| # taz.de -- Deutsche Oberbürgermeister in Istanbul: „Niemand hier will das a… | |
| > Hannovers Bürgermeister Belit Onay spricht in Istanbul als | |
| > Städtetag-Vertreter mit Kollegen. Niemand könne die Vorwürfe gegen | |
| > İmamoğlu nachvollziehen. | |
| Bild: Die Proteste nach der Verhaftung von Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem �… | |
| taz: Herr Onay, Sie führen eine Delegation des Deutschen Städtetages in | |
| Istanbul an. Mit wem konnten Sie schon sprechen und wie erleben Sie die | |
| Stimmung in Istanbul? | |
| Belit Onay: Wir sind hier mit 30 Oberbürgermeistern und | |
| Oberbürgermeisterinnen aus ganz Deutschland, darunter Henriette Reker | |
| (parteilos) aus Köln, das als Partnerstadt von Istanbul eine besondere | |
| Rolle einnimmt, aber auch Andreas Bovenschulte (SPD) aus Bremen. Auf | |
| türkischer Seite sind es noch einmal genauso viele Teilnehmer, angeführt | |
| von Nuri Aslan, dem Stellvertreter des verhafteten Istanbuler | |
| Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu und dem kommissarischen Leiter des | |
| Türkischen Städtetages, Zeydan Karalar. Diese Veranstaltung war schon seit | |
| Monaten geplant, hat jetzt aber durch [1][die Verhaftung İmamoğlus und die | |
| anhaltenden Proteste] ganz andere Vorzeichen bekommen und ist deshalb auch | |
| deutlich verkürzt worden. | |
| taz: Wie offen kann man denn da sprechen? Aus welchen Lagern setzt sich die | |
| türkische Delegation zusammen? | |
| Onay: Das haben wir uns im Vorfeld auch gefragt. Wir haben in unseren | |
| Auftaktreden sehr deutliche Solidaritätsadressen für İmamoğlu formuliert – | |
| das betrifft mich, Henriette Reker, aber auch den Vertreter des Auswärtigen | |
| Amtes und unsere Gastgeber. Es ist schon so, dass hier die CHP (der auch | |
| İmamoğlu angehört, Anmerkung der Redaktion) deutlich dominiert, die haben | |
| die Kommunalwahl im letzten Jahr klar gewonnen und stellen entsprechend | |
| viele Vertreter. Es sind aber auch Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der | |
| kurdischen DEM-Partei und sogar der AKP vertreten. Das ist schon | |
| bemerkenswert, weil die Botschaft der bisherigen Redner hier ziemlich | |
| eindeutig war: Niemand kann die Vorwürfe gegen İmamoğlu nachvollziehen, | |
| alle gehen davon aus, dass es sich hier um ein fingiertes Verfahren | |
| handelt, das nur dazu dient, einen aussichtsreichen | |
| Präsidentschaftskandidaten aus dem Verkehr zu ziehen. | |
| taz: Wie optimistisch ist die Opposition, dass sich dieses Verfahren noch | |
| aufhalten lässt und die Proteste auf den Straßen Erdoğ an zum Einlenken | |
| bringen? | |
| Onay: Optimistisch ist wahrscheinlich das falsche Wort. Kämpferisch würde | |
| ich eher sagen. Keiner kann gerade abschätzen, was wirklich passiert, in | |
| den nächsten Tagen und Wochen. Da will sich auch nachvollziehbarer Weise | |
| niemand festlegen. Aber alle sagen: Wir wollen das nicht einfach so | |
| akzeptieren. Nicht noch einmal. Das ist in den letzten Jahren schon zu oft | |
| passiert. | |
| taz: Sie haben [2][gerade die Kurden angesprochen.] Denen könnte jetzt eine | |
| ganz entscheidende Rolle zuwachsen. Was hören Sie da? | |
| Onay: Die werden zum Ziel einer sehr bewährten Regierungsstrategie, die | |
| darauf setzt – und das auch schon oft erfolgreich getan hat – die | |
| Opposition zu spalten. Man muss einfach sehen, dass die Opposition | |
| wahnsinnig fragmentiert und zum Teil auch polarisiert ist. Da hat bisher | |
| immer eine Persönlichkeit gefehlt, hinter der sich alle versammeln können. | |
| Darin lag İmamoğlus großes Potenzial. Im Hinblick auf die Kurden ist dieser | |
| Schritt zur Aussöhnung, zum Friedensschluss mit Öcalan, den die | |
| AKP-Regierung jetzt vollzieht, eben vermutlich auch sehr taktisch | |
| motiviert. Man versucht, die kurdische Bewegung, die kurdischen Communitys | |
| an sich zu binden. | |
| taz: Warum spielt der Oberbürgermeister von Istanbul so eine zentrale | |
| Rolle? | |
| Onay: Das hat eine lange Tradition, auf der selbst Erdoğan seine Karriere | |
| gegründet hat. Der vertrat lange die Auffassung: Wer Istanbul regiert, | |
| regiert irgendwann das ganze Land. Das ist hier nicht irgendeine Stadt und | |
| irgendein Oberbürgermeisteramt, das hier ist die türkische Stadt, das | |
| Macht-, Wirtschafts- und Kulturzentrum. | |
| taz: Ist das nicht eine irre Ironie der Geschichte, dass Erdoğ an eine ganz | |
| ähnliche Geschichte hat? | |
| Onay: Ja, er ist damals genauso verhaftet worden und unter anderem dank der | |
| CHP freigekommen. Die hat damals gesagt: Es geht nicht, dass demokratisch | |
| gewählte Oberhäupter inhaftiert werden, egal, welcher Partei sie angehören. | |
| Damals war der politische Druck so hoch, dass er freikam und antreten | |
| konnte – und letztlich dort landete, wo er jetzt ist. Diesen „Fehler“ | |
| möchte er bei seinem Konkurrenten vermutlich nicht wiederholen. | |
| taz: Was von hier immer noch schwer abzuschätzen ist: Wie breit ist dieser | |
| Protest denn nun? Sind das vor allem junge Menschen in den Städten oder | |
| täuscht das Bild? | |
| Onay: Der Protest auf den Straßen ist das eine, der hat schon einen | |
| bemerkenswert langen Atem und erinnert viele an die Gezi-Proteste von 2013. | |
| Das andere ist aber eben der Unmut in der Bevölkerung, der sich in den | |
| Umfragen zeigt. Die wirtschaftliche Lage, der innenpolitische Kurs, die | |
| gesellschaftliche Polarisierung – all das wird von sehr viel breiteren | |
| Bevölkerungsschichten kritisch gesehen als früher und erreicht auch frühere | |
| AKP-Anhänger. | |
| taz: Was kann oder sollte Deutschland tun? Wie sehen Sie Ihre Rolle dort | |
| jetzt? | |
| Onay: Es gibt bei vielen hier die Sorge, dass die Türkei aufgrund ihrer | |
| starken geopolitischen Position machen kann, was sie will. Wohin man auch | |
| guckt: Russland, Syrien, Nato, die Migrationsfrage – nirgendwo führt gerade | |
| ein Weg an der Türkei vorbei. Deshalb ist Europa so leise, [3][deshalb ist | |
| Deutschland so leise, lautet der Vorwurf]. Und deshalb wird eine solche | |
| Geste der Solidarität sehr genau wahrgenommen und auch wertgeschätzt. „Gut, | |
| dass ihr da seid“, haben wir heute oft gehört. Gleichzeitig gibt es | |
| natürlich den Wunsch, dass Europa und Deutschland deutlicher Position | |
| beziehen und zumindest einmal die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards | |
| einfordern. | |
| taz: Und auf kommunaler Ebene? | |
| Onay: Auf kommunaler Ebene diskutieren wir jetzt noch weiter, wie wir das | |
| operationalisieren können. Da geht es um Austauschprogramme für | |
| Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, junge Menschen – auch um die | |
| Zivilgesellschaft zu stärken und demokratische Strukturen nicht einfach | |
| kaputtgehen zu lassen. In Hannover haben wir ja schon einige Kulturprojekte | |
| im Rahmen der Unesco City of Music gemacht, auch über die Messe sind wir | |
| eng verbunden mit Unternehmen aus der Türkei. Das gibt es in anderen | |
| Städten auch und viele sind gewillt, diese Zusammenarbeit jetzt zu | |
| intensivieren. | |
| taz: Werden Sie İmamoğlus Frau noch treffen? | |
| Onay: Das war geplant. Sie wollte sich gern noch einmal mit mir | |
| austauschen, dadurch dass ich Türkisch spreche, ist das natürlich auch | |
| einfacher. Jetzt besucht sie aber erst einmal ihren Mann in der Haftanstalt | |
| und es ist unklar, ob das zeitlich dann noch klappt. Ich hatte ursprünglich | |
| ja auch İmamoğlu zur Hauptversammlung des Deutschen Städtetages nach | |
| Hannover eingeladen – da waren wir schon in engem Austausch, bis wenige | |
| Tage vor seiner Verhaftung, die dann sehr überraschend kam und mich | |
| persönlich auch geschockt hat. Ich habe den größten Respekt vor seiner | |
| Frau, die sich da sehr klar positioniert und sehr kämpferisch ist, in einer | |
| Situation, die alles andere als leicht ist. | |
| 9 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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