# taz.de -- Queerer Widerstand in Tbilisi: Glitzer gegen Gewalt | |
> Mit den Anti-LGBTQ-Gesetzen wird Drag in Georgien zur widerständigen | |
> Kunstform. Wie Dragqueen Levau dem Klima zwischen Angst und Aufbruch | |
> trotzt. | |
Bild: Dragqueen Levau beim Dragball in Tbilisi, dem wichtigsten Dragevent Georg… | |
New York taz | Drag ist heute so wichtig wie noch nie in Georgien. Dabei | |
geholfen hat Dragqueen Levau. In einer der vielen kurvigen und steilen | |
[1][Straßen Tbilisis] liegt das Studio Levaus. Es ist voll mit Kostümen, | |
Klamotten und Perücken vieler vergangener [2][Dragshows]. Viele davon waren | |
Teil der Perfomances, die Drag in Georgien bekannt gemacht haben. Schon | |
früh entwarf Levau Kleidung, die Gendergrenzen sprengt. „Dieser Weg hat | |
mich zu Drag geführt und dazu, dass ich dieser Kunst komplett verfallen | |
bin.“ | |
Der alte Holzboden knarrt und eine kleine schwarze Katze tigert durch das | |
kreative Chaos. Auf dem Schrank liegen große, schwarze Latex-Tentakeln. | |
Dazwischen versteckt sich ein kleines Bett und ein noch kleinerer | |
Schreibtisch, voll mit Notizen und Skizzen für neue, noch ausgefallenere | |
Dragoutfits und Performances. „Bei Drag geht es um Verwandlung, | |
Transformation – das ist, was ich so liebe.“ | |
Levau ist aufgeregt und zurückhaltend, anders als auf der Bühne. Die | |
Figuren, die Levau bei den Shows zum Leben bringt, sind Frauen, die | |
besonders schlagkräftig und unabhängig sind. Lara Croft zum Beispiel. | |
„Bei meinem letzten Auftritt war ich eine Nachfahrin der Medusa. Sie war | |
ein Opfer des Patriarchats und ich bin gekommen, um sie zu rächen.“ | |
Levau zeigt auf dem Handy Videos des letzten Dragballs Anfang Juni, die | |
wichtigste Veranstaltung für die Dragcommunity [3][in Georgien]. Thema des | |
Abends ist: Bösewichte. | |
Im Insta-Reel trägt Levau eine blonde Perücke und einen hautengen pinken | |
Anzug. Darüber schwarz-rote tentakelige Auswüchse. Zum Ende des Auftritts | |
holt Levau ein Banner mit „Protect the Dolls“ auf die Bühne. Eine | |
Solidaritätsbekundung für die trans* Community Georgiens. Der Dragball | |
Anfang Juni wirkt wie eine düstere zeitgenössische Avantgardeshow mit | |
dystopischen Endzeitperformances. | |
Mit der [4][wachsenden Bedrohung] rückt die queere Community enger zusammen | |
– alle sind im „Flight- or Fight-Modus“. Seit Dezember 2024 gilt hier ein | |
neues Gesetz mit dem offiziellen Namen: „Gesetz über Familienwerte und den | |
Schutz von Minderjährigen“. Inoffiziell nennen es alle nur das | |
„Anti-LGBTQ*-Gesetz“. | |
## Repression kommt näher | |
Prides, Demonstrationen oder sonstige Versammlungen, sowie | |
Geschlechtsangleichungen oder Hormontherapien sind verboten. Dazu kommt, | |
dass im Fernsehen oder in den Schulen nicht mehr über queere | |
Lebensrealitäten gesprochen werden darf. | |
Es ist ein Gesetz, dass es so auch in Russland gibt. Dort hat es gleich | |
zwei Funktionen für die Regierung: Man gewinnt die Zustimmung der | |
Konservativen und kann gleichzeitig politische Gegner:innen diffamieren. | |
Die Folgen: Queere Clubs und Bars werden regelmäßig von der Polizei | |
gestürmt. In russischen Fernsehshows spricht man über den degenerierten | |
Westen und die EU, die die ganze Welt queer machen will. | |
Zumindest Letzteres passiert auch heute schon in Georgien. Die Frage, wann | |
eine der queeren Bars und die Dragshows gestürmt werden, scheint in Tbilisi | |
nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Viele aus der Szene haben aus Angst | |
das Land verlassen. | |
Geht es nach den rechten Politikern Georgiens, dann gehörten queere | |
Identitäten noch nie zum Land. Uta Bekaia weiß, dass das nicht stimmt. Er | |
veranstaltet eine der wichtigsten queeren Events überhaupt in Tbilisi, die | |
Eau de Cologne im weltberühmten Techno-Club Bassiani. Er gehört zu denen, | |
die Drag hier groß gemacht haben. In der Community kennen ihn alle. | |
„Viele Dragkünstler:innen bringen traditionelle kulturelle Elemente in | |
ihre Performances ein.“ Das reicht von Kleidung, Stoffen bis zu | |
traditionellen Tänzen, die in der georgischen Kultur tief verankert sind. | |
Einer der berühmtesten georgischen Tänze Kintouri stammt von [5][den | |
Kinto]. | |
So wurden im alten Georgien Außenseiter:innen genannt, die als | |
Händler:innen und Straßenkünstler:innen durch das Land zogen. Unter | |
ihnen soll es üblich gewesen sein, homosexuelle Beziehungen zu führen. Es | |
gibt sogar Berichte über Crossdressing. | |
## Ältere Tradition | |
In überlieferten Liedern der Kinto heißt es: „Wofür ist mein süßer Arsch | |
da, wenn nicht für meinen Bruder?“ oder „Und meine Frau, Annette, ist eine | |
Frau bei Nacht – aber früh morgens dann nicht mehr.“ | |
Für Bekaia und die Dragszene sind diese queeren Figuren in der georgischen | |
Geschichte unglaublich wichtig: „Für uns ist das etwas ganz Neues, | |
Authentizität durch die eigene Kultur zu finden. Wir sind nicht vom Mars | |
gekommen, queeres Leben gab es immer schon in Georgien.“ Dieses Leben will | |
man verteidigen. | |
Die Clubs und Bars von Tbilisi waren immer die [6][Safe Spaces], die die | |
queere Community brauchte, um sich in Georgien sicher zu fühlen. „Im Moment | |
sind die Clubs wie eine Festung“, sagt Bekaia, „Die Georgier:innen | |
lieben Techno. Viele, viele Leute sind mit viel Passion dabei. Deshalb sind | |
wir da sehr sicher, da traut sich die Regierung noch nicht dran.“ | |
Aber es ändert sich etwas. Bei den Einlasskontrollen nutzen die Clubs sogar | |
Gesichtserkennungssoftware. Dass sich etwas ändert, merkt auch die | |
Dragcommunity. Laut Bekaia sah es eine Zeitlang so aus, als ob Drag | |
Mainstream werden könnte in Georgien. 2023 war Drag sogar Teil der großen | |
Tbilisi Fashion Week. | |
„Heute müssen die Veranstalter:innen der Shows wieder aufpassen, wo | |
sie Werbung machen und wie sichtbar sie noch auftreten können. Die | |
Dragshows sind sicher, solange sie Underground sind, wenn sie in die | |
Öffentlichkeit gehen, dann wird es unsicher“, sagt Bekaia. | |
Der wichtigste Ort in Tbilisi für die Dragcommunity ist die Success Bar. | |
Besitzerin ist Nia. Es ist die älteste LGBTQ*-Bar Georgiens. Hier fand 2016 | |
auch die erste öffentliche Dragshow überhaupt in Georgien statt. Damals gab | |
es vielleicht eine Handvoll Dragqueens, viele performten vorher nur in | |
Garagen oder auf Privatpartys. Heute sind es etwa einhundert | |
Dragkünstler:innen. | |
Von außen sieht die Bar unscheinbar und wenig einladend aus. Der Innenraum | |
der Success Bar wird von einer dicken eisernen und vergitterten Tür | |
gesichert. Wer rein will, muss sich erst durch einen aufschiebbaren | |
Sichtschlitz begutachten lassen. Innen soll es dann bald eine ganz andere | |
Welt werden. | |
## Einigermaßen sicher in Tbilisi | |
Nia baut die Bar gerade um. Sie braucht mehr Platz für die Dragshows, die | |
immer beliebter werden. Noch ist überall Staub – auf dem Boden, den | |
Spiegeln. „Viele dachten, dass ich nicht wieder aufmachen würde, wegen dem | |
Gesetz“, sagt Nia, „Alle queeren Events und Locations haben sich gefragt, | |
ob man weitermachen kann.“ | |
Neben Bar, Bühne und Darkroom gibt es auch einen Notausgang, „falls die | |
Homophoben uns attackieren“. Völlig ausgeschlossen ist das nicht. In der | |
Vergangenheit kam es vereinzelt zu queerfeindlichen Angriffen. 2021 wollte | |
man in Tbilisi eine Pride veranstalten. Es kam zu Ausschreitungen, bei | |
denen ein Journalist tödlich verletzt wurde. Hinter den Attacken stecken | |
oft ultrakonservative, christliche und vor allem prorussische Gruppen. | |
Georgien hatte seit dem Zerfall der Sowjetunion und seiner Unabhängigkeit | |
1991 viele Fortschritte im Bereich von LGBTQ*-Rechten gemacht. | |
Homosexualität wurde entkriminalisiert, Geschlechtsangleichende Operationen | |
legalisiert und sogar Diskriminierung aufgrund der Sexualität verboten. Mit | |
der erneuten Annäherung an Russland ändert sich das wieder. | |
Niko lebt erst seit zwei Jahren in Tbilisi. Er ist zwanzig Jahre alt und | |
die Success Bar ist sein Lieblingsort. Er gehört zu der Generation von | |
Dragkünstler:innen, die ein Tbilisi ohne Drag gar nicht kennen. Als | |
Aphrodite hatte er hier sein Debüt. „Ich habe mein altes Ich sterben | |
lassen“ zum Song DEATH von Melanie Martinez, erklärt er, „ich trug ein | |
Cape, auf dem Homophobia stand, das ich dann abgerissen habe.“ | |
Niko wuchs in Kutaissi auf, einer sehr konservativen Stadt im Nordwesten | |
des Landes. „Ich musste sehr viel Scheiße erleben, weil ich aussehe und | |
spreche, wie ich eben bin.“ Niko lacht sehr viel und gibt dabei eine | |
Zahnlücke preis – ein Andenken eines Polizisten von einer der vielen Demos | |
der letzten Jahre. | |
Als Niko neu in der Szene war, empfand er vieles als oberflächlich und | |
sogar toxisch. Doch das hat sich verändert. „Seit dem Gesetz ist etwas | |
passiert. Wir denken nicht mehr darüber nach, wer schöner oder besser ist. | |
Wir denken darüber nach, wie lange wir das hier noch haben.“ Die Repression | |
hat die Community enger zusammengeschweißt. | |
„Als dieses Gesetz verabschiedet wurde, dachte ich nur: Fuck, jetzt ist | |
alles vorbei! Ich habe mich schon in Handschellen gesehen, wie sie mich in | |
Heels und komplett in Drag auf die Straße zerren.“ Trotz allem fühlt er | |
sich heute sicher in Tbilisi. Er weiß, wie viel Energie die Club- und | |
Barbesitzer:innen in seine und die Sicherheit der ganzen Community | |
stecken. Die Menschen um ihn herum würden alles für ihn riskieren. Drag hat | |
ihm schon so oft das Leben gerettet. Die Success Bar, die Clubs, die ganze | |
Szene – alles ist Widerstand. | |
„Es geht nicht nur um Spaß. Es geht darum, den ganzen Scheiß, den wir | |
erleben, auf schöne Weise auszudrücken.“ Wie es weitergeht? Niko weiß es | |
nicht. Für den Moment will er einfach nur weiter Drag machen. | |
28 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-Georgien/!6050307 | |
[2] /Ukrainischer-Drag-Performer/!6074277 | |
[3] /Publizist-Lasha-Bakradze-ueber-Georgien/!6081870 | |
[4] /Anti-LGBT-Gesetz-in-Georgien/!6015393 | |
[5] http://universityoftheunderground.org/kintos-comeback/ | |
[6] https://chaikhana.media/en/stories/1360/safe-space-a-rise-of-drag-ball-cult… | |
## AUTOREN | |
Henrik Schütz | |
## TAGS | |
Drag | |
Georgien | |
Queer | |
Repression | |
GNS | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Georgien | |
Osteuropa – ein Gedankenaustausch | |
Drag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Proteste in Georgien: Für die EU auf den Straßen von Tbilisi | |
Die Proteste in Georgien sind seit Tagen ungebrochen – trotz polizeilicher | |
Repressionen. Die Angst vor russischer Einflussnahme ist weiterhin groß. | |
Wie es um den Kaukasus steht: „Die EU sollte die Tür zu Georgien offen lasse… | |
Die Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilisi, Dr. Sonja | |
Schiffers, über die Auswirkungen des „Agenten-Gesetzes“ und | |
Herausforderungen in der Region. | |
San Francisco gegen konservativen Backlash: Erste Drag-Botschafter*in ernannt | |
Andernorts in den USA herrscht ein LGBTQ-feindliches Klima. In San | |
Francisco wird dagegen D'Arcy Drollinger mit einem Stipendium queere Events | |
organisieren. |