# taz.de -- Kürzungen in Berlin: „Bildung ist mehr als nur Schule“ | |
> Der Kinderkulturmonat ist von Kürzungen betroffen. Wegen fehlender Mittel | |
> steht die Teilhabe von Kindern auf dem Spiel, sagt die Geschäftsführerin. | |
Bild: Kinderkulturmonat: Kinder entdecken die vielfältigen Eigenschaften von G… | |
taz: Frau Benedict, Ihrem Projekt „Kinderkulturmonat“ wurde 2025 | |
schlagartig ein Drittel des Etats gestrichen. Wie macht sich das bemerkbar? | |
Chris Benedict: Wir können zwar ein Kulturprogramm organisieren, aber es | |
bleibt nur ein Programm. Der soziale Anspruch, der ganz zentral für das | |
Projekt ist, gerät nun in Gefahr. Uns ging es nie primär um das | |
Stammpublikum, das im Kinderkulturmonat kostenlos in die | |
Kultureinrichtungen kommt. Wir wollten die [1][Kinder und Familien | |
erreichen, die sonst nicht die Möglichkeiten oder Zugänge haben] – aus | |
finanziellen, sprachlichen oder Anbindungsgründen. Sehr viele Fäden, die | |
wir durch die Stadt gesponnen haben, wurden jetzt einfach durchgeschnitten. | |
Der Effekt der Kürzungen ist, dass weniger Kinder teilhaben können. Viele | |
Netzwerke, Strukturen und auch Mitarbeitende sind weggebrochen. | |
taz: Wie sieht es konkret mit der Finanzierung aus? | |
Benedict: Aufgrund der Haushaltspolitik müssen wir jedes Jahr aufs Neue | |
schauen, wie es finanziell weitergeht. Wir werden aus drei Ressorts | |
gefördert: von der Kulturverwaltung, vom Landesamt für | |
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF, bei der Senatsverwaltung für Integration | |
angesiedelt, Anm. d. Red.) und – als bisheriges Grundgerüst – von der | |
Bildungsverwaltung. Mit Letzterer haben wir unser großes Netzwerk | |
aufgebaut. Doch in diesem Jahr wurde das Projekt | |
Kinderkulturmonat-Netzwerke relativ plötzlich und unangekündigt gestrichen. | |
[2][Von Streichungen und Kürzungen waren auch andere Programme der | |
kulturellen Bildung betroffen], beispielsweise „Bauereignis Schule“, | |
„Kulturagenten“ oder „Querklang“. | |
taz: Sie bezeichnen Ihre zahlreichen Kooperationen mit Schulen oder Kitas | |
als Netzwerke. Wissen Sie, warum die Gelder dafür so plötzlich gestrichen | |
wurden? | |
Benedict: Wir können nur spekulieren. Natürlich haben wir in der | |
Senatsverwaltung nachgefragt. Die Bildungsverwaltung sagte, es gebe | |
Kürzungsdruck und sie sehe uns als Schnittstellenprojekt, das aus mehreren | |
Ressorts gefördert wird, eher bei der Kultur. Die Mittel haben sie aber | |
nicht übertragen, insofern geht diese Argumentation nicht wirklich auf. Wir | |
denken, die Entscheidung ist eine politische Schwerpunktsetzung. | |
Kulturelle, queere und politische Bildung werden in der derzeitigen | |
Bildungsverwaltung und Landesregierung wohl nicht mehr als wichtige | |
Bestandteile des Bildungsauftrags verstanden. | |
taz: Sie werden erst seit 2024 von der Kulturverwaltung gefördert. Wenn man | |
sich die Zahlen anschaut, sind Ihre Fördergelder nun wieder auf dem Niveau | |
von 2023. Trotzdem sagen Sie, dass Sie wesentliche Netzwerke, die Sie seit | |
13 Jahren aufbauen, nicht fortführen können. Wie kann das sein? | |
Benedict: Der Vergleich mit 2023 ist irreführend. Damals gab es massive | |
Fehlbedarfe, einige Module konnten gar nicht umgesetzt werden. | |
Beispielsweise gab es weder Kita-Parcours noch mobile Kulturangebote im | |
Festivalprogramm. Unser Projekt hat in den Anfangsjahren den Aufbau der | |
Netzwerke zunächst vor allem ehrenamtlich geleistet und sich danach | |
kontinuierlich weiterentwickelt. Gleichzeitig haben wir entlang von | |
Bedarfen und Förderzusagen Kooperationen geschaffen, die nur mit | |
professionellen Strukturen und einer Anzahl von Mitarbeitenden wie 2024 zu | |
stemmen sind. | |
taz: Sie richten sich an Kinder aus sozial benachteiligten Bezirken. | |
Benedict: Genau, das war unser Ansatz. Durch die Kooperationen direkt in | |
Stadtteile zu gehen, die als sozial benachteiligt gelten und in denen es | |
wenige Kulturangebote gibt. Dort konnten wir ganz praktisch sagen: Hey, wir | |
machen jetzt vor Ort einen Schnupperkurs und in zwei Wochen gibt es den | |
Kinderkulturmonat für euch. So konnten wir den Kindern zeigen, dass | |
Kulturprogramm zur Freizeit dazugehören kann. Jedes Jahr haben wir an | |
mindestens 10 Grundschulen Projektwochen mit Kunstworkshops und Ausflügen | |
organisiert. All das findet nicht mehr statt. [3][Die Kinder und Familien | |
haben eine Möglichkeit verloren, kulturelle Bildung in ihrem Alltag zu | |
erfahren.] | |
taz: Woher wissen Sie über die soziale Herkunft der Kinder Bescheid? | |
Benedict: Wir machen Besucherumfragen. Natürlich fragen wir nicht nach | |
sozialen Hintergründen, aber zum Beispiel nach den Anfahrtswegen oder der | |
Postleitzahl. Daran können wir ein wenig ablesen, wen wir so erreichen. | |
Außerdem wissen wir bei den Ausflugsteilnehmern aus | |
Geflüchtetenunterkünften oder Jugendfreizeiteinrichtungen, aus welchen | |
Kontexten sie kommen. | |
taz: Welche Auswirkungen haben die Streichungen für die Kids? | |
Benedict: Das ist eine Einschränkung der Möglichkeiten zur Selbstentfaltung | |
und Selbstwirksamkeit von Kindern. Theater- und Kunstworkshops bieten die | |
Gelegenheit zur Auseinandersetzung miteinander, mit sich selbst und mit der | |
Welt da draußen. Gerade nach der Pandemie und in dieser krisengeschüttelten | |
Zeit können wir beobachten, wie vereinzelt die Kinder beim Wegbrechen von | |
Kultur- und Jugendarbeit sind und wie empowernd solche Programme für sie | |
sind. Das wird vielen von ihnen nun geraubt. Umso schlimmer ist das, weil | |
diese Stadt sehr viel zu bieten hat. Aber wenn Projekte wie unseres nicht | |
mehr stattfinden, ist das tolle Kulturangebot leider nur einem kleinen Teil | |
der Stadtgesellschaft zugänglich. | |
taz: Kann der nächste Kinderkulturmonat im Oktober den sozialen Anspruch | |
noch erfüllen? | |
Benedict: Wir hoffen, dass Kinder, die einmal da waren, wiederkommen. Aber | |
die aktive Arbeit vor Ort mit den Partnereinrichtungen, bei denen wir | |
clustern, wo wir Brücken bauen, ist nicht mehr möglich. Die Teilnehmer | |
werden deshalb diesmal sehr zufällig sein. Dank der Förderung des LAF | |
können wir wenigstens noch Kinder aus Geflüchtetenunterkünften zu uns | |
bringen. | |
taz: Werden die Netzwerke in Zukunft überhaupt wieder aufgebaut werden | |
können? | |
Benedict: (lacht) Was einmal zerstört ist, kann nur schwer wieder | |
reaktiviert werden. Wir bräuchten eine andere Finanzierung oder müssten | |
unseren Haushaltstitel zurückbekommen, um weiter mit Bildungsträgern | |
arbeiten zu können. Wir geben den Kampf natürlich nicht auf und stellen | |
überall Finanzierungsanträge. Doch die Förderstellen sind wahnsinnig | |
überrannt. Dieser Konkurrenzdruck ist wegen der Kürzungen und Streichungen | |
so hoch wie nie zuvor. Deshalb stehen die Chancen für alle Bewerber sehr | |
gering. Wir finden weiterhin, dass kulturelle Bildung auch in die | |
Bildungsverwaltung gehört. Sie ist zum Beispiel Teil der Jugendarbeit, das | |
ist im Sozialgesetzbuch geregelt. Es bräuchte vom Bildungssenat ein | |
verbindliches Bekenntnis zur kulturellen Bildung – denn Bildung ist mehr | |
als nur Schule. | |
30 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Klarissa Krause | |
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