# taz.de -- Verteilungszentren in Gaza: Schüsse in der Warteschlange | |
> Am Sonntag soll auf das israelische Verteilungszentrum in Rafah | |
> geschossen worden sein. Mohamed Abo Salah und sein Sohn standen in der | |
> Schlange. | |
Bild: Mohamed Abo Salah sagt: Das System der Verteilungszentren sei eine einzig… | |
Khan Younis/Berlin taz | Am vergangenen Samstag wollen Mohamed Abo Salah | |
und sein Sohn ihr Glück versuchen, so erzählt er es. Gemeinsam beten sie | |
zum Anbruch der Nacht das Isha-Gebet, das letzte der Fünf des Tages. Dann | |
machen sie sich auf den Weg: von Khan Younis, wo die beiden mit dem Rest | |
der achtköpfigen Familie derzeit in einem Zelt leben, nach Rafah, von wo | |
die Familie im Lauf des Gazakrieges vertrieben wurde. | |
Ihr Ziel ist ein Verteilungszentrum der Gaza Humanitarian Foundation (GHF), | |
bei dem sich die Palästinenserinnen und Palästinener [1][Hilfsgüter] – | |
Reis, Nudeln, Konserven – abholen können. Sie laufen die Strecke zu Fuß, | |
über fünf Kilometer. Die Temperaturen sind warm, auch in der Nacht, um die | |
zwanzig Grad. „Mein Gesicht war voller Sand – der Wind hat ihn vom Strand | |
in unsere Richtung getrieben.“ Gegen 5.30 Uhr am Sonntagmorgen seien sie in | |
der Schlange vor dem Verteilungszentrum angekommen, sagt er. | |
Was er dann erzählt, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Doch es deckt | |
sich mit Berichten internationaler Medien und Nachrichtenagenturen – davon, | |
was am Sonntagmorgen nahe Rafah geschah. Mit vielen anderen Menschen – | |
Tausende, meint er – steht er vor einem Verteilungszentrum an. Dann fallen | |
Schüsse. „Jeder, der nach vorne getreten ist, wurde getötet“, sagt er. | |
## 179 Menschen getroffen | |
Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden 179 Menschen getroffen, 21 von ihnen | |
getötet. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium im Gazastreifen | |
sprach von 31 Toten. Das israelische Militär negierte, in dem Gebiet | |
geschossen zu haben. Auch GHF erklärte, die Berichte seien „glatte | |
Erfindungen“. | |
Abo Salah sagt: „Überall um mich herum lagen Getroffene. Ich hatte Angst, | |
meinen Kopf zu heben.“ Die Verwundeten zum nächsten Krankenhaus zu bringen, | |
sei sehr schwierig gewesen, erzählt er. Denn die Verteilungszentren der GHF | |
liegen allesamt in Gebieten, zu deren Evakuierung das israelische Militär | |
eigentlich aufgerufen hat – und somit in Kampfzonen. Der nächste | |
Versorgungspunkt, betrieben vom Roten Kreuz, befinde sich nahe dem Meer in | |
Rafah, erzählt er. Doch Fahrzeuge und Krankenwägen seien in der | |
Evakuierungszone nicht erlaubt. Also habe man die Verletzten und Toten mit | |
Karren dorthin bringen müssen. Von dort werden sie weitertransportiert, | |
etwa nach Khan Younis. „Ich danke Gott, dass ich noch lebe“, sagt er. | |
Nachdem er und sein Sohn die Nacht mit dem Versuch, Lebensmittel | |
aufzutreiben, verbracht haben, kehren sie schließlich mit leeren Händen | |
zurück. „Wir sind kilometerweit gelaufen für ein Stück Brot“, sagt er, �… | |
nicht einmal das haben wir bekommen“. | |
Nach den Schüssen am Sonntag gab es noch einen zweiten Zwischenfall: [2][Am | |
Dienstag gaben israelische Soldaten nach eigenen Angaben nahe dem | |
Verteilungszentrum Warnschüsse ab, 27 Menschen wurden nach Medienberichten | |
getötet.] Das Portal Axios zitiert einen Militärangehörigen: Man habe auf | |
Palästinenser geschossen, die sich den Soldaten auf dem Weg zu dem | |
Verteilungszentrum versehentlich genähert hatten. Am Mittwoch bleiben die | |
Zentren geschlossen, erklärt GHF in einer Pressemitteilung. Man wolle die | |
Pause nutzen, um die „operative Effizienz“ zu verbessern, an der | |
Organisation arbeiten. Am Donnerstag solle die Verteilung wieder | |
aufgenommen werden. | |
Dass diese bisher äußerst chaotisch abgelaufen sind, betont auch Abo Salah: | |
Die Menschen versuchten irgendwie an die Ausgabestelle zu kommen, | |
drängelten, schubsten sich gegenseitig. Zuerst muss ein Coupon abgeholt | |
werden, der dann gegen ein Paket mit Gütern eingetauscht werden kann. Das | |
Argument, das die israelische Regierung für die Etablierung der Zentren | |
anführte, scheint nichtig: Weil die Masse der Menschen vor den Zentren so | |
groß sei, werden sie kaum kontrolliert, die Namen der Anstehenden nicht | |
geprüft. | |
Nach Bericht der Times of Israel ist die GHF mit dem israelischen Militär | |
im Gespräch: Man wolle das Gebiet rund um die Verteilungszentren – die von | |
privaten US-Sicherheitsfirmen geschützt werden – sicherer machen. Man wolle | |
die zu Fuß Ankommenden besser leiten, um „Eskalationsrisiken“ zu | |
verringern. | |
Mohamed Abo Salah sagt: Das System der GHF sei eine einzige Erniedrigung. | |
Viele, so wie er selbst, gingen mit leeren Händen aus. Andere erhielten | |
Hilfsgüter – „und bringen sie direkt zum Markt. Mehr will ich dazu nicht | |
sagen.“ Trotzdem wird er sich bald wieder zu den Massen vor den GHF-Zentren | |
stellen, zu teuer sind die Preise auf dem Markt. „Nicht anderes bleibt uns | |
übrig.“ | |
4 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
Sami Ziara | |
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