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# taz.de -- „Streikkonferenz“ an der TU Berlin: „Alerta!“ im Audimax
> Die Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Wochenende war überlaufen.
> Besonders viel Andrang gab es bei den neuen Bundestagsabgeordneten der
> Linken.
Bild: Kein Platz mehr frei: Referent Ingar Solty und Cem Ince bei ihrem Seminar…
Berlin taz | „Alerta, Alerta, Antifascista“, hallt es Ines Schwerdtner von
den Rängen des mit mehr als 1200 Menschen überfüllten Audimax der
Technischen Universität Berlin entgegen. Gerade hatte sie erzählt, wie es
ist, mit ihrer Fraktion im Bundestag dem Block der AfD gegenüberzusitzen.
Das seien „150 Nazis“, sagt die Linken-Vorsitzende. Doch statt die Stärke
der AfD zu skandalisieren, hätten sich die Union und Teile der Medien
lieber darüber erregt, dass die neue Linksfraktion beim Gruppenbild den
antifaschistischen Schlachtruf gerufen habe. Das versteht das Publikum als
Signal, ihn zu rhythmischen Händeklatschen anzustimmen.
Die Abendveranstaltung am Freitag im Audimax der TU bildete den Auftakt zur
dreitägigen Konferenz „Gegenmacht im Gegenwind“. Die „Streikkonferenz“…
„gewerkschaftlichen Erneuerung“ ist die größte Veranstaltung der
Rosa-Luxemburg-Stiftung und findet zum sechsten Mal statt, diesmal mit
Besucherrekord. Weit mehr als 2000 Teilnehmende irren am Wochenende durch
die Gänge und über das weitflächige Gelände der TU auf der Suche nach einer
der vielen Veranstaltungen, von denen oft mehr als ein Dutzend parallel in
einem der Seminarräume und Hörsäle stattfinden.
Beim großen „Auftaktpodium“ im Audimax geht es um den „Rechtsruck in
Betrieb und Gesellschaft.“ In ihrer kämpferischen Begrüßungsrede sprach
TU-Präsidentin Geraldine Rauch von einem „Wow-Effekt“, so viele „Menschen
mit kritischem Geist“ im Saal zu sehen. Sie warnte davor, nur auf die USA
zu zeigen, um sich über eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu empören.
Angriffe auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und „die gleichen
Mechanismen“ gebe es auch in Deutschland. Dagegen müsse man sich wehren,
denn Hochschulen müssten politische Freiräume sein, sagt sie unter Applaus.
## Warum wählen Arbeiter rechts?
Auf dem Podium überwiegen später jedoch die nachdenklichen Töne. Der
Politologe Gerd Wiegel, Referatsleiter beim DGB, hatte anhand einer
Power-Point-Präsentation dargestellt, dass die AfD unter Arbeitern
inzwischen die populärste Partei ist. Selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern
erhält sie überdurchschnittlich Zuspruch. Wiegel deutet das als Ausdruck
der Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg, der Teile dieses Milieus
erfasst habe.
Diese Rechtsverschiebung hat viele Facetten. Marc Seeger, Betriebsrat der
IG Metall bei VW in Braunschweig, beschreibt, wie der rechtsextreme Verein
„Zentrum“ versucht, sich als „alternative Gewerkschaft“ in den Betrieben
breitzumachen. Die Verdi-Gewerkschaftssekretärin Lisa Baumeister berichtet,
wie sich AfD-Funktionäre in Brandenburg an Streiks und anderen
Arbeitskämpfen beteiligten. Das könne man gar nicht vermeiden, die Leute
nicht ausschließen. Aber es sei wichtig, „in den Konflikt“ zu gehen und zu
versuchen, die Leute zu überzeugen.
Als Grund für den Zuspruch zur AfD macht Baumeister Enttäuschung aus: „Die
Leute sind abgegessen davon, wie wenig sie gesehen und wertgeschätzt
werden.“ Ines Schwerdtner benennt materielle Unsicherheit sowie „die
Mischung aus Militarisierung und Sozialabbau“ als idealen „Nährboden für
rechts“. Dagegen helfe nur, diese Sorgen zu adressieren. Die Parole
„Mietendeckel ist Antifaschismus“ sei zwar etwas plump, aber dennoch sei da
etwas dran, befand sie.
## Die roten Fäden der Konferenz
Sozialabbau, Aufrüstung, rechte Gefahr: diese Themen ziehen sich wie ein
roter Faden an den drei Tagen durch die über 80 Seminare, Workshops und
„Branchentreffen“. Das Spektrum reicht von praktischen Fragen – „Wie ba…
ich eine Betriebsgruppe auf?“ – bis zu: „Wie kann die soziale
Transformation der Stahlindustrie gelingen?“
Im Mathematikgebäude der TU haben mehrere linke Kleinverlage ihre Stände
aufgestellt, an denen ihre Bücher und Broschüren ausliegen. Das Publikum
ist eine Mischung aus Gewerkschaftlern, anderen Engagierten und
Studierenden. Mitglieder der GEW tragen T-Shirts mit dem Konterfei von
Marlene Dietrich und dem Slogan „Aus Anstand Antifaschistin“, mehrere junge
Studierende tragen Palästinensertücher.
Beim Panel zur „Krise in der Automobilindustrie“ herrscht viel
Ratlosigkeit. Ingo Kübler vom Zuliefererbetrieb Mahle wirft ein Schaubild
an die Wand, um zu zeigen, dass ein Elektro-Antrieb viel weniger Teile
benötigt als Motor und Getriebe eines Verbrenners, und dieser vor allem aus
Kunststoffteilen und Elektronik besteht. „Dafür braucht man keine
Metall-Facharbeiter mehr“, sagt er. Mit anderen Worten: die Transformation
wird Arbeitsplätze kosten.
Eckhard Kirschbaum berichtet als Betriebsrat aus Osnabrück, die Kollegen
seinen „schockiert und verunsichert“. Der Rüstungskonzern Rheinmetall
erwägt, ein VW-Werk in Osnabrück zu übernehmen, um dort Militärfahrzeuge
herzustellen. Das wird die Arbeitsplätze aber nicht retten, glaubt er.
Besonders gut besucht sind die Veranstaltungen mit den neuen Abgeordneten
der Linken im Bundestag. Als der kalifornische Aktivist Keith Bower Brown
vom Magazin Labor Notes über „die Erneuerung der US-Gewerkschaften“
referiert, ist der Hörsaal überfüllt. Die 37-jährige Violetta Bock aus
Hessen, die ihn vorstellt, bekommt bereits Applaus, als sie sich nur als
„eine der neuen Abgeordneten im Bundestag“ vorstellt. Beide tragen T-Shirts
mit dem Aufdruck „Troublemakers Union“ und einer Steinschleuder als Logo –
er in Lila, sie in Blau, im Partnerlook.
## Erwartungsdruck und Hoffnungen
Am Samstagabend muss Cem Ince sogar Leute wegschicken, weil der Seminarraum
aus allen Nähten platzt, in dem er mit den Referentinnen Ingar Solty und
Judith Dellheim von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über „Zeitenwende und
Kriegsgefahr“ sprechen will. Der 31-jährige war lange Sprecher der Azubis
bei VW im niedersächsischen Salzgitter und ist Mitglied der IG Metall, er
sitzt jetzt für die Linke im Bundestag. „Ich bin beeindruckt“, sagt er
anschließend. „So viele Leute. Diesen Druck müssen wir auf die Straßen
bringen“. Und: auch seine Partei brauche den „Druck von unten“.
Die ehemalige Parteivorsitzende Janine Wissler sitzt am Sonntagmorgen auf
einem Podium „zu den Aufgaben der Gewerkschaften unter einer neuen
Bundesregierung“. Vor einem halben Jahr hätten viele ihre Partei noch
abgeschrieben, niemand hatte große Erwartungen. „Das hat sich jetzt
geändert“, sagt sie. Nun stelle sich die Frage: „Wie können wir den
Erwartungen und den Hoffnungen, die die Menschen in uns gesetzt haben,
gerecht werden.“
Konferenzen wie diese seien wichtig, um die „Vereinzelung und Isolierung“
zu überwinden, sagt Wissler. Wichtig sei es, die Profitlogik und die
Eigentumsverhältnisse infrage zu stellen. Eine gute Sozialpolitik alleine
reiche aber nicht, um den Rechten den Nährboden zu entziehen. „Wir müssen
auch Rassismus bekämpfen und dem Kulturkampf widerstehen, den die Union
führen wird“, sagt Wissler.
4 May 2025
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Berufsgewerkschaften
Streik
Die Linke
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Streik
Tag der Arbeit / 1. Mai
Die Linke
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