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# taz.de -- Krieg und Fotos: Wie sieht Hunger aus?
> Die Zivilbevölkerung in Gaza hungert. Hauptbetroffene sind Kinder. Was
> die Bilder aus dem Kriegsgebiet genau zeigen, muss aber analysiert
> werden.
Bild: Mohammed Zakaria al-Mutawaq: sein Zustand ist schrecklich, aber nicht sin…
Das Foto ist herzzerreißend: Eine Mutter hält ihren kleinen Jungen in ihren
Armen, sein Rücken ist so abgemagert, dass man Rückgrat und Rippen sieht,
seine Arme sehen aus wie zerbrechliche Zweige. Es ist das Aufmacherbild
eines [1][Kommentars in der Zeit] vom 26. Juli über den Krieg in Gaza,
geschrieben von Malin Schulz, der stellvertretenden Chefredakteurin und
„Visual Director“ der Wochenzeitung. Überschrift: „So sieht Hunger aus�…
Die Zeit hat das Bild, das am 24. Juli aufgenommen wurde, retuschiert: Das
Farbfoto, das in der Datenbank der [2][staatlichen türkischen Fotoagentur
Anadolu] zu finden ist, stellte die Zeitung in Schwarz-Weiß, der Kontrast
zwischen hellen und dunklen Tönen wurde zudem erhöht, damit der im
Originalbild ohnehin schon erschreckende Zustand des Kindes noch
dramatischer wirkt.
Der Junge heißt Mohammed Zakaria al-Mutawaq, er wurde im Krieg geboren,
heute ist er anderthalb Jahre alt. Fotos von ihm erscheinen zurzeit in
vielen Medien weltweit, als Symbolbild für die katastrophale Ernährungslage
im palästinensischen Küstenstreifen. Am 23. Juli stand Mohammed etwa auf
der Titelseite der britischen Boulevardzeitung Daily Express, am 24. Juli
in einem Artikel von Sky News, am 25. Juli auf der Titelseite der New York
Times und am 26. Juli auf der Titelseite der portugiesischen Zeitung
Correio da Manhã – sowie in vielen weiteren Medien weltweit.
Was sie nicht erwähnten: Mohammed hat mehrere Vorerkrankungen, die seine
Muskelentwicklung stark beeinträchtigen, darunter zerebrale Kinderlähmung,
wie [3][der britische Blogger David Collier aufdeckte]. Er braucht
spezielle Nahrungsergänzungsmittel und muss teilweise künstlich ernährt
werden. Mohammeds Zustand ist schrecklich, aber nicht sinnbildlich. So
sieht nicht, wie die Zeit nahelegt, Hunger typischerweise aus. Auch wenn
zur Wahrheit gehört, dass er an Mangelernährung leidet. Die Tatsache, dass
in Gaza nur [4][die Hälfte der Krankenhäuser] noch funktioniert und das nur
teilweise, dürfte seinen Zustand nur rapider verschlechtert haben.
## Schwemme an Desinformation in alle Richtungen
Jeder Krieg ist auch ein Krieg der Bilder. Um die Bilder aus Gaza wird
derzeit heftig gerungen. Manche Nutzer können oder wollen nicht mehr
unterscheiden, was echt ist und was nicht – auf beiden Seiten des
Konflikts. Das Ergebnis ist eine Schwemme an Desinformation in alle
Richtungen.
Fotos aus anderen Konflikten, vor allem dem syrischen Bürgerkrieg, werden
fälschlicherweise Gaza zugeschrieben. Authentische Fotos aus Gaza werden
als aus anderen Kriegsgebieten stammend diskreditiert. KI-generierte
Bilder, die das Leid im Küstenstreifen zeigen sollen, gehen viral. Echte
Bilder, die das tatsächliche Ausmaß der humanitären Katastrophe dort
dokumentieren, werden als KI-Propaganda oder „Pallywood“-Inszenierungen
abgetan.
Hinzu kommen berührende Bilder wie die von Mohammed Zakaria al-Mutawaq,
einem vorerkrankten Kind in einer besonderen, prekären Situation. Seit
Kriegsbeginn kursieren immer wieder ähnliche Fotos, ohne wichtigen Kontext.
Am 24. Juli veröffentlichte die italienische Tageszeitung Il Fatto
Quotidiano auf der Titelseite ein Bild des fünfjährigen Osama al-Raqab, wie
[5][die FAZ berichtet], ohne zu erwähnen, dass Osama an der vererbten
Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose (zystische Fibrose) leidet und schon
am 11. Juni nach Mailand ausgeflogen wurde, [6][wo er behandelt wird].
Das Leid dieser vorerkrankten Kinder hat [7][zweifelsohne mit der
verheerenden Lage in Gaza zu tun.] Manche äußern sich über diese Bilder
dennoch hämisch und menschenverachtend. Ben Brechtken, Kolumnist beim
rechtspopulistischen Portal Nius, kommentierte das Aufmacherbild des
Zeit-Kommentars auf der Plattform X: „Die Mutter hat ein Doppelkinn.“ In
einem weiteren Beitrag beschreibt er das Foto von Mohammed als
„Hamas-Propaganda-Bild“. Andere teilen zynisch Fotos von übergewichtigen
mutmaßlichen Gazaner oder schüren rassistische Ressentiments, dass ein
weitverbreiteter Inzest die Ursache für solche Erkrankungen sei.
## Hungernde israelische Geisel
Mit Hunger kommt die Macht der Bilder an ihre Grenzen. Ihn kann man nicht
immer sehen. Nahezu alle in Gaza, außer vermutlich den Funktionären und
Kämpfern der Hamas, die sich wohl gut verpflegt und hoch ausgerüstet
weiterhin in ihren Tunneln verschanzen, leiden an einer Form des Hungers.
Auch die israelischen Geiseln. Hungernde können aussehen wie der
vorerkrankte Mohammed oder seine Mutter. Oder auch wie Mohammeds
dreijähriger Bruder, der in weiteren Fotos in den Datenbanken der
Fotoagenturen zu finden ist, nicht dem typischen Bild von Unterernährung
entspricht und von einigen Medien herausgeschnitten wurde. Hungernde können
auch wie der Israeli Rom Braslavski aussehen, der vom Nova-Festival
entführt wurde und von dem die Terrorgruppe Palestinian Islamic Jihad
[8][am Donnerstag ein Video veröffentlichte], in dem er weinend und
ausgemergelt um sein Leben bettelt.
Die Zeit hat inzwischen eine Bildunterschrift hinzugefügt und den Kommentar
angepasst, um die Vorerkrankung von Mohammed deutlich zu machen. Auch die
New York Times [9][hat ihren Artikel richtiggestellt], nachdem sie seine
Krankenakten ausgewertet hatte – ihr Büro wurde daraufhin mit roten
Farbbeuteln und der Parole [10][„NYT lies, Gaza dies“ beschädigt]. Der
Deutsche Journalisten-Verband fordert nun deshalb [11][einen Ausbau der
Bildredaktionen]. „Bildredaktion heißt auch Factchecking“, sagte
Bundesvorsitzender Mika Beuster.
Die Bilder aus Gaza, die übrigens palästinensische Fotojournalisten selbst
machen müssen, da [12][seit Kriegsbeginn Israel und Ägypten]
internationalen Medienschaffenden den Zutritt zum Streifen verwehren,
vermitteln die verheerenden Zustände vor Ort auf eine Weise, die Fakten
alleine nicht schaffen. Sie dokumentieren einen Krieg, der de facto unter
Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit stattfindet. Sie erreichen
Menschen auf eine emotionale Art, die Nähe und Empathie erzeugt. Und sie
beeinflussen die Gaza-Politik vieler Länder.
Die emotionale Macht der Bilder ist ihre Stärke als Medium, sie lädt aber
gleichzeitig zum ideologischen Missbrauch ein. Mangelnde Transparenz,
fehlender Kontext sowie bewusste und unbewusste Verzerrungen untergraben
das Vertrauen in die Medien und zwar von allen Seiten. Da muss die Presse
wachsamer sein. Denn dieses Vertrauen ist die Grundlage der Branche. Es zu
verspielen, wäre fatal.
1 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/kultur/2025-07/hungersnot-gaza-bilder-kinder-berichters…
[2] http://www.anadoluimages.com/p/palestinian-baby-in-gaza-suffering-from-maln…
[3] https://david-collier.com/the-truth-behind-the-viral-gaza-famine-photo/
[4] https://www.who.int/news/item/05-06-2025-who-calls-for-urgent-protection-of…
[5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien-und-film/medienpolitik/hunger…
[6] https://www.timesofisrael.com/image-of-gazan-child-with-genetic-illness-bei…
[7] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/debatte-um-fotos-von-kr…
[8] https://www.haaretz.com/israel-news/2025-07-31/ty-article/islamic-jihad-pub…
[9] https://x.com/NYTimesPR/status/1950311365756817690/photo/1
[10] https://www.jpost.com/international/article-862776
[11] https://www.djv.de/news/pressemitteilungen/press-detail/medien-muessen-sic…
[12] /Offener-Brief-an-Israel-und-Aegypten/!6037383
## AUTOREN
Nicholas Potter
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Kolumne Gaza-Tagebuch
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