Oasis hat ein Comeback angekündigt. Das sollte
aufschrecken. Denn ihre langweilige Rockmusik hat auch den Brexit
vorbereitet.
Überwachung per Drohne: Die Polizei guckt aus dem Himmel zu
Die Hamburger Polizei überwacht Fußballfans per Drohne. Eine gesetzliche
Regelung gibt es dafür nicht. Der Senat findet das unproblematisch.
Coldplay und Proteste in Iran: Das Aufmerksamkeitsprivileg teilen
Wenn sich Stars politisch engagieren, reflektieren sie oft ihre Privilegien
nicht. Mitunter schaffen sie es aber, ihren Einfluss zu nutzen – wie
Coldplay.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.