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# taz.de -- Neuer Film von Paolo Sorrentino: Die Blicke der anderen
> Paolo Sorrentino erzählt in seinem neuem Film „Parthenope“ von den
> Wirkungen der Schönheit seiner Protagonistin. Schauplatz ist wieder
> einmal Neapel.
Bild: Alles easy mit Parthenope (Celeste Dalla Porta), ihrem Bruder Raimondo (D…
Auf den ersten Blick stellt man sich Schönheit als etwas vor, das das Leben
bereichert. Aber man erfasst auch schnell, dass diese Bereicherung einen
Preis hat. Die Besessenheit von Schönheit kann ablenken, irritieren, in die
Irre führen. Macht die Schönheit einer Stadt ihre Bewohner glücklich? Macht
die Schönheit einer Frau ihre Verehrer glücklich? Und was macht sie selbst,
die Schönheit, glücklich?
„Parthenope“ ist ein eigenartiges Biest von einem Film. Wie man es vom
Regisseur von „La grande bellezza“, [1][„The Young Pope“] und [2][„Di…
Gottes“] schon kennt, gleicht er visuell einem Festmahl: Fast jede einzelne
der Aufnahmen ist von ausgesuchter Raffinesse. Der Blick der Kamera, egal
ob er sich den luftigen Interieurs einer neapolitanischen Villa, dem
düsteren Gepränge einer Kirche oder der transparenten Weite eines
Meerblicks zuwendet, kommt stets mit dem Gestus daher, dem Publikum einen
Schatz zu präsentieren.
Aber bei all dem Hang zur Ästhetik eignet dem Film auch etwas Vorläufiges
und Collagenhaftes: Die einzelnen Episoden, die er erzählt, wirken
zerrissen, wenn nicht gar unzusammenhängend. Sein laszives Tempo schlägt
manchmal in Trägheit um, anderes wirkt übereilt. Alles ist immer ein
bisschen zu üppig.
Wie bei Fellini
Es beginnt mit Szenen wie aus dem Fellini-Methoden-Buch. Man schreibt das
Jahr 1950. Ein alter dicker Mann mit schwarzer Sonnenbrille und weißem
Leinenanzug steht neben einer Goldkutsche auf einer Art Floß vor seiner
Villa am Golf von Neapel. Er habe die Kutsche aus Versailles überführt,
erklärt er einem staunenden kleinen Jungen.
Dessen Mutter ist hochschwanger und bringt bald in den flachen Wellen der
kleinen, privaten Bucht am Fuße dieser Villa eine Tochter zur Welt. Aus den
Fenstern und Balkonen klatschen Menschen in altertümlicher Kostümierung
dazu Beifall.
Der schmächtige Vater, der abseits der Geburtshelfer ebenfalls im Wasser
steht, fragt den dicken Mann im weißen Anzug nach dem richtigen Namen für
das Mädchen. Und der weist mit dem Arm zur Stadt Neapel hin und ruft:
„Parthenope! Wir nennen sie Parthenope!“
[3][Die Stadt Neapel] und die Sirene Parthenope sind mythologisch
miteinander verbunden: Als letztere sich aus Verzweiflung darüber, Odysseus
nicht betören zu können mit ihrem Gesang – er hat sich bekanntlich an den
Schiffsmast binden lassen –, ins Meer stürzte, sei ihr Körper da
aufgetaucht, wo heute Neapel liegt.
Überall Verehrer
Weiter geht es ins Jahr 1968 und Sorrentino präsentiert seine Parthenope
(Celeste Dalla Porta in ihrer ersten großen Kinorolle) als junge Frau, die
mit ihrer Schönheit alle Blicke gleichsam magnetisch auf sich zieht. Fast
komödiantisch setzt er das in Szene: Da ist das Straßencafé, in dem sich
ihr ein Ballett aus Köpfen zuwendet.
Da ist das Ruderboot, in dem die ganze Besatzung aus Männern in
Sportkleidern wie in Ehrfurcht erstarrt, als sie die schöne Frau auf ihrem
Balkon erblickt. Sogar aus der Luft lässt man sie nicht in Ruhe: Dort
kreist ein besonders obsessiver Verehrer im Hubschrauber, der wieder und
wieder einen Emissär schickt, der Parthenope um eine Rendezvous bittet.
Eigentlich würde man angesichts dieser Hauptfigur einen Film über Liebe und
Leidenschaft erwarten. Aber Sorrentino geht es erstaunlich wenig um
Gefühlsgeschichte. Er interessiert sich weniger für das Innenleben seiner
Hauptfigur als für Wechselwirkung, die ihre Schönheit auf ihre Umgebung
hat.
Moderne Freizügigkeit
Dabei gesteht er ihr durchaus Charakter zu. Er zeigt sich nicht nur in
einem selbstbestimmten Umgang mit ihren Verehrern, von denen sie die einen
ohne viel Umschweife ablehnt, andere aber mit sehr moderner Freizügigkeit
annimmt. Sie nutze ihre Schönheit gar nicht richtig aus, wirft ihr im Lauf
des Films mal jemand vor.
Und in der Tat, als sie nach einem Unglücksfall in der Familie ihr Studium
abbricht und sich bei einer alten Diva (Isabella Ferrari) für eine
Schauspielerinnen-Karriere unterweisen lässt, entdeckt sie die engen
Grenzen, die diesem „Ausnutzen von Schönheit“ gesteckt sind. Die Diva
selbst verhüllt ihr Gesicht Tag und Nacht – sie will es niemandem mehr
zeigen, aus Angst, man halte sie dann nicht mehr für begehrenswert.
Begegnungen wie diese verleihen dem Film die Anmutung einer Pikareske,
eines „Schelmenromans“, mit Parthenope als erfahrungshungriger, naiver
Protagonistin, die die Widersprüchlichkeiten des Lebens in verschiedensten
kulturellen und sozialen Schichten kennenlernt.
An der Seite eines Mafioso-Liebhabers wohnt sie dem öffentlichen Vollzug
einer Hochzeitsnacht bei, mit dem zwei verfeindete Clans ihre Aussöhnung
besiegeln wollen. Später recherchiert sie für ihre Doktorarbeit zum
Blutwunder von Neapel, lässt sich auf die Verführungskünste des eitlen
Kathedralen-Priesters ein und weckt durch ihren eigenen Organismus das Blut
aus der Erstarrung.
Studium der Anthropologie
Denn was Sorrentinos Film außerdem noch von anderen Filmen über schöne
Frauen unterscheidet, ist die Tatsache, dass Parthenope ihr Studium an der
Universität durchaus ernst nimmt. Ihr Fach ist die Anthropologie. Die
schöne junge Frau wird die Musterstudentin eines kauzigen Professors
(Silvio Orlando), der seinen Studenten den Toilettengang mit den Worten
untersagt, sie sollten an der Universität stets „gepinkelt und geschissen“
erscheinen.
Aber nie kommt es zu einer erotischen Annäherung zwischen ihnen: „Sie sind
mir ähnlich“, sagt der hässliche kleine Mann zu seiner modellhaft schönen
Studentin schließlich. Was er damit meint, gehört zu den Mysterien dieses
Films. Die Lust dazu, darüber nachzudenken, dürfte entscheidend dafür sein,
ob einem der Film gefällt.
Sorrentino präsentiert seine Passion für neapolitanische Stadtgeschichte
und die Erfahrungen von Jugend und Vergänglichkeit hier etwas weniger
stringent als noch in seinem stark autobiografisch geprägten „Die Hand
Gottes“ (2021). Fast scheint es so, als würde sich sein eigener Blick
angesichts der Schönheit seiner Hauptdarstellerin verkrümmen und verzerren.
Aber letztlich bezwingt er den Fluch, indem er die Blicke der anderen auf
Parthenope bloßstellt. Dabei entstehen Vignetten, die manchmal wie
Werbefotografie daherkommen, aber dank ihrer sorgfältigen Ausstattung mit
Epochen-Details in Kleidern, Frisuren und Körperhaltungen eine große
atmosphärische Dichte annehmen. Sie sind gesättigt von Melancholie –
Melancholie nicht als gefällige, bittersüße Geschmackszutat, sondern als
Ausdruck einer tiefsitzenden, existenziellen Verzweiflung.
Spezieller Sog des Films
Wer sich auf den Strom der Bilder Sorrentinos einlassen kann, wird dennoch
den speziellen Sog erleben, den seine wilde Mischung aus Anekdote, Mythos
und Biografie erzeugt. Den historischen Cholera-Ausbruch, den Neapel 1973
noch erlebte, bebildert er durch einen Straßenreinigungswagen, der mit
seinen beweglichen Spritzen einem antiken Fabelwesen gleicht und sich dem
Trauerzug entgegenstellt, in dem Parthenopes Bruder nach seinem Selbstmord
zu Grabe getragen wird. Später sieht man in Zeitlupe protestierende
Studierende, die mit Molotowcocktails eine Polizisten-Schranke angreifen,
ohne weitere historische Einordnung.
Parthenope selbst verlässt schließlich ihr geliebtes Neapel für eine
akademische Karriere in Norditalien. Im Epilog wird sie von der
großartigen, 78-jährigen [4][Stefania Sandrelli] verkörpert, die nach ihrer
Emeritierung als Besucherin zurückkehrt. Vor ihrem wehmütigen Auge
entfaltet sich das neapolitanische Stadtspektakel mit johlenden Fußballfans
und flanierenden Passanten wie eh und je. Und tatsächlich ist es schade,
dass der Film dann vorbei ist.
8 Apr 2025
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## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
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