# taz.de -- Forscherin über Genderbias im Fußball: „Ein Schema funktioniert… | |
> Fußballerinnen haben andere Trainingsbedürfnisse als Fußballer. Für die | |
> fehlen jedoch oft Ressourcen, auch bei der Forschung ist noch Luft nach | |
> oben. | |
Bild: Für Verletzungen am Knie sind Fußballerinnen wie Giulia Gwinn anfällig… | |
taz: Frau Shakalio, Fußball ist doch Fußball – warum sollten Frauen anders | |
trainieren als Männer? | |
Saba Shakalio: Frauen sind anatomisch und hormonell anders als Männer und | |
haben andere körperliche Bedürfnisse. Deshalb ist es wichtig, | |
geschlechterspezifisch zu trainieren. Ein Trainingsplan sollte aber auch | |
unabhängig vom Geschlecht ohnehin immer so individuell wie möglich sein. | |
Ein Schema funktioniert nie für alle. Technik und Taktik trainiert das Team | |
natürlich gemeinsam, aber die Athletikeinheiten nicht. So lassen sich | |
Schwächen gezielt verbessern, denn bei einer fehlt die Kraft, bei der | |
anderen die Ausdauer. | |
taz: Berücksichtigen Frauenfußballvereine diese Unterschiede, oder kopieren | |
sie die Trainingspläne von Männerteams? | |
Shakalio: Das kann ich im Detail nicht beantworten. Aber ich weiß, dass | |
geschlechtsspezifische physiologische Unterschiede sowohl in der Physio- | |
und Trainerausbildung als auch dem Studium der Sportwissenschaften quasi | |
nicht vorkommen. | |
taz: Bieten die Strukturen im deutschen Frauenfußball denn überhaupt die | |
Voraussetzungen, individuelles Training umzusetzen? | |
Shakalio: Die Vereine in der ersten Bundesliga machen das schon. Die haben | |
Athletikteams und regelmäßige Leistungsdiagnosen. Ich weiß nicht, ob das | |
bei vielen Vereinen der zweiten Bundesliga der Fall ist. In allen | |
niedrigeren Spielklassen sind die Voraussetzungen jedenfalls nicht gegeben. | |
taz: Was sind die Konsequenzen? | |
Shakalio: Wenn Spielerinnen nicht ganzheitlich trainieren, verletzen sie | |
sich schneller und häufiger. Außerdem können sie ihr Potenzial nicht | |
ausschöpfen: Wir sehen seit Jahren von Turnier zu Turnier, dass die | |
Spielerinnen schneller werden und sich die Qualität ihres Spiels | |
verbessert. Das heißt, es gibt noch immer eine Leistungsreserve, die mit | |
besseren Trainingsbedingungen abgerufen werden könnte. Darin zeigt sich ein | |
sogenannter Gender-Ressourcen-Gap: Viele Vereine haben nicht genügend | |
medizinisches Personal, Trainerteams und Krafträume. | |
taz: Wie zeigen sich denn die anatomischen und hormonellen Unterschiede bei | |
Fußballerinnen und Fußballern konkret? | |
Shakalio: Frauen haben zum Beispiel eher langsam zuckende Muskelfasern und | |
sind dadurch ausdauernder und widerstandsfähiger. Männer haben eher schnell | |
zuckende Muskelfasern, bauen deshalb schneller Kraft auf, sind aber auch | |
schneller erschöpft. Entsprechend müsste bei Fußballerinnen | |
Schnelligkeitstraining eine größere Rolle spielen, also etwa Muskelaufbau | |
in den Beinen und Sprinteinheiten. Außerdem haben Fußballerinnen, anders | |
als Fußballer, einen Menstruationszyklus. | |
taz: Welche Rolle spielt der Zyklus bei der sportlichen Leistungsfähigkeit? | |
Shakalio: [1][Die Wissenschaft ist bei dem Thema aktuell zerstritten.] | |
Bisher wissen wir nur: Die physiologischen Leistungen verändern sich im | |
Laufe des Zyklus eher wenig, aber Frauen erleben das subjektiv oft anders. | |
Und das ist entscheidend, schließlich spielen Selbstbewusstsein und | |
Motivation beim Sport eine riesige Rolle. Ein Zyklus ist außerdem sehr | |
individuell. [2][Manche Frauen haben mehr, andere weniger | |
Hormonschwankungen, manche habe starke, andere gar keine Schmerzen.] | |
Deshalb ist es schwierig, einen Gruppeneffekt zu ermitteln. Es gibt aber | |
auch einfach zu wenig Forschung zu diesem Thema. | |
taz: Wie kommt das? | |
Shakalio: Es gibt eine Art Doppelmoral im Bereich der männerdominierten | |
Trainingswissenschaften: Viele schließen Frauen von den Studien aus, weil | |
sie den Zyklus nicht als Störfaktor haben wollen. Andererseits behaupten | |
sie, er spiele keine große Rolle, sodass sie ihre Ergebnisse ebenso auf | |
Frauen anwenden können. Das ist natürlich unlogisch, trägt aber dazu bei, | |
dass Frauen in der Forschung unterrepräsentiert sind. [3][Laut einer | |
Überblicksstudie aus dem Jahr 2014 waren nur 39 Prozent der | |
Proband:innen von insgesamt 1.400 Studien, die in drei wichtigen | |
sportmedizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, weiblich.] In nur 4 | |
bis 13 Prozent der Publikationen wurden ausschließlich weibliche | |
Teilnehmende untersucht, bei den Männern waren es 18 bis 34 Prozent. | |
taz: Gibt es Verletzungen, für die Fußballerinnen und Fußballer | |
unterschiedlich anfällig sind? | |
Shakalio: Fußballerinnen verletzen sich auffallend häufig am Kreuzband. Das | |
liegt unter anderem daran, dass sie tendenziell ein breiteres Becken und | |
weniger stabiles Bindegewebe haben. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass | |
der Menstruationszyklus die Anfälligkeit beeinflusst, aber es ist unklar, | |
wie genau. Eine Theorie besagt, dass Hormonschwankungen während des Zyklus | |
die Bänder zeitweise elastischer machen, sodass sie anfälliger für | |
Verletzungen sind. Eine andere, dass Frauen beim Fußballspielen mehr ins | |
Risiko gehen, wenn sie zyklusbedingt einen höheren Testosteronwert haben | |
als in anderen Phasen und sich dann häufiger verletzen. Mich überzeugen | |
diese Theorien nicht gänzlich, die Studienlage zu dem Thema ist einfach zu | |
dünn. [4][Die Fifa hat im Mai eine Studie in Auftrag gegeben, die aktuell | |
einen möglichen Zusammenhang zwischen Menstruationszyklus und | |
Kreuzbandrissen untersucht.] Entscheidend sind aber auch beim Thema | |
Verletzungen die sozialen Faktoren. | |
Wie beeinflussen soziale Faktoren Verletzungen? | |
Shakalio: Die Spielerinnen haben zum Beispiel meistens weniger Zeit für | |
Präventions- und Regenerationsprogramme. Während Fußballer schon in der | |
Regionalliga ihren Lebensunterhalt mit den Sport verdienen und versichert | |
sind, gibt es Fußballerinnen in der zweiten Bundesliga, die nebenbei | |
Vollzeit arbeiten. Das bedeutet ein höheres Stresslevel, weniger Zeit für | |
Erholung und deshalb ein höheres Verletzungsrisiko. | |
taz: Wie hoch ist die Bereitschaft von Trainern und Trainerinnen, sich mit | |
geschlechtsspezifischen Trainingsmethoden auseinanderzusetzen? | |
Shakalio: Ich erlebe, dass Trainerinnen im Schnitt offener dafür sind als | |
ihre männlichen Kollegen. Allein schon deshalb, weil sie vieles ja selbst | |
schon erlebt haben. Für Trainer ist das Ganze ein abstraktes Thema. Die | |
wissenschaftlichen Quellen sind ja teils noch widersprüchlich, und das | |
nehmen sie als Anlass, sich erst gar nicht mit dem Thema zu beschäftigen. | |
Es ist ihnen einfach zu kompliziert. [5][Eine Studie hat auch gezeigt, dass | |
Athletinnen das Thema Zyklus im Training offener ansprechen können, wenn | |
sie von einer Frau trainiert werden.] | |
taz: Gibt es auch beim Thema Ernährung geschlechtsspezifische Unterschiede? | |
Shakalio: Ich bin keine Ernährungswissenschaftlerin, aber es ist bekannt, | |
dass Athletinnen oft zu wenig essen. Sie spüren, neben dem Druck, sportlich | |
erfolgreich zu sein, oft auch den Druck, „weiblich“ auszusehen. Je nach | |
dem, wie wir das definieren, widerspricht sich das. Junge Frauen haben oft | |
Angst, Muskeln aufzubauen und mehr zu wiegen. Das ist auch im Frauenfußball | |
ein Problem. Wenn die Spielerinnen ihren Kalorienbedarf nicht decken, | |
können Menstruation und Eisprung ausfallen, die Knochendichte kann sich | |
verschlechtern und die Spielerinnen verletzen sich häufiger. | |
7 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Weiblicher-Zyklus-und-Sport/!6048874 | |
[2] /Wutausbrueche-vor-der-Menstruation/!6013414 | |
[3] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1080/17461391.2014.911354 | |
[4] https://www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/university-begi… | |
[5] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32957079/ | |
## AUTOREN | |
Marie Gogoll | |
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