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# taz.de -- Arbeitskräftemangel auf dem Westbalkan: Mehr als die Helfer in der…
> Die Länder des Westbalkans haben wie andere Staaten in Europa ein
> Arbeitskräfteproblem. Ausgerechnet eine stigmatisierte Gruppe könnte
> helfen: die Roma.
Bild: Karussell-Betrieb in Serbien: Roma sind die jüngste und dynamischste eth…
Der Westbalkan – Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Kosovo, Montenegro und
Bosnien und Herzegowina – hat ein Problem: Die Bevölkerung altert und junge
qualifizierte Arbeitskräfte wandern ab in europäische Länder, die einen
leichteren und schnelleren sozialen Aufstieg versprechen. Ihr Ziel sind vor
allem Länder wie Deutschland, Österreich und Italien. Ein Fünftel der
Bevölkerung der Westbalkanländer lebt mittlerweile im Ausland, vor allem in
der Europäischen Union. Dadurch entsteht auf dem Westbalkan ein akuter
Mangel an qualifizierten Arbeitskräften – wie andernorts in Europa zwar
auch, aber auf dem Westbalkans scheint das Problem indes besonders stark zu
sein. Serbien beispielsweise wird bis 2050 voraussichtlich über 40 Prozent
seiner erwerbsfähigen Bevölkerung verlieren, andere Länder der Region
zwischen 20 und 25 Prozent. Hinzu kommt, dass die auch in den Ländern des
Westbalkans fortschreitende Digitalisierung Geringverdiener, bildungsferne
und diskriminierte Gruppen wie Roma-Arbeiter davon ausschließt, sich aus
schlechten und schlecht bezahlten Jobs herauszuarbeiten.
Doch inmitten dieser Arbeitskräftekrise versteckt sich eine Lösung: die
Roma. Als jüngste und dynamischste ethnische Bevölkerungsgruppe in der
Region sind Roma-Gemeinschaften in der Regel mehrsprachig, anpassungsfähig
und unternehmerisch. Und so können Investitionen in ihre wirtschaftliche
Stärkung nicht nur dazu beitragen, den Arbeitskräftemangel zu beheben,
sondern auch gegenüber Roma tief verwurzelte Stereotype in Frage zu stellen
und deren soziale Inklusion zu stärken.
Etwa [1][10 bis 12 Millionen Roma leben in Europa, von ihnen rund 6
Millionen in der Europäischen Union]. Bis 2035 dürften zwischen 14 und 29
Prozent aller neuen Beschäftigten in Serbien Roma sein. Doch es gibt ein
Hindernis: Den Westbalkanländern gelingt es nicht stark genug, junge
Menschen mit den für den Arbeitsmarkt erforderlichen Fähigkeiten
auszustatten. Viele 15- bis 24-Jährige werden als NEETs eingestuft: Not in
Education, Employment or Training, also junge Menschen, die weder in eine
Ausbildung noch in eine Beschäftigung oder in eine Fortbildung eingebunden
sind.
Diese Situation ist für die Roma, von denen zwei Drittel dieser Gruppe
angehören, noch schlimmer. [2][Vorurteile und Diskriminierung] bei
Einstellungsverfahren schließen Roma nach wie vor von Jobs aus, obwohl sie
Potenzial haben. Eine Lösung dafür wäre, in die Roma-Gemeinschaft zu
investieren. Roma sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe des
Westbalkans. [3][Schätzungen der Weltbank zufolge könnte die Integration
der Roma in den Arbeitsmarkt erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringen].
Allein in Serbien könnte eine Produktivitätssteigerung dem Land bis zu 1,28
Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Im Gegenzug dazu würden die Ausgaben
für Sozialhilfe sinken, etwa um 78,1 Prozent und 317 Millionen Euro pro
Jahr.
Werden Roma weiterhin vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, kann sich die
Wirtschaft jener Länder, in denen Roma vorrangig leben, nicht dauerhaft gut
entwickeln. Das zeigen Erfahrungen aus der Slowakei. Der Internationale
Währungsfonds warnte vor einer wirtschaftlichen Stagnation, wenn die
Beschäftigungszahlen unter Roma, Frauen und älteren Menschen nicht steigen.
Investitionen in Roma-Gemeinschaften sind daher nicht nur ein moralisches
Gebot, sondern vor allem eine wirtschaftlich sinnvolle Strategie.
Ausbildungsprogramme für Roma-Jugendliche in defizitären Berufen können
schnell Gewinne abwerfen, darunter in der Hotellerie, in der
Dienstleistungsbranche, im Baugewerbe, im Vertrieb.
Helena Dalli, die ehemalige EU-Kommissarin für Gleichstellung, forderte in
ihrer Amtszeit die EU-Mitgliedstaaten auf, ihre nationalen Pläne
hinsichtlich „Antiziganismus, Rassismus gegen Roma, Segregation und
Diskriminierung“ zu überpüfen. „Die Schaffung angemessener nationaler
Rahmenbedingungen ist nur die Hälfte der Arbeit. Wir müssen auf
verschiedenen Ebenen parallel handeln, um die gesteckten Ziele zu
erreichen“, sagte Dalli. Unterdessen wächst vielerorts die öffentliche
Unterstützung für Investitionen in Roma-Gemeinschaften. Eine [4][Umfrage
ergab, dass drei von vier Bürgern auf dem Westbalkan staatliche Mittel für
Roma unterstützen.] Zwei Drittel der Befragten sind der Meinung, dass Roma
bei der Beschäftigung im öffentlichen Sektor besondere Priorität erhalten
sollten.
## Roma wollen arbeiten
Darüber hinaus hat die Sicherung von Arbeitsplätzen für die Roma selbst
oberste Priorität – was einem weit verbreiteten Stereotyp entgegensteht,
dass sie nicht arbeiten wollen. Damit solche Investitionen erfolgreich
sind, ist es allerdings wichtig, mit von Roma geführten Organisationen
zusammenzuarbeiten, die über die erforderliche Expertise, das Vertrauen und
die Flexibilität verfügen. Organisationen wie der Roma Education Fund und
die Roma Entrepreneurship Development Initiative – beide Mitglieder des
Roma Foundation for Europe Network – haben das mit Programmen von der
Berufsausbildung bis hin zur Unternehmensberatung bereits bewiesen.
Durch die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen können Regierungen und
Unternehmen über traditionelle Bildungs- und Rekrutierungsmodelle
hinausgehen und einen integrativeren Arbeitsmarkt schaffen. Solche
Partnerschaften können dazu beitragen, die Arbeitskräftekrise in der Region
zu bewältigen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und die
Roma-Gemeinschaften aus der Armut zu befreien.
Das Potenzial der Roma-Bevölkerung, zur Arbeitswelt beizutragen und das
Wirtschaftswachstum auf dem Westbalkan voranzutreiben, ist enorm. Jetzt ist
es an der Zeit, zu handeln. Indem dieses Potenzial erkannt und genutzt
wird, kann der Westbalkan die Herausforderungen im Arbeitskräftebereich
überwinden und eine wohlhabendere und integrativere Zukunft für alle
Bürger aufbauen.
30 Jul 2025
## LINKS
[1] https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/policies/justice-and-funda…
[2] /Antiziganismus-in-Schleswig-Holstein/!6091586
[3] https://documents1.worldbank.org/curated/en/994401560763568796/pdf/Closing-…
[4] https://osteuropa.lpb-bw.de/sinti-roma-eu
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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Fachkräftemangel
Sinti und Roma
Arbeitsmarkt
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Bosnien-Herzegowina
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Antiziganismus
Verband Deutscher Sinti und Roma
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