# taz.de -- Künstler mit Nähe zu Putin: Oh Kunst, ach Freiheit! | |
> Opernstar Anna Netrebko singt in Berlin unter Protest, Waleri Gergijew | |
> dirigiert nach Protesten nicht in Italien. Darüber zu streiten, ist ein | |
> schönes Privileg. | |
Bild: Fehlt nur ein wenig Blau: Anna Netrebko singt in Berlin, 22. Juli 25 | |
Stellen Sie sich vor, es ist Krieg, und viele gehen hin – wie zum Beispiel | |
[1][in dieser Woche auf den Gendarmenmarkt im Herzen Berlins.] Die einen, | |
weil sie sich beim Classic Open Air an den Arien der | |
russisch-österreichischen Opernsängerin Anna Netrebko ergötzen wollen. Die | |
anderen, oft die blau-gelbe Flagge der Ukraine über den Schultern, um | |
gegen diese „Schande“ zu protestieren: ausgerechnet einer Frau in Berlin | |
eine Bühne zu geben, die, um es vorsichtig zu formulieren, [2][einer | |
gewissen Nähe] zu Kremlchef Wladimir Putin nicht unverdächtig ist. | |
Das gilt in noch weitaus krasserem Ausmaß für den Stardirigenten [3][Waleri | |
Gergijew]. Der Putin-Freund, als Leiter des Moskauer Bolschoi-Theaters und | |
Intendant am Petersburger Mariinsky Theater ohnehin gut im Geschäft, hätte | |
sich in dieser Woche im süditalienischen Caserta die Ehre geben sollen. Das | |
Event wurde jedoch nach [4][lautstarken,] auch internationalen Protesten | |
abgesagt. Interessanterweise gaben die Veranstalter die Sorge vor | |
Unmutsbekundungen ukrainischer Organisationen vor Ort als einen Grund für | |
ihre Entscheidung an. | |
Die Frage, ob russische Künstler*innen derzeit im Westen die Gelegenheit | |
bekommen sollten aufzutreten, führt immer wieder zu kontroversen Debatten, | |
vor allem seit dem Beginn von Putins groß angelegtem Angriffskrieg gegen | |
die Ukraine am 24. Februar 2022. Diejenigen, die sie mit Ja beantworten, | |
führen Argumente an, die nicht so einfach vom Tisch zu wischen sind. So ist | |
die [5][Freiheit der Kunst ein kostbares Gut.] Auch unterschiedslos alle | |
russischen Kulturschaffenden für die verbrecherische Politik von Putins | |
Regime in Kollektivhaftung zu nehmen, schießt, um im Bild zu bleiben, über | |
das Ziel hinaus. | |
Sollen Musiker*innen, Literat*innen und bildende Künstler*innen | |
künftig einem Gesinnungscheck unterzogen werden oder eine Erklärung abgeben | |
müssen, dass sie gegen Putin seien? Zudem soll es ja auch Menschen geben, | |
die im Laufe ihres Lebens wirklich zu neuen Ein- und Ansichten gelangen. | |
Einmal Putin-Unterstützer, immer Putin-Unterstützer? Nun ja. | |
## Moskaus kulturelle Aufrüstung | |
Wer jedoch in diesem Zusammenhang darüber schwadroniert, dass doch gerade | |
Kultur Brücken bauen und Möglichkeiten für einen Dialog schaffen könne, | |
hängt einem Irrglauben an. Denn auch an dieser Front hat Moskau massiv | |
aufgerüstet, und das nicht erst seit gestern. Dass über russische | |
Kultureinrichtungen im Ausland Kremlpropaganda verbreitet wird, auch mit | |
dem Ziel, bestimmte Territorien auf ihre „Befreiung“ vorzubereiten, ist | |
ein offenes Geheimnis. | |
Was die Ukraine angeht, tobt bereits ein veritabler Kulturkrieg, um die | |
Auslöschungsfantasien des Kreml in die Tat umsetzen. Die ukrainische | |
Sprache, russischer Lesart zufolge inexistent und in Wahrheit nichts | |
anderes als „fehlerhaftes Russisch“, wird, wo immer möglich, getilgt. Das | |
zeigt das Beispiel ukrainischer Kinder, die zu Zigtausenden gegen ihren | |
Willen in die Russische Föderation verschleppt und dort „umerzogen“ wurden | |
und werden. Vor Bauwerken des Unesco-Weltkulturerbes in der Ukraine machen | |
russische Bomben ebenso wenig Halt wie vor Theatern: Bretter, die die Welt | |
bedeuten, aber nur dann, wenn es die russische ist. | |
Kritiker*innen der Ukraine wenden ein, dass dort russische Literatur | |
aus Buchhandlungen verschwindet, russische Filme in Kinos nicht mehr | |
gezeigt und Denkmäler von Alexander Puschkin [6][geschliffen werden]. Wohl | |
wahr und leider ein klares Indiz dafür, dass Kultur vor allem für die | |
Ukrainer*innen als etwas, das Grenzen überwinden und Menschen verbinden | |
kann, ausgedient hat. Und das auf unabsehbare Zeit und vielleicht auch noch | |
viele Jahre nach dem Ende dieses schrecklichen Kriegs. | |
Diesen Umstand sollten sich vielleicht all diejenigen vergegenwärtigen, die | |
Kulturveranstaltungen organisieren. Einladungspraxis heißt hier das | |
Zauberwort. Vielleicht ist es vielen einfach egal, solange der Euro rollt | |
und lohnende Einnahmen zu erwarten sind. Überhaupt: Warum sollte es | |
ausgerechnet in der Kultur, noch dazu vielfach chronisch unterfinanziert, | |
anders laufen als in Politik und Wirtschaft. Fest an der Seite der Ukraine, | |
heißt es doch immer so schön. Bekanntlich war das aber noch nie ein | |
Hindernis, [7][um lukrative Geschäfte mit Russland zu machen.] | |
Andere, die die neuen Realitäten sehr wohl zur Kenntnis nehmen, sollten | |
sich genauer ansehen, wen sie sich da ins Haus holen. Wenn es, warum auch | |
immer, partout Anna Netrebko sein soll – bitte sehr. Der Kreml wird | |
Auftritte wie diesen zu schätzen und für seine Zwecke zu | |
instrumentalisieren wissen. Eine weitere Begleiterscheinung, die viele eher | |
weniger goutieren: Der Vortrag der Diva könnten durch Buhrufe gestört und | |
die Konzertbesucher*innen um ihr Stimm- und Klangerlebnis gebracht | |
werden. Doch das gilt es dann auszuhalten. | |
Die Kunstfreiheit ist schützenswert, keine Frage. Das Recht auf Meinungs- | |
und Versammlungsfreiheit in einer Demokratie und damit im Gegensatz zu | |
Russland, ist es nicht minder. | |
25 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Beruehmte-Opernsaengerin/!6102508 | |
[2] /Regisseur-ueber-Westen-im-Ukrainekrieg/!5838212 | |
[3] /Rauswurf-des-Stardirigenten-Gergijew/!5835531 | |
[4] https://www.ilmattino.it/de/ein_flashmob_fur_freiheit_in_caserta-8975895.ht… | |
[5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ein-fall-von-cancel-culture… | |
[6] /Krieg-in-der-Ukraine/!5850645 | |
[7] /Wie-Deutschland-den-russischen-Krieg-finanzierte/!6081569 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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