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# taz.de -- Internationaler Hurentag: Schutz statt Strafe
> Sexarbeiter*innen stellen einen Gesetzesentwurf zur Reform des
> Prostitutionsschutzgesetzes vor. Dieses empfinden sie nicht als Schutz.
Bild: Der rote Regenschirm: Das Zeichen für den Widerstand gegen Diskriminieru…
Berlin taz | Auf dem Kurfürstenstrich sind am Montagmorgen kaum
Sexarbeiter*innen anzutreffen. Viele haben sich am [1][50. Jahrestag
des Internationalen Hurentags] unweit in der Zwölf-Apostel-Kirche
versammelt. Cassidy Lowery steht in rotem Lackoberteil, neonpinker
Sturmhaube und Plateaupumps an der Kanzel und stellt das SexArbeitsGesetz
(SAG) vor: einen Gesetzesentwurf zur Reform der Sexarbeitergesetze –
entwickelt von Sexarbeiter*innen für Sexarbeiter*innen. Ihre
Botschaft: „Es gibt keine Gerechtigkeit ohne unsere Stimmen.“
Die Sexarbeiter*innen kritisieren, von gesetzlichen Regelungen
betroffen zu sein, die über ihre Köpfe hinweg entschieden würden. Das SAG
ist ihr Gegenentwurf: Verfasst wurde er im Rahmen einer Workshop-Reihe, die
von Organisationen wie der Sex Worker Action Group (SWAG) und Hydra e. V.
organisiert wurde.
„Wir sind es leid, ausgeschlossen, kriminalisiert, pathologisiert und zum
Schweigen gebracht zu werden“, sagt Kali Sudhra. Sie ist Sexarbeiterin und
Vorstandsmitglied der European Sex Workers Alliance (ESWA). Die
Organisation koordiniert die europaweite Aktionswoche, in deren Rahmen auch
die Veranstaltung am Montag stattfindet. Anlass ist der Hurentag, der auf
die achttägige Besetzung der Saint-Nizier-Kirche in Lyon durch
Sexarbeiter*innen zurückgeht. Sie forderten damals das Ende von
Geldstrafen, Stigmatisierung und Polizeischikanen.
„50 Jahre später hat sich wenig verändert“, sagt eine Sexarbeiterin in der
Schöneberger Backsteinkirche. Die holzvertäfelte Empore ist mit roten
Regenschirmen geschmückt – dem Zeichen für den Widerstand gegen
Diskriminierung und Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen. Dazwischen
hängen Banner, die die Entkriminalisierung von Sexarbeit fordern.
## Kritik am Prostituiertenschutzgesetz
2017 wurde in Deutschland das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG)
eingeführt. Der Anspruch: die Sicherheit von Sexarbeiter*innen erhöhen
und Ausbeutung verringern. [2][In der Praxis habe es jedoch in beiden
Punkten versagt], kritisieren die Sexarbeiter*innen. „Stattdessen wurden
eine verpflichtende Registrierung und Gesundheitsberatung, die Überwachung
von Arbeitsplätzen und Arbeitnehmern, eine verstärkte polizeiliche
Überwachung sowie eine Datenerfassung und Stigmatisierung eingeführt“, sagt
Cassidy Lowery von SWAG. Viele von ihnen würden das Gesetz daher als
Strafmaßnahme und nicht als Schutzmaßnahme betrachten – insbesondere
Migrant*innen, Transmenschen und Straßenarbeiter*innen.
Ein Kritikpunkt ist die verpflichtende persönliche Anmeldung bei Behörden.
Laut Bundesfamilienministerium sind nur rund 10 Prozent der
Sexarbeiter*innen unter dem ProstSchG registriert – aus Angst vor
Stigmatisierung, Datenmissbrauch und polizeilicher Schikane. Eine Umfrage
von Hydra e. V. ergab, dass 73 Prozent der befragten Sexarbeiter*innen
die Registrierung als „invasiv oder bedrohlich“ empfanden.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die verpflichtende Gesundheitsberatung, der
sich Sexarbeiter*innen unter dem ProstSchG einmal jährlich unterziehen
müssen. Carolin Kaufmann, Rechtsberaterin für Sexarbeiter*innen,
kritisiert: „Es unterstellt ihnen einen laschen Umgang mit ihrer Gesundheit
und Sicherheit.“ Die verpflichtende Wiederholung der Gesundheitsberatung
erachtet sie als „unverhältnismäßig“, die derzeitige Gesetzgebung als
„stigmatisierend und nicht zielführend“.
Mit dem SexArbeitsGesetz soll damit Schluss sein. Es fordert: die Aufhebung
des ProstSchG und das Ende der Meldepflicht, die vollständige
Entkriminalisierung der einvernehmlichen Sexarbeit von Erwachsenen,
arbeitsrechtliche Absicherung, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum
und Rechtsschutz, Schutz vor Polizeigewalt und Razzien am Arbeitsplatz
sowie Anerkennung von Sexarbeiter*innen als politische Akteur*innen.
## Bundestag berät über die künftige Gesetzgebung
Die Veröffentlichung des Entwurfs erfolgt bewusst zu diesem Zeitpunkt: Am
1. Juli 2025 endet die Evaluierung des ProstSchG. Anschließend wird im
Bundestag über die künftige Gesetzgebung zu Sexarbeit beraten. Lowery
fordert: „Die Stimmen von Sexarbeiter*innen müssen in dieser Debatte
gehört werden.“
[3][Die Union hatte im Bundestag einen Vorstoß für die Einführung des
„schwedischen Modells“ unternommen, dieser wurde jedoch abgelehnt.] Das
„schwedische Modell“ kriminalisiert den Kauf (aber nicht den Verkauf) von
Sex. In Ländern wie Schweden, Norwegen, Frankreich wurde es eingeführt mit
dem Anspruch, den Menschenhandel zu beenden und die Nachfrage zu
verringern. Sexarbeiter*innen berichten jedoch von vermehrten
Repressionen, Polizeischikanen und einem gefährlicheren Arbeitsumfeld.
In der politischen Debatte über Sexarbeit nehmen repressive Tendenzen zu.
„Wir beobachten mit großer Sorge, dass Evangelikale und radikal
abolitionistische Organisationen ihr Missionsbedürfnis an
Sexarbeiter*innen auslassen – und das sogar staatlich gefördert wird“,
sagt eine Mitarbeiterin von Hydra e. V. Am Vorabend der Veranstaltung sei
der Instagram-Account der European Sex Workers Alliance (ESWA) mit rund
10.000 Followern nach einem organisierten Angriff durch SWERFs (Sex Worker
Exclusionary Radical Feminists) gelöscht worden. Die Vorwarnung, die
Instagram üblicherweise ausspricht, um Nutzern zu ermöglichen, ihr
Verhalten zu ändern, blieb aus. Solche plötzlichen Sperrungen sind für
Sexarbeiter*innen im Netz keine Ausnahme.
2 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
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