| # taz.de -- Pressefreiheit in Israel: Gefängnis statt Rechtsstaat | |
| > Ali al-Samudi ist seit Ende April 2025 in Haft, ohne Anklage oder | |
| > Beweise. Sein Fall zeigt: Israel befindet sich in einem dauerhaften | |
| > Ausnahmezustand. | |
| Bild: Ali Samoudi an seinem Schreibtisch in Jenin, 23. Mai 2022 | |
| Am 29. April sprengten die Israelischen Streitkräfte (IDF) in den frühen | |
| Morgenstunden den Eingang des Gebäudes von Majd al-Samudis Wohnung in | |
| Dschenin, einer Stadt im Westjordanland. Majd al-Samudis ist der Sohn des | |
| bekannten palästinensischen Journalisten Ali al-Samudi, der sich zu diesem | |
| Zeitpunkt auch in der Wohnung aufhält. | |
| Ihn suchte die IDF. Ali al-Samudi wurde gebeten, seine Kleidung | |
| auszuziehen, ihm wurden Handschellen angelegt, seine Augen wurden verbunden | |
| und er wurde abgeführt. So schildert es Majd al-Samudi der taz. Der | |
| Journalist sitzt seither im Gefängnis, das israelische Militärgericht hat | |
| eine sechsmonatige Verwaltungshaft verhängt – dabei gibt nicht einmal eine | |
| Anklage. | |
| Die IDF wirft ihm vor, mit dem Palästinensischen Islamischen Dschihad | |
| (PIJ), einer islamistischen Terrororganisation, kooperiert und diese | |
| finanziert zu haben. Beweise dafür hat die IDF nicht vorgelegt. „Mein Vater | |
| gehört keiner politischen Organisation an, er ist einfach ein | |
| palästinensischer Journalist“, betont sein Sohn. | |
| Der 58-Jährige gehörte zu den wenigen, die überhaupt noch aus dem Gebiet | |
| berichteten. Seit mehr als drei Jahrzehnten dokumentiert er für Medien wie | |
| die palästinensische Zeitung al-Quds, für Al Jazeera, CNN und Reuters das | |
| Geschehen im Westjordanland – Militäroperationen, humanitäre Krisen, den | |
| Alltag unter der Besatzung. 2022 wurde er bei der [1][Tötung seiner | |
| Kollegin Shireen Abu Akleh] durch israelische Soldaten selbst angeschossen | |
| und am Rücken verletzt. Er sei in seinem Leben insgesamt achtmal von der | |
| israelischen Armee verletzt worden, sagt sein Sohn. | |
| ## Verwaltungshaft beantragt | |
| Nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA wurde er | |
| zunächst in einer Militärkaserne in Dschenin festgehalten, dann ins | |
| Dschalameh-Gefängnis gebracht und schließlich ins Megiddo-Gefängnis | |
| verlegt. Das Megiddo-Gefängnis im Norden Israels steht wegen | |
| Misshandlungen, extremen Haftbedingungen und verbreiteten Krankheiten immer | |
| wieder in der Kritik. Den Ablauf seiner Haft erzählt auch Majd al-Samudi | |
| so. Die IDF bestätigt der taz weder den Aufenthaltsort noch die vorherigen | |
| Aufenthaltsorte von Ali al-Samudi. „Wir wissen nichts über die aktuelle | |
| Situation meines Vaters“, sagt al-Samudi. „Niemand darf mit ihm sprechen.“ | |
| Dass Ali al-Samudi in Haft sitzt, ohne dass ein Gericht über seine Schuld | |
| oder Unschuld entschieden hätte, ist möglich durch die israelische Praxis | |
| der sogenannten Verwaltungshaft beziehungsweise Administrativhaft. | |
| Militärgerichte können diese zunächst für sechs Monate verhängen und | |
| beliebig verlängern. „Der Verdächtige wurde aufgrund von Erkenntnissen | |
| festgenommen, die darauf hinweisen, dass er an organisatorischen | |
| Aktivitäten beteiligt ist und die Sicherheit in der Region gefährdet“, | |
| erklärte das IDF-Pressezentrum der taz. Da nach der Festnahme „nicht | |
| ausreichend Beweise“ gesammelt wurden, habe man Verwaltungshaft beantragt, | |
| so die IDF weiter. | |
| Am 6. Mai fand eine erste Anhörung im Fall al-Samudi statt. Doch die bei | |
| der Festnahme erhobenen Terrorvorwürfe gegen ihn wurden dabei nicht | |
| wiederholt, [2][erklärte sein Anwalt Jamil al-Khatib CNN]. Stattdessen habe | |
| man vage von Aktivitäten gesprochen, die „die Tätigkeit der israelischen | |
| Streitkräfte im Westjordanland beeinträchtigen“. Auch die IDF bestätigte | |
| diese Anschuldigung der taz. Aber was ihm konkret vorgeworfen wird, dass er | |
| eine Gefahr für die Sicherheit darstellt oder Beweise dafür wurden bei der | |
| Anhörung nicht vorgelegt oder anderweitig öffentlich gemacht. Die IDF | |
| antwortet auf die Frage der taz dazu nicht. | |
| An al-Samudis Fall zeigt sich das zentrale Prinzip der Verwaltungshaft: Es | |
| gibt keine konkrete Straftat und keinen konkreten Tatverdacht, die | |
| Verwaltungshaft fällt somit aus dem System der Strafverfolgung heraus und | |
| dient somit einer (angeblichen) Gefahrenabwehr. So können Menschen über | |
| lange Zeit ohne Anklage und öffentliche Beweise und ohne Urteil | |
| festgehalten werden. Auch die Verteidigungsrechte sind stark eingeschränkt. | |
| Das sind zentrale Unterschiede zu beispielsweise einer Untersuchungshaft in | |
| Deutschland als Mittel des Strafverfahrensrechts, bei der etwa der | |
| Strafverteidiger Zugang zur Akte hat, und die auch nicht einfach so | |
| verlängert werden kann. | |
| ## Gravierende Einschränkungen von Grundrechten | |
| [3][Die Verwaltungshaft hat in Israel eine lange Tradition.] Bereits bei | |
| der Staatsgründung 1948 übernahm das Land britische Notstandsverordnungen | |
| aus der Mandatszeit, darunter die Möglichkeit, Personen ohne Verfahren zu | |
| inhaftieren. Zusätzlich wurde die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, einen | |
| Notstand auszurufen – dieser wurde fünf Tage nach Staatsgründung ausgerufen | |
| und seither jedes Jahr erneuert. Begründet wird dies mit anhaltender | |
| Bedrohungslage durch Terroranschläge, Kriege und palästinensische | |
| Aufstände. | |
| Das Emergency Powers (Detention) Law von 1979 erlaubt es dem | |
| Verteidigungsminister zudem explizit, Verwaltungshaft anzuordnen. Wie die | |
| Rechtswissenschaftler:innen Suzie Navot und Guy Lurie vom Israel | |
| Democracy Institut im Verfassungsblog 2022 schrieben, hat die | |
| „Normalisierung von Notfallmaßnahmen“ in Israel einen dauerhaften | |
| Ausnahmezustand verfestigt. Damit werden teils gravierende Einschränkungen | |
| von Grundrechten gerechtfertigt. Besonders häufig werde die Verwaltungshaft | |
| im Westjordanland eingesetzt – als Mittel der „Abschreckung und | |
| Bestrafung“, wie Navot und Lurie im Verfassungsblog schreiben. | |
| Daher wird auch die Verhaftung al-Samudis von internationalen | |
| Presseverbänden verurteilt – darunter etwa der Internationalen | |
| Journalisten-Föderation (IJF). Laut der IJF dient die Verwaltungshaft dazu, | |
| „palästinensische Journalisten für ihre Arbeit zu bestrafen und ihr Recht | |
| auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken.“ [4][Wie die Nachrichtenagentur | |
| Wafa berichtet, ist al-Samudi nun einer von 20 Journalist:innen, die | |
| aktuell in Verwaltungshaft sitzen]. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden | |
| insgesamt 50 palästinensische Journalist:innen in Verwaltungshaft | |
| genommen. Auch Majd al-Samudi sagt, dass sein Vater inhaftiert wurde, weil | |
| er als Journalist arbeite. | |
| Die Verwaltungshaft ist nur eine von vielen Maßnahmen Israels, die | |
| Pressefreiheit einzuschränken. [5][Laut Reporter ohne Grenzen sind seit dem | |
| 7. Oktober 2023 fast 200 Medienschaffende im Gazastreifen getötet worden], | |
| 43 davon in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Vor allem | |
| palästinensische Journalist:innen würden in Gaza unter Lebensgefahr | |
| arbeiten, so RSF. „Alle haben Angst“, sagt auch Majd al-Samudi, der einen | |
| Protest mit dem PJS organisieren wollte, was aber scheiterte. | |
| Al-Samudis Familie macht sich Sorgen, wie er die Verwaltungshaft verkraften | |
| wird. „Mein Vater ist 58 Jahre alt, braucht eine Brille und hat Diabetes“, | |
| sagt sein Sohn. Er schickt der taz Fotos von Dokumenten, die seinem Vater | |
| die Notwendigkeit von Medikamenten attestieren. Außerdem berichtet er von | |
| einem jungen Mann, der mit seinem Vater im Gefängnis gesessen hätte und der | |
| Familie erzählt habe, dass Ali al-Samudi stark an Gewicht verloren habe, | |
| seine Brille weg sei und ihn die unzureichende medizinische Versorgung | |
| zwinge, nachts im Halbstundentakt die Toilette aufzusuchen. Viele aus dem | |
| Trakt hätten Krätze und sein Vater Angst, sich zu infizieren. Mit der | |
| Presse wolle der Mitinhaftierte nicht sprechen, teilt Majd al-Samudi der | |
| taz mit. | |
| Für seine Familie bleibt nur die Hoffnung, dass die Verwaltungshaft nicht | |
| erneut verlängert wird. Am 18. Juni ist die nächste Anhörung. Momentan | |
| wechselt die Familie ihren Anwalt, da sie sich von dem neuen erhoffen, dass | |
| Ali al-Samudi aus dem Gefängnis entlassen werden kann. | |
| 13 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Tod-der-Journalistin-Shireen-Abu-Akleh/!5880018 | |
| [2] https://edition.cnn.com/2025/05/08/middleeast/israeli-military-extends-dete… | |
| [3] https://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-verwaltungshaft-gegen-radikal… | |
| [4] https://english.wafa.ps/Pages/Details/158000 | |
| [5] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/faq-zur-sit… | |
| ## AUTOREN | |
| Ann-Kathrin Leclere | |
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