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# taz.de -- Geschichtsschreibung im Sport: Eine schöne, alte, bewegende Zeit
> Eine Ausstellung präsentiert den Sport der Weimarer Republik als
> Erfolgsgeschichte – mit den Nazi-Spielen 1936 als Höhepunkt.
Bild: Am Marathontor des Berliner Olympiastadions wird Carl Diem auch heute noc…
Berlin taz | Tradition macht respektabel. Wer Tradition will, braucht
Geschichte, auch der Sport. Gerade, wenn der DOSB eine
[1][Olympiabewerbung] anstrebt. Die deutsche Geschichte mit Olympischen
Spielen ist aber von Autoritarismus und Gewalt geprägt. Wer wollte positiv
an [2][Berlin 1936] oder [3][München 1972] anknüpfen? Finden sich bessere
Traditionen? Das suggeriert der Titel einer Ausstellung im Haus der
Weimarer Republik/Forum Demokratie in Weimar: [4][„Freiheit in Bewegung.
Sport in der Weimarer Republik“]. Sie bietet seltene Fotos, Filme und
Plakate, viele Informationen und zwei positive Leitmotive: Freiheit und
Bewegung. Dabei spricht schon die erste Ausstellungstafel von verlorenem
Krieg und Versailler Vertrag.
Dort steht: „Mit der erzwungenen Abrüstung und dem Wegfall der Wehrpflicht
sieht man den Sport als Mittel, um die Deutschen körperlich fit und
wehrhaft zu halten.“ Man? Zum Beleg wird [5][Carl Diem] zitiert, 1917 bis
1933 Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen, des
Dachverbands des bürgerlichen Sports. „Mit ganzer Energie“, so Diem 1920,
müsse die „Änderung der Lebensführung“ mit einer „Staatsbürgerpflicht…
Sport „erzwungen werden“. Freiheit in Bewegung?
Ab 1933 organisierte Diem im Einvernehmen mit der NS-Sportführung die
Spiele von 1936. Doch man liest, Diem sei „von den Nationalsozialisten als
‚politisch unzuverlässig‘ eingestuft“ worden. 1939 wurde er zum „Führ…
Gaues Ausland“ im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen
ernannt. 1940 ließ er die SS im besetzten Paris französische
Sportfunktionäre darauf überprüfen, ob sie Juden sind. Noch am 17. März
1945 hielt er in Berlin eine Durchhalterede vor Kindersoldaten der HJ.
„Politisch unzuverlässig“? Waren die Ausstellungsmacher hier richtig
informiert?
Wissenschaftliche Beratung leisteten Sigrid Jürgens und Ulrich Schulze
Forsthövel für den DOSB und Wolfram Pyta (Universität Stuttgart), der
zuletzt [6][bestritt], Ex-Kronprinz Wilhelm habe dem NS-Regime
entscheidenden Vorschub geleistet. Den Kronprinzen kannte Diem schon im
Kaiserreich – als Sportförderer. Damals begann die Amalgamierung von
Nationalismus, Sport und Krieg. Ab 1911 war Diem im Vorstand des
Jungdeutschlandbunds aktiv, einer staatlich geförderten,
antisozialdemokratischen und militärpropädeutischen Jugendorganisation. Als
Generalsekretär der für 1916 angesetzten [7][Olympischen Spiele] betrieb er
Olympiawerbung als nationalistische Mobilisierungskampagne. Sein Pressechef
Martin Berner deutete Olympia gar als „Symbol des Weltkrieges“, das seinen
„militärischen Charakter nicht so offen zur Schau trägt“. Der Weltkrieg
kam. Die Spiele fielen aus. Nun erklärte Diem es zur „Frage des Takts und
der nationalen Würde“, mit wem man nach gewonnenem Krieg noch Sportverkehr
pflegen würde. In der Ruhrkrise 1923 lehnte er die deutsche Beteiligung an
Olympischen Spielen ab, „solange“ – er benutzt das N-Wort – „in
französischer Uniform am Rhein stehen“.
## Unterschiede zwischen bürgerlichem und Arbeitersport werden verwischt
In der Ausstellung jedoch wird geklagt, „isoliert und von internationalen
Wettkämpfen ausgeschlossen“, seien deutsche Athleten „nach dem Krieg aus
dem Weltsport verbannt“ und erst 1928 wieder zu Olympia zugelassen worden.
Die Reintegration wird in der Stresemannschen Entspannungspolitik
kontextualisiert. Gelobt aber wird Diem: „Sein Engagement führt schließlich
zur Rückkehr Deutschlands auf die internationale Sportbühne, die mit der
Vergabe der Olympischen Spiele 1936 an Berlin gekrönt wird – ein Erfolg,
den er maßgeblich vorantreibt.“ Diem setzte seine Karriere im NS-Regime
fort – und danach in der Bundesrepublik.
[8][Die Ausstellung] liefert (inklusive der Wiedergabe zeitgenössischer
Sportkritik) eine Erfolgsgeschichte des Weimarer Sports bis zu den Spielen
von 1936. Sie unterscheidet bürgerlichen und Arbeitersport soziologisch und
statistisch, nicht aber politisch. Die Behauptung, „man“ habe Sport als
Wehrpflichtersatz gesehen, verwischt Unterschiede und Gegensätze. Die
sozialdemokratisch orientierte Zentralkommission für Sport und
Körperpflege (ab 1922 für Arbeitersport und Körperpflege) entstand 1912 in
Abgrenzung zur Politik der bürgerlichen Verbände.
Begegnungen mit Sportlern aus alliierten Staaten gab es im Arbeitersport
schon 1919. Auf dem Plakat zur ersten Internationalen Arbeiterolympiade in
Frankfurt/Main 1925 – es ist in der Ausstellung zu sehen – schreitet ein
Athlet über verbeulte Stahlhelme, zerbrochene Gewehre und zum Hakenkreuz
verdrehten Stacheldraht hinweg. Freiheit in Bewegung. Auf den bürgerlichen
Reichsausschuss lässt sich dieses Motto nur anwenden, wenn man seine
nationalistische und militärfreundliche Orientierung vor und nach dem
Ersten Weltkrieg nicht genau analysiert und seine so schnelle wie
freiwillige Selbstgleichschaltung 1933 ignoriert. Die deutsche
Sportgeschichte braucht tiefere Analysen, als diese Ausstellung sie bietet,
um demokratische Traditionen zu begründen.
1 May 2025
## LINKS
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[4] https://www.hdwr.de/veranstaltungen/freiheit-in-bewegung-sport-in-der-weima…
[5] /Die-Vergangenheit-des-Carl-Diem/!5130999
[6] /Historiker-Malinowski-ueber-Hohenzollern/!5818046
[7] /!5317538/
[8] https://www.hdwr.de/veranstaltungen/freiheit-in-bewegung-sport-in-der-weima…
## AUTOREN
Ralf Schäfer
## TAGS
Sportgeschichte
Olympia 1936
Weimarer Republik
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Innensenatorin Iris Spranger
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Olympia 1936
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