# taz.de -- Tagebuch aus Armenien: Die schwierige Liebe der Brüder | |
> Hayk hat eine Russin geheiratet und Mikael eine Ukrainerin. Also brechen | |
> die Brüder mit der Tradition des Lebens in einer Großfamilie. Zunächst. | |
Bild: Wohnen in Jerewan: Platz für viele Menschen | |
Im großen Familienhaus der Samvelyans herrscht immer reges Treiben. Der | |
Vater hatte das zweistöckige Haus in der armenischen Hauptstadt | |
[1][Jerewan] für seine beiden Söhne und deren Familien gebaut. Die Familie | |
hätte nie gedacht, dass ihre Söhne eines Tages ausziehen würden. Es gab | |
keinen Grund dafür, sie glaubten es nicht. Denn so ist die armenische | |
Tradition: Man lebt in Großfamilien Die ersten Gespräche über einen Auszug | |
begannen im Jahr 2024, als der älteste Sohn Hayk seine Freundin zum ersten | |
Mal mit nach Hause brachte, um sie der Familie vorzustellen. | |
„Als ich mit meiner russischen Freundin das Haus betrat und wir zuerst von | |
der ukrainischen Frau meines Bruders begrüßt wurden, war das ein sehr | |
seltsamer Anblick. Die lange Stille an diesem Tag war sehr bedrückend. Mir | |
wurde klar, dass es für diese beiden Frauen unmöglich sein würde, unter | |
einem Dach zu leben, aber ich wollte auch nicht an eine Trennung denken. | |
Der einzige Ausweg war also, das Haus meines Vaters zu verlassen“, erinnert | |
sich der Webdesigner Hayk. | |
Hayks Familie hatte nichts gegen seine Liebe, doch die Akzeptanz einer | |
russischen Braut fiel ihnen schwer. 2015 besuchte Hayks jüngerer Bruder | |
Mikael ihn in [2][Kyjiw] und lernte Warwara kennen. Aus der anfänglichen | |
Sympathie entwickelte sich ein langer Briefwechsel, dann eine | |
Fernbeziehung. 2018 beschlossen die beiden, sich zu treffen und zu | |
überlegen, wie es weitergehen sollte. Warwara kam für acht Tage nach | |
[3][Armenien] – und blieb für immer. | |
## Der Krieg sorgt dafür, dass die Frauen unterschiedlich betrachtet werden | |
In der armenischen Familie wird Warwara sehr geliebt. Mikaels Eltern sagen, | |
sie sei das Mädchen ihrer Träume geworden und bringe Licht und Wärme in ihr | |
Zuhause. Die Eltern hätten nichts gegen Hayks russische Freundin Alina, | |
wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre. | |
Ich liebe Hayk wie einen Bruder. Er hat alles für mich getan, während ich | |
in Armenien war. Aber als er Alina nach Hause brachte, weiß ich nicht, was | |
mit mir passiert ist, welcher Hass mein Herz erfüllte. Ich war ohnehin | |
schon in einer schrecklichen emotionalen Verfassung: Meine Eltern leben in | |
der Ukraine, ich war schwanger und dann sagten sie mir plötzlich, dass eine | |
Russin bei mir einziehen würde“, erinnert sich Warwara. | |
Aufgrund ihrer Antikriegshaltung kam Alina 2022 mit ihren Freunden nach | |
Armenien. Ihre Eltern blieben in Perm. Auch ihre Begegnung mit Hayk war ein | |
glücklicher Zufall. Die Fotografin lernte ihn bei einem Fotoshooting | |
kennen. Die Vorstellung, als Braut mit einem Ukrainer zusammenzuziehen, | |
fiel ihr ebenfalls schwer. | |
Warwara und Alina mieden einander mehrere Monate lang; beide erkannten, | |
dass dies die einzige Lösung war. Auch Hayks und Alinas Hochzeit verzögerte | |
sich, weil das Paar eine Wohnung suchte. Dieser bedingte Waffenstillstand | |
zwischen den Bräuten hätte möglicherweise länger gehalten, wenn Warja nicht | |
vorzeitig Wehen bekommen hätte. Die Geburt war schwierig, Warja hatte | |
Angst, allein in den Kreißsaal zu gehen. | |
## Die gemeinsame Geburt | |
„Ich weiß nicht, warum, aber mir kam plötzlich etwas in den Sinn. Als mein | |
Arzt sagte, dass jemand im Kreißsaal bei mir sein könnte, sagte ich zu | |
meinem Mann: „Ruf Alina an. Ruf Alina an.“ Alina kam ohne zu zögern und | |
hielt die ganze Zeit meine Hand. Die Geburt meiner Tochter Luse schien | |
alles zu verändern. Mir wurde klar, dass weder ich noch Alina Schuld | |
trugen, dass ich sie für die Sünden anderer verurteilte“, erinnert sich | |
Warwara. | |
Zwei Monate nach Luses Geburt heiratete Hayk. Dass Alina im Haus der | |
Familie Samvelyan leben würde, war kein Thema mehr. Heute erzählen Hayks | |
und Mikaels Eltern, dass sie zwei Söhne und zwei Töchter haben, die sie wie | |
ihre eigenen Kinder lieben. Sie sind stolz auf die Willenskraft und | |
Weisheit der beiden jungen Frauen, die ihrem Schicksal getrotzt und | |
Seelenfrieden gefunden haben. Es ist manchmal gut, einer armenischen | |
Tradition zu folgen: in Großfamilien zu leben. | |
[4][Sona Martirosyan] ist Journalistin und lebt in Jerewan (Armenien). Sie | |
war Teilnehmerin eines [5][Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung]. | |
Aus dem Armenischen von [6][Tigran Petrosyan.] | |
Durch Spenden an die [7][taz Panter Stiftung] werden unabhängige und | |
kritische Journalist:innen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts | |
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15 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sona Martirosyan | |
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