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# taz.de -- Die Wahrheit: Nicht mehr als ein Staubkorn
> Wann ist ein Mann ein Mann, ein Junge oder ein Nichts? Nur eine kosmische
> Betrachtung bringt es ans Licht.
Bild: Letztlich hat doch das gesamte Universum einen zumindest mittelschweren U…
Es gab da mal einen Mann. Der Mann kam allen stark und groß vor, und wenn
er einen Raum betrat, wussten deshalb selbst Licht und Schatten manchmal
nicht, wo ihnen der Kopf stand. Sie verwechselten dann, wer wer war, und
der Schatten erleuchtete den Raum und das Licht traute sich an diesem Tag
erst heraus, als die Sonne längst untergegangen war.
Selbst die Buchstaben wagten nicht, den Mann beim Namen zu nennen, und
damit er nicht merkte, dass sie über ihn sprachen, nannten sie ihn immer
nur „Mnam“. Es war kein Wunder, dass so viele Dinge Angst vor dem Mann
hatten, denn er war ein Brandstifter und Blutsauger und Quacksalber. Er war
ein geschniegelt zerzauselter Glatzkopf mit vielen ausgedachten Gesichtern.
## Haderlump und Wechselbalg
Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass der Mann – es ist nicht zu
leugnen, und auch er würde es nicht abstreiten – in Wirklichkeit ein Junge
war. Viel schlimmere Charakterisierungen trafen auf ihn zu, aber hier
wollen wir es bei Gernegroß, Haderlump und Wechselbalg belassen.
Altmodische Bezeichnungen, die nur Verwendung finden, weil der Junge sie
nicht versteht; niemand hatte sie ihm je beigebracht.
Der Junge machte, was er wollte: Nachdem er sie gewonnen hatte, schaffte er
einmal eigenhändig die Bundesjugendspiele ab, damit nach seinem Sieg
niemand mehr teilnehmen konnte, und weil das aus Versehen einigen gefiel,
sind ihm bis heute diese einigen dankbar dafür.
Dabei hatte dem Jungen nichts Gutes im Sinn gelegen, im Gegenteil. Begabung
zeigte er nur, wenn es um Gemeinheiten ging. Zum Beispiel verspottete er
andere Kinder nicht für deren schlechte Seiten, sondern für ihre guten. Die
Kinder begannen daraufhin, sich für ihre Tugenden zu schämen und ihre
Laster zum Schutz nach außen zu tragen. So erfand der Junge eine ganz neue
Art von Gemeinheit, die sich noch über viele Generationen hinweg fortsetzen
wird.
## Niedergang und Reifenabrieb
Dabei kommt man nicht umhin zu erwähnen, dass der Junge eigentlich ein
Staubkorn war. Wo er wirbelte, wirbelten andere mit ihm, aber vor allem
wirbelten sie um ihn herum. Manchmal entstand ein Sturm nur dadurch, dass
der Mann, der ein Junge, der ein Staubkorn war, kurz ins Wohnzimmer
gewirbelt war und nun alle anderen ihre Position relativ zu ihm neu finden
mussten, statt es sich einfach in den Ritzen des Sofas gemütlich zu machen.
Die liebste Beschäftigung des Staubkorns war es, anderen in die Augen zu
fliegen und dann, statt sich nach außen wischen zu lassen, immer weiter
nach innen zu wandern, bis es sich durch starkes Niesen ins nächste Auge
katapultieren ließ. So ein Staubkorn war das Staubkorn. Gemacht aus
Niedergang und Reifenabrieb und der falschen Erinnerung, mal ein Stein
gewesen zu sein.
## Mehr eben nicht
Daran konnte nicht mal der unbestrittene Fakt rütteln, dass das Staubkorn
genau betrachtet ein Nichts war. Das fiel nicht sofort auf, denn wo es auch
war, trampelte es mit seinen Nichts-Füßen wütend auf etwas herum. Jedes
Vakuum besorgte sich lieber noch schnell ein paar Atome, um sich nicht mit
dem Nichts gemein zu machen, so unbeliebt, aber auch gefürchtet war das
Nichts. Und wenn man die Menschen irgendwo auf der Erde fragte, was sich
ändern müsste in der Welt, dann sagten sie ängstlich „Nichts“, und nur d…
Funkeln in ihren Augen verriet denen mit Etwas-Verstand, dass die
Zweideutigkeit beabsichtigt war.
Das einzig Gute an diesem Nichts war, dass es bei Licht besehen doch etwas
war. Allerdings war es ein so kleines Etwas, dass man eigentlich gar nicht
von ihm hätte erzählen müssen. Es war selbstverständlich ein Mann und ein
Junge und ein Staubkorn und ein Nichts und damit etwas, aber mehr war es
eben nicht.
27 May 2025
## AUTOREN
Ernst Jordan
## TAGS
Universum
Philosophie
Männer
Feiertage
Literatur
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
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