# taz.de -- Theater übers Scheitern: Gar nichts klappt in Göttingen | |
> Die britische Spiel-im-Spiel-im-Spiel-Komödie „Dieses Stück geht schief“ | |
> führt ins Chaos – und kommt dabei ohne irgendein Interesse an den Figuren | |
> aus. | |
Bild: Am Ende ist das Stück zerstört, die Kulissen sind kollabiert, aber alle… | |
Sie wollen Spaß. Und spielen beruflich Theater. Warum also nicht dort | |
einfach mal was total Verrücktes machen – mit minutiöser Präzision. Die | |
anarchische Freiheit der Komik feiern, indem man sich genau an die Regeln | |
hält, nach denen Jux und Dollerei das Schmunzeln, Kichern, Brüllen des | |
Publikums hervorkitzeln und ein Gefühl der Lebensleichtigkeit erregen | |
können. Solch hochkomplizierte Kunst spendiert das [1][Deutsche Theater | |
Göttingen] jetzt zum Saisonfinale. „[2][The play that goes wrong]“ lautet | |
das programmatisch betitelte Stück von Henry Lewis, Jonathan Sayer und | |
Henry Shields, das 2012 in einem Londoner Theaterpub uraufgeführt, für eine | |
Tournee ausgearbeitet und dann ins Duchess Theatre im West End | |
einquartiert wurde, wo es bis heute läuft. | |
Das Publikum ist bereits vollständig platziert, der Bühnenaufbau noch in | |
vollem Gange. Egal! Daniel Mühe springt als eitler Chef der „Theatergruppe | |
des Max-Planck-Instituts“ auf die Bühne, kündigt Beifall heischend sein | |
Regiedebüt an, bei dem er in aller Bescheidenheit auch gleich die | |
Hauptrolle übernommen hat. Ein Mord auf Schloss Haversham soll in | |
plüschiger Agatha-Christie-Nostalgie aufgeklärt werden – Ebene 1 des Stücks | |
– vom enthusiastischen Laienensemble, das für Handlungsebene 2 immer wieder | |
aus der Rolle fällt. Auf Level 3 haben Göttingens hochprofessionelle | |
Darsteller:innen großes Vergnügen daran, unter lächerlich machenden | |
Perücken betont schlechte Dialoge besonders schlecht zu spielen. | |
Sie drängeln und stolpern grimassierend an die Rampe, biedern sich | |
klimper-klimper mit den Eitelkeiten ihrer Figuren dem Publikum an, | |
ornamentieren jeden Halbsatz mit überdimensionierten Gesten, betonen Worte | |
falsch, artikulieren pathosfett, kokettieren mit den Spotlights, verpatzen | |
Einsätze, vergessen Text oder verheddern sich in ihm. Gern genutzte | |
Schemata der theatralen Pointen-Manufaktur sind die Widersprüche von Wunsch | |
und Wirklichkeit des Stückpersonals sowie von Wort und Bild. Sagt der | |
Inspektor zum Diener: „Stehen sie nicht so herum“ – während der | |
Angesprochene auf der Bühne sitzt. | |
## Lachen übers Scheitern | |
Regisseurin Katharina Birch setzt aufs Lachen übers Scheitern. Wenn auch | |
nicht so existenziell wie bei Samuel Beckett, sondern eher schadenfreudig | |
wie im Comedy-Genre. Wenn zu Beginn der Leichendarsteller seine Position im | |
Bühnendunkel einnehmen will, geht das Licht exakt zu früh an, er schmeißt | |
sich tot stellend zu Boden. Lustiger Einstieg. Da der Kaminsims | |
heruntergefallen ist, muss die Inspizientin dort platzierte Objekte | |
hochhalten. Sehr lustig. Musikeinsätze kommen punktgenau falsch oder albern | |
dramatisch. Auch lustig. | |
Requisiten liegen stets akkurat am falschen Platz, so dass beispielsweise | |
statt Stift und Notizbuch nur Schlüsselbund und Blumenvase zu greifen sind | |
und dann mit dem einen auf der anderen „schreiben“ gespielt wird. Lustig – | |
wie auch das Wörtlichnehmen: Sagt einer, das Mordmotiv liege doch auf der | |
Hand – und blickt dabei auf seine aufgeklappten Handflächen. Geht eine Tür | |
auf, steht zentimetergenau die mit Blondieperücke, Glitzer und Pelz auf | |
mondän getrimmte ex-zukünftige Gattin des Toten dahinter, liegt | |
anschließend schweigend k. o. am Boden, wird aber weiter angespielt, „höre | |
auf mit dem Geschrei“, und schließlich mit Slapstick-Akrobatik aus der | |
Szene geworfen. Derb lustig. Anschließend übernimmt die Inspizientin | |
(Stella Maria Köb) die Rolle – zunehmend rampensäuisch. Hinreißend lustig. | |
Das sind nur wenige Beispiele für die dramatische Umsetzung von Murphy's | |
Law. Gefühlt alle zehn Sekunden geht irgendetwas schief und schiefer. Der | |
Abend läuft in dieser dramaturgischen Monotonie so rasant wie formvollendet | |
aus der Form. Am Ende ist das Stück zerstört, die Kulissen sind kollabiert, | |
aber alle weiter um Haltung dabei bemüht, Fehler und Missgeschicke zu | |
überspielen. Das erinnert an das Theaterspiel der überzeugend | |
dilettantischen Handwerkertruppe in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Die | |
volltrotteligen Bühnenpraktiker können verspottet, aber auch als | |
leidenschaftliche Theaterliebhaber inszeniert werden. | |
Im Gegensatz dazu sucht die Göttinger Inszenierung nicht nach Menschen | |
hinter den Witzfiguren. Das Ensemble agiert äußerlich virtuos, innerlich | |
eher (selbst-)ironisch. Daher ist es schwer, beim chronischen Scheitern | |
mitzuleiden und beim heldenhaften Weitermachen mitzufiebern. Was möglich | |
gewesen wäre, zeigt ein Loop, in dem das Ensemble feststeckt und eine Szene | |
immer wieder neu und immer genervter, schließlich hilflos eskalieren lässt. | |
Es steigert sich also das Spiel ins Chaos hinein, es gibt also eine | |
intensive Entwicklungsdynamik, nicht nur eine Aneinanderreihung von | |
teilweise irrwitzig komischen Pannen. Dabei wird in Göttingen auf jedweden | |
Überbau und doppelten Boden verzichtet. Selbst die Mördersuche ist allein | |
Mittel zum Spaßzweck. Was allerdings bestens funktioniert. | |
21 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Theaterstueck-Bucket-List-in-Goettingen/!6080123 | |
[2] https://www.dt-goettingen.de/stueck/dieses-stueck-geht-schief-the-play-that… | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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