| # taz.de -- Gaza-Tagebuch: Mit bloßen Händen nach dem Freund graben | |
| > Bei einem der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen wurde das | |
| > Nachbarhaus unseres Autors getroffen. Unter den Trümmern lag sein Freund. | |
| Bild: Kein Ende der tödlichen Gewalt: Ein am 4. April von Israel zerstörtes S… | |
| Gaza taz | Es war vier Uhr morgens. Alle hatten gerade ihr Frühstück | |
| beendet und bereiteten sich auf das Fajr-Gebet vor. Wenige Augenblicke | |
| später hörten wir eine laute Explosion in der Nähe. Die Türen [1][unseres | |
| Hauses] gingen zu Bruch, sowie das, was von den bereits zerstörten Fenstern | |
| noch übrig war. Ich ging zum Fenster, um die Explosion zu sehen. Zuerst | |
| dachte ich, es sei das Haus unseres Nachbarn Abu Hossam. Dann gab es eine | |
| zweite Explosion, und unser Haus füllte sich mit Staub. | |
| Mein Bruder fing an zu schreien. „Sie sind unter den Trümmern gefangen. Wir | |
| müssen ihnen helfen!“ Auch wir waren einmal unter Trümmern gefangen | |
| gewesen, damals hatten wir das Gefühl, dass niemand da war, um uns zu | |
| helfen. | |
| Wir verließen unser Haus, aber das zerbombte Haus war nicht das von Abu | |
| Hossam, sondern das Haus unseres Freundes Hussein und seiner Familie. Die | |
| Straße war dunkel, das Haus brannte noch. Es war die gleiche Szene, die ich | |
| mit meiner eigenen Familie erlebt hatte. | |
| Wir näherten uns dem Haus, und mein Bruder begann, Husseins Familie aus den | |
| Trümmern zu ziehen, während ich auf der Straße stand und denjenigen half, | |
| die herausgezogen wurden. Ich legte sie auf den Boden, entfernte alles, was | |
| ihnen das Atmen erschweren könnte, legte etwas unter ihren Kopf und wartete | |
| auf den Krankenwagen. | |
| ## Zwischen Treppe und Decke des Hauses eingeklemmt | |
| Nach einer halben Stunde war immer noch kein Krankenwagen da, obwohl das | |
| Baptist Hospital nur zehn Minuten mit dem Krankenwagen entfernt ist, und | |
| die Straßen waren leer. Ich erinnerte ich mich an einen Freund von mir | |
| namens Osama, der für den Roten Halbmond arbeitet. Ich rief ihn an und | |
| erzählte ihm, dass das Haus unseres Nachbarn bombardiert worden war. Ich | |
| flehte ihn an, uns einen Krankenwagen zu schicken, und begann zu weinen. | |
| Während ich mit ihm sprach, traf endlich der von den Nachbarn | |
| herbeigerufene Krankenwagen ein. Die Sanitäter begannen, die Verletzten und | |
| Getöteten aus dem Haus zu holen. Das Haus bestand aus sechs Stockwerken, | |
| und Husseins Familie war gerade im Keller, als alle Stockwerke über ihnen | |
| zusammenbrachen. Zivilschutzteams trafen ebenfalls ein, aber sie hatten | |
| kein schweres Gerät, um die Verletzten unter den Trümmern hervor zu holen. | |
| Sie und wir, genauso wie die anderen Menschen aus der Nachbarschaft, gruben | |
| mit einfachen Werkzeugen, teils mit bloßen Händen, 12 Stunden lang, von | |
| vier Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags hatten wir schon gegraben und es | |
| noch immer nicht geschafft, die gesamte Familie aus den Trümmern zu | |
| befreien. Auch nicht meinen Freund Hussein, 25 Jahre alt. Er trug den | |
| Spitznamen „der brasilianische Ronaldo“, er war ein außergewöhnlich guter | |
| Fußballspieler. Während unserer Studienzeit habe ich viel mit ihm auf einem | |
| Platz in der Nähe meines Hauses gespielt. Aber das Glück war in Gaza nicht | |
| auf seiner Seite. | |
| Als wir begannen, Husseins Familie aus dem Haus zu holen, konnten wir ihn | |
| zunächst nicht finden. Nach einiger Suche fanden wir ihn zwischen der | |
| Treppe und der Decke des Hauses eingeklemmt. Eine der Decken war auf seinen | |
| Hals gefallen und hatte ihn von seinem Körper getrennt, ein Betonpfeiler | |
| hatte seine Beine zerquetscht und sie von seinem Rumpf getrennt. | |
| ## Wird das Sterben jemals aufhören? | |
| Neben ihm wurden viele seiner Brüder und Schwestern von der Besatzung | |
| getötet. Diejenigen, die überlebt haben, haben sich alle das Becken | |
| gebrochen und befinden sich in einem kritischen Zustand. | |
| [2][Ich habe das Gefühl, mich selbst verloren zu haben]. Ich kann nicht | |
| verstehen, was geschieht. [3][Wann wird es aufhören, das Sterben?] Wann | |
| wird es jemals aufhören? | |
| Esam Hani Hajjaj (27) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und | |
| Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er | |
| innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen. | |
| Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in | |
| den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen | |
| wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der | |
| taz. | |
| 4 Apr 2025 | |
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| Esam Hajjaj | |
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