# taz.de -- Linke zu AfD-Verbot: Mutige Minderheitenmeinung | |
> Die Mehrheit im Land will ein AfD-Verbot – vieles spricht dafür. Aber bei | |
> aller Abscheu gibt es auch linke Argumente dagegen. Das zeigt ein taz | |
> talk. | |
Bild: Unter Linken mag sie niemand, aber was ist die beste Strategie, um die Re… | |
Berlin taz | „Die AfD ist nur Symptom, nicht Ursache des Rechtsrucks“, | |
betont der Soziologe Thorsten Mense – und kritisiert autoritäre Tendenzen | |
der sogenannten Mitte der Gesellschaft. „Der völkischen Partei müssen Macht | |
und Geld entzogen werden“, findet hingegen Ricarda Lang, Abgeordnete der | |
Grünen und ehemalige Parteivorsitzende. | |
„Wir dürfen nicht weiter wie ein Kaninchen auf die Schlange AfD starren“, | |
warnt Rechtsanwältin Angela Furmaniak aus dem Vorstand des Republikanischen | |
Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) – sie sieht den Bundestag in der | |
Pflicht, ein Verbotsverfahren zu beantragen. „Die 10 Millionen | |
Wähler*innen verschwinden mit einem Verbot nicht einfach, vielleicht | |
werden sie sogar noch wütender“, fürchtet indes taz-Titelseiten-Redakteur | |
Lukas Wallraff. | |
Kontroverser hätte die Diskussion am Mittwochabend in der taz Kantine nicht | |
laufen können ([1][hier auf YouTube zum Nachhören]). Die Gemeinsamkeit der | |
Gäste: Alle vier sind sich der Gefahr durch die extreme Rechte bewusst und | |
sehen sich selbst als Antifaschist*innen. | |
Ricarda Lang macht Geständnis | |
Ricarda Lang beginnt den Abend mit einem Geständnis: „Ehrlicherweise hat | |
bei mir eine Bewegung stattgefunden.“ Anfangs sei sie selbst „skeptisch“ | |
gewesen, doch inzwischen sei sie „überzeugt, dass die Mütter und Väter des | |
Grundgesetzes den Artikel zum Parteienverbot aus gutem Grund da | |
reingeschrieben haben: weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass Parteien | |
mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen können, um, sobald sie an | |
der Macht sind, die Demokratie abzuschaffen.“ | |
Lang hatte im November mit einer Gruppe von Abgeordneten rund um Marco | |
Wanderwitz (CDU) einen Antrag für ein Verbotsverfahren im Bundestag | |
eingebracht. Der scheiterte. Doch nicht nur die Grünen-Politikerin hat sich | |
bewegt, auch in der SPD ändern derzeit einige ihre Meinung. | |
So sprach sich zuletzt mit Nordrhein-Westfalen der größte Landesverband für | |
ein Verbot aus. Und Parteichef Lars Klingbeil, der vor einigen Monaten noch | |
„zu wenig Belege“ für ein Verbot sah, sagte jetzt, das Thema dürfe „nic… | |
vom Tisch genommen“ werden. Die hohen Tiere der Union wie Merz, Frei und | |
Dobrindt sind allerdings weiterhin dagegen – selbst nachdem der | |
[2][Bundesverfassungsschutz (BfV) die AfD Anfang Mai als „rechtsextrem“ | |
eingestuft] hat. Fast alles aus diesem Gutachten ist seit Jahren bekannt, | |
die Massen an Belegen sind öffentlich zugänglich. | |
Die Bedeutung, die dem BfV zugemessen wird, stört vor allem Wallraff, Mense | |
und Furmaniak. Sie teilen großes Unbehagen darüber, wie selbstverständlich | |
sogar manche Linke aktuell den Verfassungsschutz zitieren: eine Behörde, | |
die die extreme Rechte jahrelang aktiv gefördert hat und „deren Mitarbeiter | |
[3][bei den Morden des NSU mit im Raum waren]“, wie es Mense sagt. | |
Rechtlich ist das Gutachten für ein Verbot nicht nötig, erklärt Furmaniak. | |
Politisch hofft sie, dass es der Union hilft, sich zu einem Verbotsantrag | |
durchzuringen. | |
Aus ihrer Sicht wurde der Zeitpunkt verpasst, die AfD politisch zu stellen. | |
„Jetzt zu sagen, weil das gescheitert ist, können wir auch nichts mehr | |
machen, das kann nicht sein!“, mahnt sie – und erntet dicken Applaus. Als | |
Bürgerrechtsorganisation lehnt ihr Verein RAV staatliche Eingriffe in | |
bürgerlichen Freiheiten eigentlich ab. Doch nach langer Diskussion habe | |
sich der RAV vor mehr als einem Jahr entschieden, [4][die Kampagne | |
„AfD-Verbot-Jetzt“] zu unterstützen. „Denn unsere Demokratie braucht | |
dringend eine Verschnaufpause“, erklärt die Strafverteidigerin, die den | |
erhöhten Druck von rechts auch in ihrer täglichen juristischen Arbeit | |
spürt. | |
Furmaniak erinnert an die vielen Menschen, die bereits jetzt massiv unter | |
der AfD leiden – allen voran Geflüchtete – und die anderen stimmen ihr voll | |
und ganz zu. Rechte Taten haben laut Polizei zuletzt [5][um 48 Prozent | |
zugenommen]. Einig ist das Podium auch, dass die fehlende soziale Politik | |
der letzten Jahre den Aufstieg der extremen Rechten begünstigt hat. | |
Wallraff lobt deshalb „die Selbstkritik“, die Lang auf dem Podium gegenüber | |
ihrer eigenen Partei anbringt. | |
Wallraff nerven in der Verbotsdebatte auch Linke | |
So weit, so harmonisch? Weit gefehlt. Ausgerechnet der taz-Redakteur ist | |
skeptisch gegenüber einem Verbot: sowohl wegen der seiner Meinung nach | |
fraglichen Erfolgsaussichten, als auch wegen der möglichen Folgen. „Es gibt | |
sogar ehemalige Verfassungsrichter, die von einem Verfahren abraten“, sagt | |
Wallraff. | |
„Was, wenn ein Verbot scheitert? Das wäre der worst case und ein mega | |
Erfolg für die AfD.“ Wallraff wünsche sich selbstverständlich „nichts | |
sehnlicher“, als dass die AfD verschwinde. Aber er moniert, dass | |
Verbots-Skeptikern wie ihm in der aktuellen Debatte teils eine | |
Verharmlosung der AfD vorgeworfen werde. Das finden auch die | |
Befürworterinnen Lang und Furmaniak problematisch, beim taz talk macht das | |
niemand. | |
Gar als „fatal“ bezeichnet Thorsten Mense die Verbotsdebatte. Zum einen | |
finde er gefährlich, dass dabei eine „Externalisierung der AfD“ stattfänd… | |
wodurch die „bis weit in die Mitte reichenden menschenfeindlichen | |
Einstellungen verschleiert“ würden. Genauer erklärt der Soziologe das im | |
Sammelband [6][„Rechts wo die Mitte ist“], den er mit seiner Kollegin | |
Judith Goetz herausgegeben hat. Zum anderen wirft er die Frage auf, ob | |
Antifaschist*innen nicht Sinnvolleres tun könnten, als etwa | |
AfD-Verbots-Ortsgruppen zu gründen. Aktiv gegen ein Verbot stellen würde er | |
sich letztlich aber nicht. „Alles, was Rechtsextremisten schadet, finde ich | |
gut“, sagt er – und aus dem Publikum kommt „Yeah“. | |
Mense beobachte eine „Brutalisierung der Politik“, die mitnichten von | |
Faschisten, sondern von formal-demokratischen Parteien vorangetrieben | |
werde: „Die erste Amtshandlung der neuen Bundesregierung war es, die | |
Grenzen zu schließen und damit das Asylrecht, das im Grundgesetz verankert | |
ist, faktisch außer Kraft zu setzen. Wir haben einen Kulturstaatsminister, | |
der selbst völkische Gemeinschaftsvorstellungen propagiert. Wir haben einen | |
Innenminister, der für die Konservative Revolution wirbt.“ Mense erinnert | |
auch daran, dass [7][der Grüne Robert Habeck einen 10-Punkte-Plan] – wie er | |
auch von der CSU hätte stammen können – vorgelegt hatte, demnach Menschen | |
schneller abgeschoben werden sollen. | |
Mense kritisiert Grundgesetz | |
Die Forderung nach einem Verbot zeugt laut dem Soziologen von einem | |
falschen Demokratie-Verständnis: „Da wird so getan, als sei das Grundgesetz | |
in Stein gemeißelt und die Verfassungsrichter*innen wären die | |
Wächter*innen der Demokratie“, kritisiert er. Dann nennt er Beispiele | |
für Menschenverachtung, die lange mit dem Grundgesetz vereinbar war: | |
Vergewaltigung in der Ehe ebenso wie ein völkisch begründetes | |
Abstammungsrecht, zu dem die AfD nun zurückwolle. | |
„Auch Verfassungsrichter*innen sind Teil dieser Gesellschaft, die | |
sich seit Jahren rasant nach rechts bewegt und wodurch sich verschoben hat, | |
was als demokratisch akzeptabel gilt.“ Ein Verbot halte er für | |
„illusionär“, die AfD stehe in manchen Umfragen an erster Stelle. | |
Da muss Furmaniak schlucken. Die Rechtsanwältin sieht durchaus Chancen für | |
ein Verbot – und verweist auf die Rechtsprechung des | |
Bundesverfassungsgerichts, wonach es nicht unbedingt einen gefüllten | |
Waffenschrank braucht, damit die Verbotsvoraussetzung eines | |
„aggressiv-kämpferischen“ Vorgehens als erfüllt gilt. „Dafür reicht | |
planvolles Vorgehen mit dem Ziel, die freiheitlich-demokratische | |
Grundordnung abzuschaffen“, erklärt die Juristin. Dies nachzuweisen dürfte | |
in einem Verbotsverfahren die Gretchenfrage sein. | |
CSU-Innenminister kennt das Grundgesetz nicht | |
Dass aktuell, gerade von der Union, so viele Falschaussagen verbreitet | |
werden, bezeichnet sie als „unredlich“. So hatte etwa Bundesinnenminister | |
Alexander Dobrindt (CSU) behauptet, eine Partei müsse, um als | |
verfassungswidrig verboten zu werden, gegen alle drei Elemente der | |
freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen: Menschenwürde, | |
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. „Es reicht aber eins der Elemente“, | |
stellt die Rechtsanwältin klar. Schon was das Kriterium Menschenwürde | |
betrifft, sind viele Jurist*innen sich einig, dass die AfD diese | |
bedroht. Und welche Rechtsfolge hätte ein Verbot? „Die AfD wäre erheblich | |
geschwächt. Ihr würden Macht, Geld und Mandate entzogen.“ | |
Im letzten Jahr standen AfD-Strukturen bundesweit insgesamt rund 200 | |
Millionen Euro zur Verfügung. Der Betrag wird dieses Jahr aufgrund des | |
guten Wahlergebnisses noch einmal deutlich ansteigen. Die AfD bildet mit | |
derzeit 151 Sitzen die stärkste Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag. | |
In Landtagen stellt die völkische Partei insgesamt 285 Abgeordnete. | |
Aber – und damit hat Wallraff auch aus Sicht aller anderen Gäste Recht: Der | |
Rechtsextremismus in der Gesellschaft wäre mit einem Parteiverbot nicht | |
weg. Wallraff kann sich „beim besten Willen nicht vorstellen, dass die 10 | |
Millionen Wähler nach einem AfD-Verbot wieder aufrechte Demokrat*innen | |
werden“. Er zitiert den Juristen Ronen Steinke, der in der Süddeutschen | |
Zeitung ausgeführt hat, [8][was nach einem Verbot alles passieren könnte], | |
unter anderem eine Organisierung der Rechten in Ersatzparteien, etwa der | |
Werteunion. | |
Ricarda Lang kontert taz-Redakteur | |
Lang kontert, dass neue Parteien aber „nicht sofort den gleichen Zugang zu | |
Macht, Vernetzung und Geld hätten“. Danach dürfe man eben nicht die | |
gleichen Fehler wie bei der AfD wiederholen, zum Beispiel, sie überall | |
einzuladen und so zu normalisieren. „Deshalb würde ich mir auch eine | |
Debatte über die Verantwortung der Medien wünschen.“ Ob sie diesbezüglich | |
auch Kritik an der taz hat? „Nee, an der nicht“, sagt Lang. | |
„Es könnte aber sein, dass nicht nur die liberalen und demokratischen | |
Kräfte durch ein Verbot etwas lernen, sondern auch die rechtsextremen“, | |
wirft Wallraff ein. „Nämlich, dass sie eine neue Partei etwas geschickter | |
aufbauen, nicht ganz so plump auftreten wie Alexander Gauland, sondern | |
etwas betulicher – und sich damit erst recht an die Macht schleichen.“ | |
Solch eine neue Ersatzpartei würde vielleicht nicht mehr wie die AfD offen | |
darüber sprechen, dass sie „Menschen in Anatolien entsorgen“ will, sondern | |
zunächst gemäßigter auftreten. „Und wenn sie dann an der Regierung ist, | |
trotzdem schlimme Dinge tun.“ Der Soziologe Mense verweist darüber hinaus | |
auf die Gefahr, dass konservative Parteien nach einem erfolgreichen | |
AfD-Verbot als nächstes versuchen könnten, linke Parteien oder | |
Organisationen zu verbieten. [9][Zivilgesellschaft und NGOs hatte die | |
Merz-CDU ja erst kürzlich infrage gestellt.] | |
taz-Leser*innen sind für Verbot | |
Die AfD wird verboten – das wäre das Ergebnis, dürfte das Publikum | |
entscheiden, das während des talks per Handzeichen abgestimmt hat. Doch | |
dessen Meinung ist nicht maßgeblich. Denn über ein Parteiverbot entscheidet | |
in Deutschland nicht die Bevölkerung, sondern das Bundesverfassungsgericht | |
– sofern Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat dort ein | |
Verbotsverfahren beantragen. | |
Immerhin: Das taz-Publikum bildet keine, wie von Rechten gern behauptet, | |
linksgrünversiffte Minderheit. Sie sind vielleicht links oder grün | |
(versifft sah niemand aus), aber sie vertreten genau die gleiche Meinung | |
wie viele andere Deutsche: 46 Prozent wünschen sich laut einer neuen | |
Umfrage des Instituts Ipsos nämlich ein AfD-Verbot. | |
Dabei ist die Stimmung polarisiert: Rund 44 Prozent sprechen sich gegen ein | |
Verbot aus. Unter den Befürworter*innen sind besonders viele Frauen | |
und Jüngere. Ältere und Männer sind demnach häufiger dagegen. Dieses | |
Geschlechterverhältnis hat zufälligerweise auch das Podium des taz talk | |
repräsentiert – und das Publikum zum Lachen gebracht. | |
Welche Alternativen gäbe es zu einem Verbot? Sollte man versuchen, die | |
AfD-Wähler zurückzugewinnen oder sind sie unsere Feinde? Und was lehrt uns | |
der Blick in andere Länder wie die USA? Über diese und weitere spannende | |
Fragen hat im Anschluss das taz-Publikum mit den vier Gästen diskutiert. | |
Bei aller Kontroversität fielen dabei häufig Sätze wie „In dem Punkt stimme | |
ich dir zu“ oder „Ich würde mich freuen, wenn du Recht behältst“. Und | |
obwohl auch an diesem Abend niemand die antifaschistische Zauberformel | |
gefunden hat, war diese Debatte ein Meisterstück des solidarischen | |
Streitens – so wie es unter Linken sein sollte. | |
30 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=fg5CZ4k1lXI | |
[2] /Was-steht-im-AfD-Gutachten/!6087894 | |
[3] /NSU-Mord-im-Cafe/!5397460 | |
[4] https://afd-verbot.jetzt/de | |
[5] /Politisch-motivierte-Kriminalitaet/!6085979 | |
[6] https://unrast-verlag.de/produkt/rechts-wo-die-mitte-ist/ | |
[7] /Gruene-Asyl--und-Sicherheitspolitik/!6064914 | |
[8] https://www.sueddeutsche.de/meinung/afd-verbot-auswirkungen-demokratie-abge… | |
[9] /CDU-delegitimiert-NGOs/!6072216 | |
## AUTOREN | |
Lotte Laloire | |
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