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# taz.de -- Selenskyj unter Druck: Ein Vertrauensbruch, den er sich gerade nich…
> Der ukrainische Präsident Selenskyj hat mit seinem Vorgehen gegen
> Korruptionsbekämpfung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt Proteste
> provoziert.
Bild: Protest gegen das Gesetz Nr. 12414, in Lemberg, Ukraine, am Donnerstag, 2…
Das [1][Gesetz Nr. 12414] überschattet gerade alle anderen Probleme in
der Ukraine. Wegen dieses neuen Gesetzes zieht es Tausende in der Ukraine
auf die Straße – und das mitten im Krieg. Bislang war das undenkbar. Doch
dass das Parlament am Dienstag in einem intransparenten Schnellverfahren
das Gesetz verabschiedete, empfanden viele Ukrainer:innen als Affront.
Spätestens, als Präsident Selenskyj es am Abend desselben Tages
unterzeichnete und damit in Kraft setzte, während die Menschen zur gleichen
Zeit [2][vor seiner Nase demonstrierten], war die rote Linie überschritten.
Damit provozierte Selenskyj einen nicht so schnell wiedergutzumachenden
Vertrauensbruch.
Dem Gesetz zufolge sollen die bisher unabhängig agierenden
Antikorruptionsbehörden – das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und
die Sonderstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung (SAP) – dem
politisch ernannten Generalstaatsanwalt unterstellt werden. Das wiederum
bedeutet, dass der Präsident und sein Umfeld künftig unliebsame
Nachforschungen gegen ihre Leute einfach unterbinden können. Die Vermutung
liegt nahe, dass das mit den kürzlich erhobenen Korruptionsvorwürfen
zusammenhängt, bei denen Personen im Visier sind, die dem Präsidialamt
nahestehen, darunter der ehemaligen Vizeministerpräsident Olexij
Tschernyschow.
Dieses undemokratische Vorgehen schneidet den Ukrainer:innen so tief ins
Mark, dass sie trotz der Bedrohung von außen, trotz der ständigen
nächtlichen Luftangriffe und des damit verbundenen Schlafmangels laut
demonstrieren. Denn NABU und SAP haben sie erkämpft: vor rund zehn Jahren,
als die Ukrainer:innen mit den Maidan-Protesten gegen die Autokratie
unter Präsident Wiktor Janukowytsch vorgingen.
Die Abschaffung der Behörden bedeutet einen Rückschritt, der auch die von
vielen in der Ukraine herbeigesehnte EU-Integration des Landes gefährdet.
Die beiden Antikorruptionsbehörden waren in Kooperation mit westlichen
Partnern entwickelt worden. Die EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos
äußerte auf X ernsthafte Besorgnis und betonte, dass unabhängige Behörden
wie NABU und SAP „essenziell für den EU-Weg der Ukraine“ seien.
In Kyjiw und vielen anderen Städten des Landes demonstrieren seit Dienstag
jeden Abend die Massen: junge Menschen, Linke und Rechte,
Zivilist:innen und Soldat:innen, Veteran:innen, die für die
Souveränität der Ukraine ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben und deshalb als
Held:innen gelten. Die Botschaften auf ihren selbst gebastelten
Kartonschildern sind unmissverständlich: „12414, fick dich“ und „Hanba!�…
(Schande!), das schon bei den Maidan-Revolutionen verwendet wurde.
## Beschwichtigung nach hinten los gegangen
Der ukrainische PEN veröffentlichte einen Appell, in dem er den Präsidenten
und das Parlament auffordert, „die Risiken abzuwägen und die notwendigen
Schritte zu unternehmen, um das Gesetz aufzuheben und damit der
ukrainischen Gesellschaft und den europäischen Partnern die Treue zur
europäischen Entscheidung der Ukraine zu bekräftigen“. Viele
zivilgesellschaftliche Akteure wie das mit dem Friedensnobelpreis
ausgezeichnete Center for Civil Liberties und Transparency International
Ukraine veröffentlichten eigene Stellungnahmen.
Dass Selenskyj nach den ersten Protesten zunächst beteuerte, die
Antikorruptionsinfrastruktur werde weiterhin funktionieren, nur ohne
russischen Einfluss, von dem es bereinigt werden müsse, schien die Menschen
noch wütender zu machen. Denn diesen angeblichen russischen Einfluss konnte
Selenskyj nicht belegen. Am Donnerstag folgte ein weiterer
Beschwichtigungsversuch: ein neuer Gesetzentwurf zur Stärkung der
Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der ukrainischen
Antikorruptionsbehörden. Parallel dazu reichten 48 Abgeordnete
verschiedener Parteien einen eigenen Gesetzentwurf zur Wiederherstellung
der Unabhängigkeit der beiden Antikorruptionsbehörden zur Abstimmung ein.
Doch das Parlament hat Sommerpause, es muss eine außerordentliche Sitzung
einberufen werden.
Die Proteste halten an und zeigen deutlich, dass die Demokratie in der
Ukraine mit ihrer aktiven Zivilgesellschaft selbst nach dreieinhalb
zermürbenden Kriegsjahren funktioniert. Seit Beginn der Großinvasion
herrschte eine stillschweigende Vereinbarung darüber, im Angesicht der
existenziellen Bedrohung aus Russland über Fehler im Inneren hinwegzusehen.
Damit ist es vorbei. [3][Selenskyj], der bislang eine beliebte
Führungsfigur war und das Land zuverlässig durch schwere Zeiten navigierte,
sägt jetzt an dem Ast, auf dem er sitzt. Der droht jeden Moment
abzubrechen.
25 Jul 2025
## LINKS
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[3] /Ukraine/!6103718
## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
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