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# taz.de -- Leseförderung an Schulen: 15 Minuten Lesezeit
> Das „Leseband“ hält Schüler*innen dazu an, regelmäßig eine
> Viertelstunde zu lesen. Auch am Ende ihrer Schulzeit haben einige damit
> Probleme.
Bild: „Sie kommen meist etwas aufgeregt aus der Pause. Nach dem Leseband sind…
Berlin taz | „Privat lese ich vor allem Fußballsachen, und die auch eher
online“, sagt Leart. Er ist 15 Jahre alt und geht in die 9. Klasse der
Julius-Leber-Sekundarschule in Tegel. Dort vertieft er sich dann doch
viermal die Woche in ein Buch. „Gerade lese ich ‚Lost Girl‘“, erzählt …
„Das ist über eine Klasse, sie sind auf Klassenfahrt in einem anderen Land
und es geht um ein Mädchen. Sie verläuft sich.“
Leart liest es im sogenannten „Leseband“, einem Zeitkorridor: 15 Minuten
lesen, von Montag bis Donnerstag, immer von 11 bis 11.15 Uhr, nach der
ersten großen Pause – verpflichtend für alle Klassen. Die Schule hatte das
Leseband zum Schulstart nach den Sommerferien eingeführt und nun ein
Schuljahr damit Erfahrung gemacht. Für Leart war es eine gute Sache. Es
habe ihm beim BBR geholfen – also bei der Berufsbildungsreife. „Ohne
Leseband hätte ich in [1][meinem Abschluss vielleicht mehr Schwierigkeiten]
dabei, Lesetexte zu verstehen“, sagt er.
Der Schulleiter, Thomas Auge, erzählt, dass ein Podcast ihn und Claudia
Loewe, die Fachleiterin für Deutsch, auf die Idee gebracht habe, das
Leseband auch an seiner Schule einzuführen. „Wir hatten sowieso unsere
Pausen- und Unterrichtszeiten umgestellt, weil wir auf 60-Minuten-Stunden
umgestellt haben.“ Da passte das Leseband dann gut rein.
„Und es zeigt sich: Wir haben sehr gute Ergebnisse“, sagt Auge. „Vor allem
die Schüler*innen, die anfangs Schwierigkeiten mit dem Lesefluss hatten,
haben sich verbessert. Einige haben richtige Sprünge gemacht“, sagt er. Das
habe ihnen der Vergleich eines Lesescreenings direkt nach den Ferien mit
einem Zwischentest im zweiten Halbjahr gezeigt. Wikipedia-Artikel oder
Zeitungsartikel zum politischen Weltgeschehen – die würden die schwachen
Leser*innen selbst in der 10. Klasse nicht ohne Hilfestellung verstehen,
sagt der Schulleiter.
## Auf alle Schulen ausweiten
Bisher hat Berlin das Leseband verpflichtend an den Schulen eingeführt, die
[2][am Startchancen-Programm] teilnehmen. Perspektivisch soll es auf alle
Schulen ausgeweitet werden, an den Startchancen-Schulen soll dann neben dem
Leseband auch ein tägliches „Matheband“ verpflichtend sein.
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) möchte damit die
Grundkompetenzen stärken. Deutsch, Mathe und Englisch hat sie mehrfach zu
ihrem bildungspolitischen Schwerpunkt erklärt.
Im Klassenraum der 7.2 an der Julius-Leber-Schule beugen sich rund 16
Schüler*innen über ihre Reader, alle haben denselben Text aufgeschlagen.
Sie lesen in Zweierteams. In der ersten Reihe etwa liest ein Junge in
mittlerer Lautstärke den Text vor, mit dem Finger folgt er den
Buchstabenreihen. Seine Nachbarin guckt konzentriert auf ihren Text und
murmelt mit den Lippen leise mit. Als der Junge ins Stocken gerät, spricht
sie kurz das Wort vor: „Protestiert“, hilft sie, der Junge wiederholt den
Satz und liest weiter.
Einige Kinder haben eine Art Lineal mit gelbem Sichtfenster in der Mitte,
das sie über den aktuellen Satz legen: Ein sogenannter „Lesestreifen“, der
ihnen helfen soll, in der Zeile zu bleiben. Andere nutzen einen Stift oder
ein Geodreieck oder eben den Finger. Wenn das eine Kind am Ende angelangt
ist, wechseln sie die Rollen. Zum Schluss werden sie den Text noch einmal
zusammen lesen. Die Lehrerin weist auf einen Schüler in der letzten Reihe
hin. „Er spricht noch nicht gut Deutsch“, sagt sie. „Mit dem Lesen übt er
auch die Sprache.“
Das „Lesetandem“ ist eine Methode, die vor allem den Lesefluss fördern
soll, erklärt Schulleiter Auge. Sie wenden sie daher in der 7. und 8.
Jahrgangsstufe an. „In der Sprachförderung haben sich Schulen lange darauf
fokussiert, das Leseverständnis zu verbessern“, sagt er. „Doch der
Lesefluss ist dem vorangestellt. Die Forschung sagt, dass es für das
Verständnis eine gewisse Grundgeschwindigkeit im Lesen braucht“, erklärt
Auge. Doch gerade den Lesefluss, den würden die Schüler*innen aus der
Grundschule noch nicht ausreichend mitbringen.
Die Julius-Leber-Schule ist eine integrierte Sekundarschule ohne gymnasiale
Oberstufe. An der Schule gibt es auch kleinere Förderklassen, in denen
Kinder mit Förderstatus geistige Entwicklung gemeinsam mit anderen lernen.
Mehr als die Hälfte der Kinder an der Schule bezieht Leistungen aus dem
Paket für Bildung und Teilhabe. „In der ersten Testung mit dem Salzburger
Lesescreening lagen mehr als die Hälfte der Kinder unterhalb der Norm“,
sagt er. Das zweite Lesescreening zeigte, dass sich zwei Drittel der
Schüler*innen leicht verbessert hätten. „Wir stärken hier die
Hauptfächer. Im Stundenplan haben wir es so eingerichtet, dass wir an vier
Wochentagen eine Deutsch-Stunde haben, also 60 Minuten. Und diese
Regelmäßigkeit verbessert Leistungen“, sagt Schulleiter Auge.
## Versuch mit „Matheband“
Genauso sieht er es beim Lesen: „Klar kann man fragen, was das bringt, die
15 Minuten, wenn sie zu Hause dann doch nicht lesen“, sagt Auge. „Aber die
Alternative wäre eben: nichts.“ Der Schulleiter erzählt, dass
Lehrer*innen und Leitungen von anderen Reinickendorfer Schulen zu ihnen
gekommen seien, um sich das Leseband anzusehen. Ab dem kommenden Schuljahr
werden nun alle Reinickendorfer Sekundarschulen ein Leseband einführen. Und
an der Julius-Leber-Schule starten sie einen Versuch mit einem Matheband,
bei dem die Schüler*innen für ein paar Wochen statt zu Lesen dann
Rechnen üben sollen.
Es käme auch vor, dass Schüler*innen sich eher ausklinken. „Ich würde
sagen: Etwa Dreiviertel der Schülerinnen und Schüler lesen“, schätzt der
Schulleiter. „Andere tun vielleicht nur so, im besten Fall nutzen sie die
Zeit, um sich zu beruhigen oder auszuruhen.“ Dass nicht alle immer
mitmachen, „das ist Schulrealität“, sagt Auge.
In den 9. und 10. Jahrgangsstufen dürfen die Schüler*innen frei wählen,
was sie im Leseband lesen. In Learts Klasse haben sich drei
Schüler*innen auf ein kleines Sofa hinten im Klassenzimmer gequetscht.
Einer der drei hat ein Buch mit dem Titel „Think and Grow Rich“ in der
Hand. Ein Mädchen hat es sich am offenen Fenster bequem gemacht. Mehrere in
der Klasse lesen Jugendbücher, etwa „Girl in Pieces“, bei denen sie auch
schon ziemlich am Ende sind, andere den Dauerbrenner „Gregs Tagebuch. Eine
Schülerin hält einen Diogenes-Krimi mit dem Titel „Nachtschein“ in der
Hand. Hier lesen alle leise, ohne das Murmeln, das die Siebtklässler noch
begleitet hat. Die Handys stehen vorn bei den Lehrer*innen, die
Schüler*innen geben sie vor dem Unterricht ab.
Die Schulstunde nach dem Leseband, sagen manche Lehrer*innen, sei die beste
Stunde des Tages. „Sie kommen meist etwas aufgeregt aus der Pause. Nach dem
Leseband sind sie entspannt“, er könne dann sehr gut mit den
Schüler*innen arbeiten, sagt etwa ein Deutschlehrer an der Schule.
Leart findet sein Buch spannend, mit nach Hause will er es aber nicht
nehmen. „Da lese ich eher am Handy“, sagt er. „Wenn in den Texten Wörter
sind, die ich nicht kenne, dann google ich“, erzählt Leart. „Aber manchmal
lese ich auch einfach weiter, wenn ich zu faul bin, die Seite zu wechseln.“
16 Jul 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Lesen
Bildung
Nachhaltigkeit
Kürzungen
Katharina Günther-Wünsch
Bildungschancen
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