Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pionier der Energiewende: David gegen Goliath
> Dietrich Koch wurde belächelt, als er in der Nähe des Kohlekraftwerks
> Ibbenbüren einen Windgenerator aufstellte.
Bild: Energiewende live: Die Sprengung des Kohlekraftwerks Ibbenbüren war für…
Ibbenbüren taz | Was sollte dieser Propeller in der Landschaft? Mit einem
Windrad Strom zu erzeugen, das konnte doch nur einem Spinner einfallen. Wo
Ibbenbüren doch auf zig Millionen Tonnen Kohle saß. Die man nur im
Kraftwerk auf dem Schafberg verfeuern musste, um die Hochspannungsdrähte
glühen zu lassen. Mit 800 Megawatt aus dem Block B, die sich jederzeit
abrufen ließen, vierzigtausendmal so viel wie die kleine Windmühle maximal
bringen konnte.
Der neue Block B war der ganze Stolz für die Mannschaft vom Kraftwerk. Für
die Kumpel aus der Zeche. Für die 50.000-Einwohner-Stadt Ibbenbüren in
Nordrhein-Westfalen. Den Bau dieses Meilers hatte die Region gegen alle
Widerstände erkämpft, um Deutschlands nördlichster Steinkohlezeche eine
Zukunft zu geben. Sogar den Energieriesen RWE – bis 1990
Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk – hatte man erst weichklopfen
müssen.
Im September 1982, die neue Anlage mit dem 120 Meter hohen Kesselhaus und
dem 275 Meter hohen Schlot war noch im Bau, da bekam der Goliath RWE auf
einmal den ausgestreckten Mittelfinger zu sehen. Im benachbarten Mettingen
drehte sich fröhlich ein Dreiflügler auf einem 25 Meter hohen Stahlmast.
Und produzierte Strom, den der Energieriese dem wackeren David nur ungern
abnehmen wollte. Es war das erste Mal in Deutschland, dass ein privater
Betreiber Windstrom ins öffentliche Netz einspeisen durfte.
Der Mann hieß Dietrich Koch, er unterrichtete als Realschullehrer Biologie
und war überzeugt, dass Alternativen zur Kohle- und Atomenergie möglich
sind. Für 67.000 Mark hatte sich der damals 44-Jährige den Windgenerator
des niederländischen Herstellers Lagerwey gekauft und auf dem Hügel neben
seinem Wohnhaus in Betrieb genommen. Der Rotor mit nur fünf Meter
Durchmesser brachte es auf 20 Kilowatt Maximalleistung. Das reichte zwar,
um fünf Haushalte mit Strom zu versorgen, rang den RWE-Leuten vom
benachbarten Schafberg aber allenfalls ein mitleidiges Lächeln ab.
Auf Kohle- und Atommeiler stützte sich in den 1980er-Jahren das gesamte
Energiesystem. Selbst die Grünen hielten die Überwindung des fossilen
Zeitalters damals noch für eine ferne Illusion. Doch der Fortschritt kam
schneller als erwartet. 2024 stammten sechs von zehn Kilowattstunden in
Deutschland aus regenerativen Quellen. Inzwischen erwartet die
Internationale Atomenergie-Agentur IAEA, dass 2030 die Hälfte des globalen
Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen fließen wird.
Der Realschullehrer Dietrich Koch aus Mettingen gehört zu den Menschen, die
den Zug der Energiewende aufs Gleis gesetzt haben. Sein Motiv war, den
Planeten für seine Kinder, seine Enkel und die nachfolgenden Generationen
zu erhalten. Mit Leidenschaft, Ausdauer und Humor nahm er die Sache in die
Hand. Um ans Ziel zu kommen, musste er oft unkonventionelle Wege gehen.
Dass da einer mit Wind Strom erzeugen wollte, rief Anfang der 1980er-Jahre
behördlichen Argwohn hervor. Um das drehende Ungetüm zu verhindern, legte
das zuständige Bauamt dem lästigen Weltverbesserer unentwegt Steine in den
Weg. Aber der spleenige Lehrer überlistete die Bürokratie mit ihren eigenen
Mitteln. Er stellte einen Bauantrag für einen Atombunker, der als
privilegiertes Vorhaben genehmigt werden musste. Und den sollte ein
Windgenerator mit Strom beliefern. So ging die Sache schließlich durch. Und
nahm Fahrt auf. So rasant, dass der Bunker auf einmal gar nicht mehr nötig
war.
Strom gab es genug im Hause Koch, nicht nur vom Windrad, später auch von
einer Solaranlage. Um möglichst viel davon selbst zu verbrauchen, baute der
zielstrebige Bastler eine Heizung für sein Gewächshaus und ein kleines
Schwimmbad für seine Enkel. Damals schon mit Wärmepumpe.
Dietrich Koch war einer der ersten, der mit dem E-Auto über den Schafberg
kurvte. 1984 sah man ihn am Steuer eines Ufo-ähnlichen Zweisitzers
amerikanischer Bauart, dann in einem umgebauten Trabi, später in einem
flotten [1][Tazzari Electric] aus Italien. Um unterwegs zu tanken, gründete
der E-Pionier mit anderen Wind- und Solarfreunden einen Verbund, dessen
Mitglieder auf Gegenseitigkeit grünen Strom aus abschließbaren Steckdosen
zapfen durften.
Mit seinem Enthusiasmus steckte Dietrich Koch andere an, sich ebenfalls für
regenerative Energien zu engagieren. Auch seine Familie musste einspringen,
wenn es Broschüren zu falten oder Flugblätter zu verteilen gab. Mit
Gleichgesinnten gründete er die Interessengemeinschaft Windkraft Binnenland
(IWB), einen der Vorläufer des [2][Bundesverbandes Windenergie] (BWE).
Häufig war er unterwegs in Düsseldorf und Bonn, um Politiker und Bürokraten
von seiner Mission zu überzeugen.
## Die Energieriesen als größte Gegner
Dietrich Kochs größte Gegner waren die Energieriesen, die damals noch über
ihre Gebietsmonopole verfügten. Keine Gelegenheit ließ er aus, um das RWE
an den Pranger zu stellen, das ihm nur lächerliche zwei Pfennige pro
Kilowattstunde zubilligte, obwohl die Kunden mehr als das Zehnfache dafür
zahlen mussten. Für den Lehrer aus Mettingen war es der Kampf der Gallier
gegen die Römer. Und jeder Moment, in dem sein Blick auf das Kohlekraftwerk
fiel, wirkte auf ihn wie ein Zaubertrank.
Dass sich ein Privatmann ins Konzert der großen Energieversorger
einmischte, wurde damals als Ungehörigkeit empfunden. Aber gerade mit
seiner Frechheit hat der Biolehrer vieles in Bewegung gebracht. Sogar ganz
große Räder. Mit der Netzeinspeisung habe Dietrich Koch Geschichte
geschrieben, sagt Wilfried Winkelmann, der Gründer des Deutschen
Windkraftmuseums in Stemwede. Denn damit sei eine Dynamik in die Sache
gekommen, die zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), zum Solarboom und zu
Unternehmensgründungen wie dem Hersteller von Windkraftanlagen Enercon
geführt habe.
Letztlich auch zum Kohleausstieg. Und zum Ende des Kraftwerks Ibbenbüren.
Im Juli 2021 glühte der Kessel zum letzten Mal. Nebenan in der Zeche war
[3][schon seit 2018 Schicht im Schacht]. In Ibbenbüren haben sie inzwischen
ihren Frieden mit dem Kohleausstieg gemacht. „Es war klar, dass das nicht
ewig so weitergehen würde“, bekennt Werner Lüken, der als ehemaliger
Technikchef des Kraftwerks in die Abbruchtruppe gewechselt ist. Er hat
erlebt, dass die Anlage immer häufiger abgeschaltet werden musste, weil es
genug Wind- und Solarstrom im Netz gab. Die Energiewende war da, der große
Traum von Dietrich Koch.
Das Kraftwerk auf dem Schafberg, das sogar aus 50 Kilometer Entfernung als
Landmarke am Horizont zu sehen war, ist inzwischen Geschichte. Anfang April
ließ eine Sprengladung das Kesselhaus einstürzen. Der 125 Meter hohe
Kühlturm fiel zusammen, nachdem ihn die Abbrucharbeiter mit einem Stahlseil
zusammengedrückt hatten. Im Oktober soll auch der 275 Meter hohe Schlot
fallen. Auf dem Kraftwerksgelände will der Netzbetreiber Amprion eine
Konverterstation für den Offshore-Windstrom von der Nordsee errichten. Über
eine 380 Kilometer lange Leitung soll die Energie als Gleichstrom in
Ibbenbüren ankommen und als Wechselstrom weiterfließen. Der
nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krische (Grüne) spricht von
einer „grünen Steckdose für NRW“, die zwei Millionen Menschen versorgen
soll. Deutlich mehr als der mächtige Block B des Kraftwerks liefern konnte.
Ohne CO₂, ohne Schwefel, ohne Stickoxide.
Dietrich Koch hat die Sprengung nicht mehr erlebt. Nach langer Krankheit
ist er im Oktober 2024 gestorben. Aber seine Freunde sind sicher: Er hatte
großen Anteil daran, dass es so weit gekommen ist.
26 Apr 2025
## LINKS
[1] /!339131/
[2] https://www.wind-energie.de/
[3] /Ende-des-Steinkohlebergbaus/!5557420
## AUTOREN
Rainer Lahmann-Lammert
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
Energiewende
RWE
Kohlekraftwerke
Windkraft
Social-Auswahl
Schwerpunkt Ostdeutschland
Kohlekraftwerke
Steinkohle
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Lausitz im Strukturwandel: Unter dem See liegt der Tagebau
Bis spätestens 2038 soll Schluss sein mit dem Kohleabbau in der Lausitz.
Die Region, die alles auf das schwarze Gestein ausgerichtet hat, versucht
den Strukturwandel.
Pläne für Standorte stillgelegter Meiler: Freizeitpark statt Kohlekraftwerk
Da der fossile Energieträger keine Zukunft hat, suchen die Betreiber neue
Verwendungen für ihre Elektrizitätswerke. Eine Idee: Wasserstoff-Fabriken.
Ende des Steinkohlebergbaus: Bye-bye, Kohlenpott
Mit der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop schloss am Freitag das letzte
Steinkohlebergwerk Deutschlands. Das Aus war schon 2007 besiegelt worden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.