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# taz.de -- EU-britischer Gipfel in London: Des Brexits neue Kleider
> Neue Abkommen zwischen Großbritannien und der EU sollen den Neustart in
> den Beziehungen einläuten. Es geht um Hund und Katze, Migration und
> Munition.
Bild: BIsher müssen sich britische Hunde warm anziehen, um in die EU einzureis…
London/Berlin taz | Wir wollen mit Ihnen allen zusammenarbeiten“,
verkündete Keir Starmer, als er zwei Wochen nach seinem Wahlsieg in
Großbritannien im Juli 2024 [1][den Londoner Gipfel der „Europäischen
Politischen Gemeinschaft“ mit allen Ländern Europas außer Russland und
Belarus eröffnete]. „Wir müssen neue, ambitioniertere Wege der
Zusammenarbeit finden“, erklärte er und sprach von einem „Neustart“ (res…
der Beziehungen mit der EU: „Wenn wir als souveräne Partner
zusammenarbeiten, sind wir eine mächtige Kraft für das Gute auf unserem
Kontinent.“
Zehn Monate und einen Tag später will Keir Starmer nun mit
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den „reset“ in die Realität
umsetzen. Zur Krönung eines [2][Gipfeltreffens] sollen am Montag in London
[3][mehrere neue Partnerschaftsabkommen] unterschrieben werden.
Von einer „strategischen Partnerschaft“ spricht der britische
Europaminister Nick Thomas-Symonds in einem [4][Beitrag für den
EU-feindlichen Sunday Telegraph]. Großbritannien wolle „in einer unsicheren
Welt Seite an Seite mit der EU auf sicherer Grundlage stehen“.
Thomas-Symonds hat in den vergangenen Monaten im Dauerkontakt mit seinem
Gegenpart, dem slowakischen EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič, an den
neuen Abkommen gefeilt.
## Die drei Dimensionen des „reset“
Drei getrennte und sich teils widersprechende Stränge laufen in diesem
ambitionierten „Neustart“ zusammen. Da ist zum einen der [5][Brexit]
selbst, der 2020 nach mehrjährigen Wirren und Verhandlungen endlich in
Kraft trat. Im dazugehörigen [6][Handelsabkommen zwischen Großbritannien
und der EU], das 2021 in Kraft trat, ist eine [7][Evaluierung] nach fünf
Jahren vorgesehen, also 2026 – nicht im Hinblick auf eine Neuverhandlung,
sondern im Hinblick auf seine Umsetzung.
So gibt es bis heute keine Kontrollen bei Warenimporten aus der EU nach
Großbritannien, wohl aber in umgekehrter Richtung – ein Ungleichgewicht,
das sicher nicht von Dauer sein kann. Eine Regelung, dass EU-Fischer 75
Prozent ihrer bisherigen Fangquoten in britischen Gewässern behalten, ist
auf fünf Jahre befristet.
Die Aussicht auf diese ohnehin anstehende Überprüfung vermischte sich nach
Labours Wahlsieg 2024 mit Starmers Wunsch nach einer insgesamt engeren
Zusammenarbeit. Früher war Starmer sogar ein Brexit-Gegner gewesen. Nun
will er zwar nicht am EU-Austritt an sich rütteln – das wäre ein Sprengsatz
für die britische Politik –, und auch einen Teil-Wiedereintritt, etwa in
den Binnenmarkt, schließt er aus.
Aber Schwierigkeiten im Warenverkehr mit der EU sowie das Ende der
Personenfreizügigkeit sind unter einzelnen Wählergruppen ein großes
Ärgernis, nur noch eine Minderheit der Briten hält den Brexit für eine gute
Idee. Labour hofft also auf pragmatische Erleichterungen.
Der dritte Strang besteht im Gang der Weltpolitik – der russische
Angriffskrieg in der Ukraine und die Rückkehr Donald Trumps als
US-Präsident lassen Europa als Ganzes zusammenrücken. Großbritannien war
Vorreiter bei der militärischen Unterstützung der Ukraine, und der
Finanzplatz London ist zentral bei der Umsetzung von Sanktionen gegen
Russland. Schon unter Boris Johnson war die Zusammenarbeit in diesen
Bereichen aufgeblüht. Die Brexit-Verträge enthalten keine Partnerschaft in
der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – das soll nun nachgeholt werden.
Wie das alles zusammenpasst – Evaluierung des Brexits, Erleichterungen im
Grenzverkehr, Militärkooperation –, ist gar nicht so einfach. Formal ist
der Londoner Gipfel Auftakt der turnusmäßigen Evaluierung, deswegen war der
Verhandlungsführer auf EU-Seite Handelskommissar Šefčovič.
## Frankreich stellt Fischerei in den Vordergrund
Aber tatsächlich geht es gar nicht um die Evaluierung des Handelsabkommens,
sondern um Starmers „reset“-Ideen: neben der besseren Zusammenarbeit in
großen Politikbereichen auch konkrete Dinge wie mehr Freizügigkeit für
junge Menschen bis hin zu mehrjährigen Aufenthaltsrechten, bessere
Vereinbarungen für britische Musiker:innen auf Tour in der EU sowie für
britische Hunde und Katzen, Politik im Interesse arbeitender Menschen,
bessere Grenzsicherung und Migrationsreduzierung. Es geht um viele sehr
technische und bürokratische Fragen, in denen alles mit allem
zusammenhängt.
Das von beiden Seiten angestrebte Partnerschaftsabkommen in der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist daher nicht isoliert zu
betrachten. Eigentlich soll es vor allem britischen Unternehmen
ermöglichen, sich für Aufträge des von der EU mit 150 Milliarden Euro
angesetzten [8][gemeinsamen Rüstungsbeschaffungsprogramms] Safe (Security
Action for Europe) zu bewerben.
Aber Frankreich, das dieses Programm vor allem als Konjunkturprogramm für
seine eigene Rüstungsindustrie begreift, sperrte sich lange gegen eine
britische Beteiligung. Erst verlangte Paris, dass die geltenden
französischen Fangquoten in britischen Gewässern verlängert werden. Als das
zugesagt war, kam die Forderung, dass Großbritannien zu 85 Prozent von Safe
ausgeschlossen bleibt, um „strategische Selbstbestimmung“ der EU
beizubehalten.
Bei manchen, etwa der estnischen EU-Außenpolitikchefin Kaija Kallas, stößt
die französische Haltung auf Befremden. Dennoch soll die
verteidigungspolitische Zusammenarbeit, zu der auch der gemeinsame Kampf
gegen illegale Migration gehört, Kern der am Montag zu präsentierenden
Vereinbarungen sein, auch wenn viele Details wohl noch nicht ausgearbeitet
sind.
## Zurück zu EU-Handelsbestimmungen?
Am anderen Ende der geopolitischen Bedeutung steht das Problem, dass
britische Katzen und Hunde seit dem Brexit bei Reisen in die EU Mikrochips
tragen und eine Gesundheitsprüfung vorweisen müssen, was ihren Besitzern
hohe Kosten auferlegt. Großbritannien strebt nun eine Wiederaufnahme in das
Tierpasssystem der EU an.
Das allerdings, heißt es, ist nur möglich als Teil eines umfassenden
Sanitär- und Veterinärabkommens, das den Handel mit tierischen und
pflanzlichen Produkten insgesamt erleichtert. Da ist ein vorsichtiger
Balanceakt gefragt. Es geht einerseits um die britische Anwendung von in
der EU verbotenen Pestiziden, während andererseits die britischen Standards
für Tierhaltung höher sind als in der EU.
Laut Financial Times verlangt die EU eine automatische Übernahme von
EU-Regeln durch Großbritannien auch in der Zukunft, was die Briten faktisch
dem Europäischen Gerichtshof unterwerfen würde – dieses sogenannte „dynam…
alignment“ ist eine „rote Linie“ für Brexit-Hardliner. Die britische Sei…
habe das nicht ausdrücklich ausgeschlossen, heißt es, sie würde aber eine
gegenseitige Anerkennung jeweiliger Regeln vorziehen, wie es Standard in
internationalen Handelsverträgen ist. Alles andere würde auch die anderen
seit dem Brexit geschlossenen Handelsabkommen Großbritanniens mit
Drittstaaten unterlaufen, mahnen konservative Kritiker.
Was auch immer am Ende die Einigung ist, sie wird von EU-Seite an ein
dauerhaftes Beibehalten der bestehenden EU-Fangquoten in britischen
Fischereigewässern geknüpft, was London bisher nur befristet gewähren will.
Da die Fischerei nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung
ausmacht, gibt es hier für Starmer Spielraum, obwohl gerade die Fischerei
ein symbolisch aufgeladenes Thema für Brexit-Hardliner wie Nigel Farage
ist, dessen Partei [9][Reform UK] derzeit in Großbritannien die
Meinungsumfragen anführt. Konservative und Reform warnen bereits, Labour
bereite eine „Kapitulation“ vor der EU vor und geloben, jeden neuen Deal im
Falle eines Wahlsieges rückgängig zu machen.
## Einfacher reisen, vor allem wenn man jung ist
Es ist also damit zu rechnen, dass dieses zentrale Politikfeld zumindest in
seinen Details ausgeklammert bleibt. Stattdessen könnten einfachere Reise-,
Lern- und Arbeitsmöglichkeiten für Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die
alle als erstrebenswert ansehen und die unmittelbar sichtbare Vorteile
bringen, im Vordergrund stehen. So soll es wieder einfacher für Briten
werden, in die EU zu reisen, indem sie an der Grenze die bisher Bürgern des
„Europäischen Wirtschaftsraums“ vorbehaltenen e-Gates nutzen können. Es
sollen auch wieder mehr junge Europäer in Großbritannien leben und arbeiten
können, durch ein „Youth Mobility Scheme“ für 18- bis 30-Jährige.
Letzteres steht aber im Widerspruch zum Ziel der Labour-Regierung, [10][die
legale Migration nach Großbritannien deutlich zu senken]. Zu erwarten sind
deshalb strikte Beschränkungen, in einem Abkommen mit Australien gibt es
beispielsweise eine Obergrenze von 42.000 Personen pro Jahr. Das will aber
die EU bislang nicht. Offen ist auch der Status von EU-Student:innen, die
derzeit gesalzene Auslandsstudiengebühren an britischen Universitäten
bezahlen – das möchte die EU ändern.
Vom Gipfel am Montag werden letztendlich vor allem Absichtserklärungen
erwartet. Die technischen Einzelheiten werden dann später ausgetüftelt.
Keir Starmer will vermeiden, in einer Endlosdebatte zum Brexit zu landen
wie seine konservativen Vorgänger.
Er betonte in einem [11][Interview mit der Times] am Samstag, er werde
nichts unterschreiben, was nicht im „nationalen Interesse“ liege, und
verwies darauf, dass seine Regierung gerade erst Handelsabkommen mit Indien
und den USA abgeschlossen hat – zwei Dinge, die den Konservativen an der
Regierung nicht gelangen. Da habe man auch in zentralen Fragen nicht
nachgegeben, so Starmer.
Großbritannien war dennoch das erste Land der Welt, das nach Donald Trumps
massiven Zollerhöhungen mit einem Abkommen die Zollsätze wieder senken
konnte. Der „reset“ mit der EU, dem größten Wirtschaftsblock für den
britischen Außenhandel, wäre für Starmer nun die Krönung. Aber gibt er zu
viel auf, riskiert er starke Angriffe von rechts.
18 May 2025
## LINKS
[1] https://www.gov.uk/government/speeches/pms-remarks-at-the-opening-plenary-s…
[2] https://www.gov.uk/government/news/uk-eu-summit
[3] https://www.consilium.europa.eu/en/meetings/international-summit/2025/05/19/
[4] https://www.telegraph.co.uk/politics/2025/05/17/keir-starmer-eu-deal-is-goo…
[5] https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/relations-united-kingdom/e…
[6] https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/relations-united-kingdom/e…
[7] https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-10040/
[8] https://commission.europa.eu/topics/defence/future-european-defence_en
[9] /Teilwahlen-in-Grossbritannien/!6083610
[10] /Migrationspolitik-in-UK/!6087566
[11] https://www.thetimes.com/uk/politics/article/keir-starmer-brexit-eu-deal-e…
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Dominic Johnson
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