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# taz.de -- Ausgabe Arch+ zu Monumentalarchitektur: Kultische Betongiganten
> „Arch+“ widmet die neue Ausgabe einer anderen Architektur der Moderne,
> die dem Dogma des Funktionalismus Megabauten für das Kollektiv
> entgegenstellt.
Bild: So schön, so monumental: „Chronik Georgiens“ auf einer Erhebung nahe…
Berlin taz | Sie sind unglaublich groß, sie ziehen Tausende von Menschen an
– und doch finden sie in den Architekturdiskursen der westlichen Welt kaum
Beachtung. Schreine, Tempel, Pilger- und Veranstaltungsstätten; kurz:
Monumentalarchitekturen, in denen archaisch anmutende Massenrituale ihren
baulichen Ausdruck finden.
Nun widmet Arch+, Zeitschrift für Architektur und Urbanismus, dieser
Typologie eine Ausgabe. Ihr Titel, „Wonders of the Modern World“, klingt
ziemlich paradox. Waren doch die Moderne und die in ihr verkörperte
Aufklärung gerade dazu angetreten, diese Welt zu entmystifizieren.
Das Heft stellt das gleichnamige Forschungsprojekt der TU Wien vor, das von
den Architekten Anna Livia Friel und Pier Paolo Tamburelli geleitet wird.
Im Einleitungstext hält Tamburelli fest, dass es zunächst darum gehe, die
modernen Wunder überhaupt sehen zu lernen.
## Von Las Vegas lernen
Wie im 1972 erschienenen [1][Buch „Learning from Las Vegas“. Da schenkten
Denise Scott Brown und Robert Venturi] der Trash-Architektur in der
Wüstenstadt Beachtung und rissen das geltende Regelwerk einer
ornamentfreien Moderne nieder. Die beiden Hauptkriterien: In (Bau-)Wundern
tun große Menschenmengen „Unerklärliches“, und sie wurden nach 1753 erbaut
– dem Jahr, in dem Marc-Antoine Laugiers „Essai sur l’Architecture“ mit…
schützenden „Urhütte“ einer modernen Architektur den theoretischen Unterb…
lieferte.
Rationalität war die Prämisse, in der Architektur hatte die Form strikt der
Funktion zu folgen. Dieses Dogma der Moderne hält insbesondere in der
Architekturkritik bis heute an. Und doch entstehen immer weitere Monumente,
Gebäude und Landschaften, die nicht nur rein zweckhaft sind, sondern Raum
für Rituelles und Kultisches bieten.
50 Beispiele dafür findet man im Heft. Die Liste könnte aber nach Belieben
fortgesetzt werden, denn die Wunder sind allgegenwärtig: Die
US-Präsidentenköpfe am Mount Rushmore, die jedes Jahr das Epizentrum der
Sturgis Motorcycle Rally bilden, die seit 2018 in quietschbunten Farben
erstrahlende Hindu-Pilgerstätte der Batu Caves in Kuala Lumpur oder die
jährlich neu entstehende Bierzeltstadt beim Münchner Oktoberfest.
## Konstitution von Gemeinschaft
Sie alle stehen hier ebenbürtig nebeneinander. In ihnen wird eine zentrale
Aufgabe der Architektur sichtbar, die die Moderne, so die These, in ihrer
Reduktion auf das unmittelbar Notwendige aus dem Blick verlor: die
Konstitution von Gemeinschaft. „Wunder“ wurden erbaut, um die
Machtverhältnisse und Gesellschaftsordnungen widerzuspiegeln, unter denen
sie entstanden sind – und verkörpern insofern kollektive Werte.
Die Orte und der Ablauf der Riten, die ihnen Sinn verleihen, werden im Heft
jeweils mit kurzen Aufsätzen und Chronologien skizziert. Zeichnungen
versuchen mit gleichbleibenden Linienstärken möglichst wertungsfrei zu
fassen, was physisch vorhanden ist. Der nüchterne Umgang mit den Wundern
ist Methode, um nicht vom Strudel geopolitischer Verstrickungen und
hegemonialer Zuschreibungen mitgerissen zu werden.
Den beschreibt Anna Livia Friel in ihrer schwindelerregenden Recherche zum
Mansudae Art Studio. Das Studio stellt in Nordkorea kolossale Mega-Statuen
her und bedient sich dabei einer Bildsprache, die man noch aus der
stalinistischen Propaganda kennt. Dafür erhält es internationale Aufträge.
Auch das Monument der afrikanischen Wiedergeburt in Dakar mit seinen
heroisch gen Westen blickenden Figuren wurde in Nordkorea entworfen, mit 50
Meter Höhe bildet es eine der größten Statuen auf dem afrikanischen
Kontinent.
## Bilderzyklus aus Georgien
Auch lesenswert: Erinnerungen des Architekturtheoretikers Vladimir Paperny
[2][an den kürzlich verstorbenen georgisch-russischen Bildhauer Surab
Zereteli]. Seine „Chronik Georgiens“ auf einer Erhebung nahe der Hauptstadt
Tiflis ist eine an Stonehenge erinnernde Ansammlung monumentaler Stelen.
Ihr Bilderzyklus zeigt die antike Geschichte des Kaukasuslandes, seine
Könige, sein frühes Christentum, seinen Heiligenkult. Zeretelis düsteres
Werk gilt als bissiger, noch zu Zeiten der Sowjetunion geäußerter
[3][Kommentar zum georgisch-russischen Verhältnis].
Die einprägsamen Bilder der Fotograf:innen Giovanna Silva und Grigory
Sokolinski im Heft zeigen Spektakel, aber auch den Alltag dieser Räume,
bunt, gigantisch, dreckig und voller Widersprüche. Die vorgestellten Orte
legen kollektive Sehnsüchte und die Verfasstheit ihrer Gesellschaft auf
nahezu naive Weise offen. Diese Architekturen behaupten die Überlegenheit
einer Religion oder Kultur, sie produzieren Zugehörigkeit. Da kann einem
auch unheimlich werden.
2 May 2025
## LINKS
[1] /Fotobuch-ueber-Rom-und-Las-Vegas/!6030721
[2] /Russischer-Kuenstler-Zereteli-gestorben/!6083205
[3] /Publizist-Lasha-Bakradze-ueber-Georgien/!6081870
## AUTOREN
Kathrin Schömer
## TAGS
Architektur
Moderne
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Architektur
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Architektur
Schwerpunkt Stuttgart 21
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