| # taz.de -- Die Wahrheit: Nie wieder arbeitslos! | |
| > In „Wendy's Job-Shop“ im westfälischen Harsewinkel sind spottbillig alle | |
| > Arten von Jobs zu erwerben. Die glücklichen Ersterwerber sind begeistert. | |
| Bild: Alles zum Schleuderpreis im Job-Shop! | |
| „Davon habe ich immer geträumt“, jubelt Jasmin Angermann und blickt, Trän… | |
| der Freude in den Augen, zu dem Geschäft, vor dessen Eingang sie wartet und | |
| das in wenigen Minuten eröffnet. „Wendy’s Job-Shop“ prangt es an der | |
| Fassade – der welterste Supermarkt, wo Jobs gekauft werden können. | |
| Angermann, Fotografin, an chronischem Auftragsmangel leidend und sechs | |
| Mieten im Rückstand, gehört zu einer Gruppe von Arbeitslosen und prekär | |
| lebenden Freiberuflern, die sich bei dem innovativen Händler mit Sitz im | |
| westfälischen Harsewinkel beworben hatten, am Eröffnungstag dabei zu sein. | |
| Das Los entschied. | |
| „Ein Glückslos“, juchzt sie, und Kaspar Röhlig, langzeitarbeitsloser | |
| Werbetexter, schwärmt: „Der Laden sollte zum Weltkulturerbe erklärt | |
| werden!“ In der Warteschlange, per Wildcard hineingerutscht, steht auch | |
| Christian Lindner: „Ich schaue für einen Freund“, beteuert der ehemalige | |
| FDP-Chef. | |
| Der Kapitalismus – ein einziger Zauberkasten. Der restlos alles zur Ware | |
| macht. Sein neuester Coup: Wer einen Job braucht, kann sich ab sofort in | |
| „Wendy's Job-Shop“ einen kaufen. Woher das Geld dafür kommt? Den | |
| Dispo-Kredit bis zum Gehtnichtmehr ausreizen, vielleicht ein kleiner | |
| Banküberfall oder gleich vermögende Freunde anpumpen … und da fährt sie | |
| auch schon vor: Wendy Schlüter, die Gründerin, in einem sympathischen, | |
| zielgruppenangepasst schrottigen Kleinwagen. „Willkommen, ihr süßen Mäuse�… | |
| ruft sie beim Aussteigen den 300 geladenen VIP-Bedürftigen zu. | |
| „Bock auf Jobs?“ Die Menge klatscht, „Wendy, Wendy“ skandierend, währe… | |
| die Ladenchefin sich anschickt, die von Security-Hünen bewachten Türen | |
| aufzusperren. Einem Lokalreporter, der ihr nicht von der Pelle weicht – | |
| wahrscheinlich braucht er einen neuen Job –, vertraut sie an: „Der | |
| Geburtsfehler unserer Wirtschaftsordnung besteht darin, dass es so leicht | |
| ist, Geld auszugeben, und so mühsam, welches an Land zu ziehen. Mit meinem | |
| Job-Shop ist dieses Missverhältnis aus der Welt.“ | |
| ## Stattliche Pakete | |
| Drinnen sieht es wie in einem regulären Supermarkt aus. Nur größer, viel | |
| größer. Gänge. Regale. Gänge. Regale. Und alle Regale vollgestellt mit | |
| Packungen, Flaschen, Tetrapacks. Wendy spricht kurz zur Begrüßung, dann | |
| zieht sie aus einem Regal ein stattliches Paket und liest die Aufschrift | |
| ab: „Scherenbaum Logistik, 5-Jahresvertrag Facility Management Worldwide“. | |
| Sie stellt es zurück, langt nach einem noch stattlicheren: „11.800 | |
| Kilometer Autobahnbau in Botswana. Die kleineren Jobs sind da hinten.“ | |
| Sie rauscht los, die Meute im Schlepptau, und greift nach einem Tetrapack: | |
| „Putzen bei der Knoch & Beier GbR“. Dann nach einem Tütchen: „Pizza Expr… | |
| Rialto, Website lektorieren“. – „Nehm ich!“, brüllt Kaspar Röhlig. We… | |
| wirft ihm das Tütchen zu. In einem Film würde es jetzt in Zeitlupe fliegen. | |
| Und Röhligs Gesichtszüge würden sich in Zeitlupe von arbeitslos und | |
| abgehängt zu selig und solvent verwandeln. | |
| „Krallt euch so viele Jobs wie ihr wollt“, ruft Schlüter. „Es sind genug | |
| für alle da. Billigjobs findet ihr an die Kasse. Faustregel: Große Packung, | |
| großer Job. Ach ja: Die Jobs sind gechipt. Wir tracken euch. Also: nicht | |
| weiterverkaufen, sonst …“ Lachend fährt sie sich mit der Handkante am Hals | |
| entlang. | |
| ## Heilige Jobs | |
| Die Premierenkundschaft schluckt trocken, doch dann siegt die Gier nach | |
| einem Job, einer Zukunft, einem neuen Leben. O heilige Jobs – an ihnen | |
| hängt, zu ihnen drängt doch alles. Die Leute verteilen sich zügig und | |
| machen sich die Taschen voll mit Jobs. | |
| „Besser Taschen voll als Hosen voll“, scherzt Röhlig, schon wieder ganz der | |
| alte Werbetexter, und fügt an: „Besser Hummer als Kummer!“ Derweil steht | |
| Wendy Schlüter der Presse Rede und Antwort. Die Frage, wie sie an die Jobs | |
| kommt, quittiert sie mit: „Geschäftsgeheimnis.“ Gibt es den Shop auch | |
| online? Kopfschütteln. „Wir machen am Eingang Ganzkörperscans, von wegen | |
| Tracking. Das geht online nicht, is klar, ’ne?“ Sind unter den Packungen | |
| Mogelpackungen? „Nope.“ Wie sie auf die Geschäftsidee kam? „Dieses | |
| unwürdige Gewinsel, um an Arbeit zu kommen, musste ein Ende haben. Das sagt | |
| einem der gesunde Menschenunverstand. Den Rest hat eine KI erledigt. | |
| Brauchst du Jobs? Kauf dir welche!“ Sie schnappt sich ein Mikro: | |
| „Hergehört. In fünf Minuten ist Happy Hour. Alle Jobs für die Hälfte!“, | |
| tönt es brutal laut aus den Lautsprechern. Standing Ovations in den Gängen. | |
| Eine halbe Stunde später steht Christian Lindner vor dem Laden – mit drei | |
| Trolleys voller Jobs – und diktiert hektisch einen Text in sein Handy. Es | |
| fallen Wörter wie „Disruption“ und „Hab ich doch immer gesagt“. In ein… | |
| Atempause fällt sein Blick auf einen grauen Stromkasten, auf dem ein | |
| Taschenbuch liegt. Eine Windböe blättert das Buch auf, als würde sie darin | |
| lesen. Vielleicht liest sie tatsächlich darin, denkt Lindner. Heutzutage | |
| ist nichts mehr unmöglich. | |
| 17 Jun 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Lorentz | |
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