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# taz.de -- Der Rotkardinal: Ein Konklave der Lebensfreude
> Ab diesem Mittwoch wählen 135 Kardinäle, abgeschirmt von der Außenwelt,
> den nächsten Papst. Die viel progressivere Zusammenkunft findet aber
> woanders statt.
Bild: „Und wen wählst Du?“ – „Auf jeden Fall nicht den Matz. Der hat m…
Der Kardinal muss gar kein alter Mann mit abweichendem Sexualleben und
verschrobenen Vorstellungen sein. Es gibt ihn auch vital, weltzugewandt und
den Freuden des fleischlichen Kontakts gegenüber höchst aufgeschlossen. Und
dazu noch viel schöner singend!
Der Kardinal, auch Rotkardinal, ist einer der markantesten Vögel
Nordamerikas. Wie seine katholischen Namensvettern trägt auch der
Sperlingsverwandte eine scharlachrote Soutane und eine ebensolche
Kopfbedeckung. Diese kann, im Gegensatz zum schmucklosen Pileolus der
Katholiken, der den ästhetischen Charme eines noch nicht ausgerollten roten
Kondoms vermittelt, zu einer hübschen Federhaube aufgestellt werden.
Die Vogelwelt ist deutlich progressiver als die katholische, die Hälfte von
ihr ist nämlich weiblich. Die Kardinälin trägt ein eher bräunliches
Gefieder mit roten Ornamenten. Singen können beide Geschlechter ganz
vorzüglich, gern auch im Duett und das ganze Jahr über, wobei die Weibchen
zu Beginn der Brutzeit (mehr Sex) höher und zu Beginn einer Beziehung (noch
mehr Sex) ausdauernder singen als später. Auch Nestbau, Brüten und Aufzucht
der Jungen teilen sich beide Geschlechter gleichberechtigt.
Kardinäle zählen zu den Strichvögeln: Sie ziehen mal hierhin, mal dorthin,
je nachdem, wo es ordentlich was zu picken gibt. Gefuttert wird, was in den
kegelförmigen, ebenfalls rötlichen Schnabel passt. Das sind vor allem
Körner, aber auch Blüten, Insekten und besonders gerne rote Beeren, deren
Farbstoffe für die Kardinalspracht des Gefieders sorgen.
Auch die Rotkardinäle finden übrigens regelmäßig zu großen Gruppen
zusammen, und man spricht dabei tatsächlich vom „cardinal conclave“ oder
„Vatican of cardinals“. Es findet in jedem Winter außerhalb der Brutzeit
statt und umfasst dutzende Kardinäle, bis zur vollen Konklavestärke. Sie
ziehen gemeinsam durch die Lande, was die Futtersuche in der kargen
Jahreszeit erleichtert.
Den Rest des Jahres leben die Tiere paarweise, wenn auch in offener
Beziehung. Kardinal und Kardinälin bleiben mitunter über Jahre zusammen,
erlauben sich aber immer mal wieder Kurzzeitaffären. Da allerdings ist der
Vogel auch nur ein Mensch: So sympathisch die Vision von der freien Liebe
klingen mag, Befindlichkeiten und Besitzansprüche führen sofort dazu, dass
der eigentliche Partner dem Konkurrenten ordentlich auf die Federmütze
gibt, wenn er Wind davon bekommt.
Dass es ausgerechnet bei diesem katholischsten aller Vögel vereinzelt
sogenannte Gynander gibt, die sowohl Männchen als auch Weibchen und
lustigerweise, vertikal scharf getrennt, zur Hälfte rot und zur Hälfte
bräunlich gefärbt sind, ist ein hübsches [1][Bekenntnis der Natur gegen das
Gerede vom Widernatürlichen]. Und das im Trumpland! Diese Queerness und
Diversity wird kein Dekret der Welt je ändern.
Ähnlich [2][wie die menschlichen Kardinäle] sind auch die gefiederten
beliebten Maskottchen. Sie fungieren in gleich mehreren US-amerikanischen
Bundesstaaten als offizieller „Staatsvogel“ und finden sich in Wappen und
in Namen von zahlreichen Sportmannschaften. Auch Spirituelle und Esoteriker
sind ganz verrückt nach ihnen. Wenn sie einen Kardinal sehen, soll das
dieses oder jenes bedeuten und irgendwelche Energieströme mit Natur, Kosmos
oder Verstorbenen herstellen – na, da könnten wir ja gleich beim
Katholizismus bleiben.
Stattdessen erfreuen wir uns lieber am frei herumziehenden,
gleichberechtigt lebenden und sexpositiven Kardinalsvogel. Ein Konklave der
Lebensfreude!
7 May 2025
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## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
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Glaube, Religion, Kirchenaustritte
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