# taz.de -- Frauenfußball in der Schweiz: Voran im Schneckentempo | |
> Die Schweizer reden mehr über den Frauenfußball. Ob die Meisterschaft | |
> langfristig die Sportart voranbringt oder nur kurzfristig hypt, bleibt | |
> die große Frage. | |
Bild: Schöne Kulisse, oft unschöne Zustände: Frauenfußball in der Schweiz | |
Marianne Meier ist beeindruckt. Es wird dieser Tage in der Schweiz so viel | |
wie noch nie über Fußballerinnen gesprochen. Allein [1][die herannahende | |
Europameisterschaft] hat schon einiges in Bewegung gebracht. Straßenbahnen, | |
erzählt die Historikerin von der Universität Bern, fahren in Basel, Genf, | |
Bern und Zürich ganz ins Turnierlogo gehüllt durch die Städte. Eine | |
öffentliche Schnitzeljagd wurde gestartet, um die Namen der nominierten | |
Spielerinnen, die mit Hinweisen versteckt wurden, häppchenweise zu | |
verkünden. Ähnlich [2][wurde dies bei der Männer-EM 2024 vom DFB | |
inszeniert]. | |
Wie selbstverständlich, berichtet Meier, würden in Gesprächen Namen von | |
Schweizer Nationalspielerinnen fallen, die vor kurzer Zeit kaum jemand | |
kannte. Selbst [3][die Pionierinnen, denen über Jahrzehnte mit größter | |
Ignoranz begegnet wurde], erfahren plötzlich späte Anerkennung. Das | |
öffentlich-rechtliche Schweizer Fernsehen (SRF) hat die mehrteilige Doku | |
„Kick it like Trudy“ herausgebracht. Trudy Moser hatte 1968 mit ihrer | |
Schwester Ursula mit dem Damenfußballclub Zürich den ersten offiziellen | |
Verein für Frauen und Mädchen in der Schweiz gegründet. Nun schnürten die | |
Wegbereiterinnen von einst für die Doku gar wieder ihre Fußballschuhe für | |
ein kurzes Match mit Nachwuchsspielerinnen. | |
Die Würdigung der Pionierinnen ist Meier ohnehin ein großes Anliegen. Ihre | |
Studiumsabschlussarbeit hat sie bereits 2004 dem Thema gewidmet. Vor der EM | |
hat sie mit Monika Hofmann noch einmal tiefer und breiter geschürft. Ihr | |
gerade erschienenes Buch zur Geschichte des Schweizer Frauenfußballs wurde | |
vergangene Woche in der Schweizer Hauptnachrichtensendung „Tagesschau“ | |
besprochen. | |
Viel mehr Aufmerksamkeit geht nicht. Und doch bleibt Marianne Meier | |
vorsichtig. Zu viel weiß sie über die Beschwerlichkeiten des Schweizer | |
Weges: „Ob das Turnier nur wie ein Durchlauferhitzer wirkt oder nachhaltige | |
Effekte hat, muss man abwarten.“ Die Erwartungen im Land an das eigene Team | |
seien wegen der vermeintlich leichteren Gruppengegnerinnen (Norwegen, | |
Island, Finnland) enorm hoch. | |
Die Zuversicht lässt sich nicht durch die jüngsten Ergebnisse begründen. | |
Erst vergangenen Donnerstag, im Testspiel gegen die Tschechinnen, die sich | |
nicht für die EM qualifiziert haben, konnte nach zuletzt acht sieglosen | |
Spielen der erste Erfolg (4:1) gefeiert werden. Ein weiterer Rückblick kann | |
sowieso nicht optimistisch stimmen. Zwar konnte sich die Schweiz erstmals | |
2017 für die Europameisterschaft qualifizieren und war auch beim Turnier | |
2022 dabei, über die Vorrunde aber schaffte man es jeweils noch nie hinaus. | |
## Kaum staatliche Förderung für die EM | |
Die Gleichzeitigkeit von Weiterentwicklung und Rückständigkeit hat den | |
Schweizer Frauenfußball nur im Schneckentempo vorankommen lassen. | |
Beispielhaft dafür ist die Entscheidung des Schweizer Bundesrats Anfang | |
2024, das EM-Turnier der Frauen mit nur 4 Millionen Schweizer Franken zu | |
fördern, die auch noch durch die Streichung anderer Sportprogramme | |
zusammengestückelt werden sollten. Für das EM-Turnier der Männer 2008, bei | |
dem die Schweiz nur Co-Gastgeber war, flossen noch 82 Millionen von | |
staatlicher Seite. Weil die öffentliche Empörung über diese Schräglage so | |
groß war, erhöhte der Nationalrat die Unterstützung für die Frauen-EM auf | |
15 Millionen Schweizer Franken. „Den Organisatorinnen und Organisatoren der | |
EM hätte nichts Besseres passieren können“, sagt Meier. Wären sofort 15 | |
Millionen Schweizer Franken bewilligt worden, hätte damals kaum jemand über | |
die EM gesprochen. | |
Diese kollektive Empörungserfahrung könnte weit über die EM von Bedeutung | |
sein. Breite Entrüstung über die Ungleichbehandlung von Fußballerinnen, das | |
ist ein neues Phänomen in der Schweiz. In den 1960er Jahren hatte man sich | |
noch wie vielerorts in Europa darüber empört, dass Frauen Fußball spielen | |
wollen. [4][Der Deutsche Fußball-Bund unterband dies] mit einem offiziellen | |
Verbot von 1955 bis 1970. In der Schweiz ging man dezenter über einen | |
Einzelfallentscheid vor. | |
Die zwölfjährige Madeleine Boll wurde 1965 zur ersten lizenzierten | |
Fußballspielerin der Schweiz, weil der Antrag ihres Trainers beim FC Sion | |
versehentlich durchging. Als die hoch begabte Fußballerin bei einem | |
Junioren-Vorspiel zu einer internationalen Männerpartie des Vereins gegen | |
Galatasaray Istanbul mitmischte und eine Welle von Medienberichten | |
auslöste, annullierte der Schweizer Fußballverband (SFV) flugs ihre Lizenz. | |
Die Begründung, erzählt Meier, sei bemerkenswert gewesen. Im | |
Spielreglement, hieß es, wäre nur von Spielern und nicht von Spielerinnen | |
die Rede. Plötzlich rückten die Funktionäre vom damals allgemein geltenden | |
Verständnis ab, mit der männlichen Form seien alle Geschlechter gemeint. | |
Anderen Pionierinnen, wie etwa die Geschwister Stahel aus dem Kanton | |
Aargau, wurde später die Aufnahme im SFV mit Verweis auf den Fall Boll | |
verweigert. | |
Weil es an Schiedsrichtern fehlte, eröffnete der SFV Fußballerinnen die | |
Möglichkeit, doch Unparteiische zu werden. Ein Angebot, auf die neutrale | |
Seite zu wechseln – auch das war eine besondere Lösung schweizerischer | |
Prägung. Einige ließen sich in der aussichtslosen Lage dazu überreden. 1966 | |
berichteten Medien über diese ersten offiziellen „Pfeifendamen“ in der | |
Schweiz. | |
## Meisterinnen sind die … Young Boys | |
Der erste informelle Verein, der FC Goitschel, wurde 1963 im Kanton Aargau | |
gegründet. Und der Sportjournalist Pierre Tripod schrieb damals: „Da sie | |
kein Stimmrecht haben, spielen junge Frauen in diesem Aargauer Dorf eben | |
Fussball. Man drückt sich halt so aus, wie man kann.“ Auch noch vor | |
Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz auf Bundesebene (1971) kam | |
es zur inoffiziellen Länderspielpremiere im November 1970 gegen Österreich. | |
Im selben Jahr hatte sich bereits ein selbstverwalteter Verband gebildet, | |
der dem SFV unterstellt war. Die Frauen machten ihr eigenes Ding ohne | |
nennenswerte Unterstützung ihrer Kontrolleure. | |
Die offizielle Länderspielpremiere folgte 1972 gegen Frankreich – zehn | |
Jahre bevor es in der BRD so weit war. In der DDR war den Frauen das | |
Fußballspielen nie verboten, das erste Länderspiel wurde aber erst 1989 | |
organisiert. So betrachtet liest sich die Entwicklung des Schweizer | |
Frauenfußballs dieser Jahre fast schon progressiv. | |
Dass dabei die populäre Skirennfahrerin Marie-Theres Nadig, die 1972 zwei | |
olympische Goldmedaillen gewonnen hatte, eine besondere Rolle spielte, | |
gehört auch zu den regionalen Besonderheiten der Geschichte des Schweizer | |
Frauenfußballs. Die Organisatoren in Basel schätzten, dass die Hälfte der | |
gut 4.000 Zuschauer bei der Länderspielpremiere wegen Nadig gekommen war, | |
die bei einem Vorspiel mitkickte. „Nadig hat einen maßgeblichen Anteil | |
daran, dass der Frauenfußball in dieser Zeit an Akzeptanz gewann“, sagt | |
Historikerin Meier. Der 1963 gegründete FC Goitschel war übrigens nach den | |
französischen Skirennfahrerinnen Marielle und Christine Goitschel benannt, | |
die in ihrer Freizeit auch Fußball spielten. | |
Doch warum haben die Schweizer Fußballerinnen trotz vergleichsweise | |
günstiger Ausgangsvoraussetzungen den Anschluss verloren? Meier hat einen | |
Grundwebfehler ausgemacht. „Bis heute“, sagt sie, „hängt die Entwicklung | |
des Fußballs der Frauen zu sehr von einzelnen Führungspersonen im SFV ab. | |
Es fehlt an einem gemeinsamen Selbstverständnis, einer Vision, was dem | |
Verband der Fußball der Frauen wert ist.“ | |
Insbesondere im Ligabetrieb gebe es einen großen Nachholbedarf. Die | |
Akteurinnen dort seien immer noch mit erstaunlichen Zuständen konfrontiert. | |
So berichtet Lara Dickenmann, die zweimal die Champions League gewann und | |
achtmal zur besten Fußballerin der Schweiz gewählt wurde, in einem | |
Interview für das Buch von Marianne Meier, wie sie bei ihrem Arbeitsbeginn | |
als Managerin des Frauenteams der Grasshoppers Zürich 2021 eine Art | |
„Besenkammer mit Dusche“ als Arbeitsraum zur Verfügung gestellt bekam. Und | |
sogar dafür musste sie kämpfen. Ihren Mantel und ihre Tasche habe sie erst | |
einmal auf den Boden legen müssen. | |
Zu den Spielen der Women’s Super League kamen in der vergangenen Saison im | |
Schnitt knapp 600 Zuschauer. Der Großteil des EM-Kaders (14) spielt eh im | |
Ausland. Doch auch aus der Liga gab es zuletzt positive Entwicklungen zu | |
vermelden. Vor gut 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauern wurde im Berner | |
Wankdorfstadion im Mai das Finalspiel der Saison ausgetragen. Die | |
Gastgeberinnen haben gegen die Grasshoppers gewonnen. Neue Meisterinnen | |
sind die Young Boys Frauen. Auch das gehört zu den Besonderheiten des | |
Schweizer Fußballs. | |
2 Jul 2025 | |
## LINKS | |
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[2] /Nominierung-des-EM-Kaders/!6007642 | |
[3] /Geschichte-des-Frauenfussballs/!6093159 | |
[4] /Jubilaeum-des-Frauenfussballs/!5720669 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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