# taz.de -- Nach dem Erdbeben: „Ihr nennt es Myanmar, wir nennen es Hölle“ | |
> In Mandalay vergrößert Regen das Leid der Erdbebenopfer. In Trümmern | |
> Verschüttete haben keine Überlebenschance mehr. Leichengeruch breitet | |
> sich aus. | |
Bild: Überlebende des Erdbebens kampieren an einer Eisenbahnstrecke in Amarapu… | |
BERLIN taz | „Normalerweise sind die Menschen glücklich, wenn es zu dieser | |
Zeit schon regnet“, sagt Jessi in einem Videocall. „Doch dieses Jahr lässt | |
sie der Regen mehr Blut, Schweiß und Tränen vergießen.“ Die junge Frau, die | |
wie alle in diesem Text genannten Personen aus Angst vor Repressionen nur | |
mit ihrem Vornamen genannt werden will, schickt Fotos aus Mandalay. | |
Myanmars zweitgrößte Stadt mit gut 1,5 Millionen Einwohnern liegt in | |
unmittelbarer Nähe des Epizentrums des schweren Erdbebens vom 28. März. Zu | |
sehen sind umgekippte Zelte. Bis zu den schweren Regenfällen am Wochenende | |
waren das Notunterkünfte für Überlebende des Bebens, die nicht in ihre | |
zerstörten oder beschädigten Häuser zurückkehren konnten. Auf einem Foto | |
hängen Zeltstangen und grauer Zeltstoff in einem Baum. | |
Jessi studiert in der Hafenmetropole Yangon Sozialwissenschaft und | |
beteiligt sich an humanitären Einsätzen einer Jugendgruppe. In den letzten | |
Tagen brachte sie Essen und Wasser in besonders stark betroffene Gebiete im | |
Zentrum des Landes. „Das Militär behindert die Hilfslieferungen, wodurch | |
viele Menschen sterben mussten“, kritisiert die junge Frau. Ein | |
chinesischer Hilfskonvoi sei sogar vom Militär beschossen worden. | |
Das Beben der Stärke 7,7 hat in dem Bürgerkriegsland schwere Verwüstungen | |
angerichtet. Zuletzt wurden 3.514 Tote gezählt, davon allein 2.100 in | |
Mandalay. 210 Personen werden noch vermisst. Überlebenschancen haben sie | |
nicht mehr. | |
## Militär kontrolliert die Hilfen | |
Das herrschende Militär achtet darauf, die Kontrolle über die Nothilfe zu | |
behalten und keine Hilfe in Rebellengebiete zu lassen. Am 1. Februar 2021 | |
hatten sich die Generäle in dem südostasiatischen Land an die Macht | |
geputscht. Seitdem herrschen sie mit Gewalt, was eine breite | |
Widerstandsbewegung bewaffneter wie ziviler Gruppen befeuert hat. | |
Seit dem Putsch ist es für westliche Journalisten so gut wie unmöglich, | |
sich vor Ort ein Bild zu machen. Laut UN waren schon vor dem Beben 3,5 | |
Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht und viele auf | |
Hilfslieferungen angewiesen. | |
„Es kommt landesweit regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen und gewalttätigen | |
Auseinandersetzungen, auch mit Schusswaffengebrauch“, [1][schreibt das | |
Auswärtige Amt auf seiner Webseite]. Wer berufsbedingt nach Myanmar reisen | |
muss, sollte sich vorher um sein Testament kümmern, heißt es dort weiter. | |
„Viele junge Menschen aus Myanmar, die derzeit im Ausland sind, wollen | |
helfen, aber es wäre zu gefährlich für sie, zurückzukehren. Sie könnten zum | |
Militärdienst verpflichtet werden. Deshalb organisieren sie Unterstützung | |
aus dem Ausland“, sagt Jessi. | |
„Bisher fließen Hilfslieferungen ausländischer Regierungen aber oft direkt | |
an die Militärregierung – und nicht dorthin, wo sie gebraucht werden. Wer | |
wirklich wirksam helfen will, sollte direkt an Organisationen spenden, die | |
vor Ort arbeiten“, betont sie. | |
## „Das Erdbeben vergrößert das Leid des Putsches“ | |
„Der größte Bedarf besteht im Moment an Wasser, Unterkünften und der | |
Bewältigung von Erdrutschen und eingestürzten Gebäuden“, berichtet die | |
junge Frau. „Ihr nennt es Myanmar, wir nennen es die Hölle.“ Angesichts des | |
starken Regens der letzten Tage befürchtet sie, dass das Leid nur noch | |
größer wird. | |
Eine Person, die nicht nach Myanmar zurückkehrt, ist Ye. Er ist Ende 20 und | |
arbeitet von Thailand aus für eine Hilfsorganisation in Myanmar. Seine NGO | |
hilft jetzt bei der Bergung von Verschütteten. Ein großes Problem sei laut | |
ihm der Mangel an Ausrüstung, um mit den eingestürzten Gebäuden umzugehen. | |
„Wir brauchen Lebensdetektoren und andere teure Geräte. Kurz nach dem Beben | |
hatten wir keine und auch jetzt sind vor Ort nicht genug vorhanden“, sagt | |
er. | |
Ye vergleicht die Lage mit der in Thailand, wo mehr Geld, Koordination und | |
technisches Equipment zur Verfügung stehen, um die Folgen eines solchen | |
Bebens zu meistern. Seiner Meinung nach ist auch mehr internationale Hilfe | |
nötig – eben Menschen und Equipment von außerhalb. „Nicht nur das Erdbebe… | |
sondern auch der Militärputsch ist schuld an dieser Lage“, sagt er. „Durch | |
den Putsch leidet Myanmar bereits seit Längerem unter einem Mangel an | |
medizinischer Versorgung und staatlichen Hilfen für Bedürftige. Das | |
Erdbeben verschärft die Situation enorm.“ | |
## Der Mangel an Trinkwasser könnte zu Krankheiten führen | |
Als die Erde bebte, war der 22-jährige Win gerade in Mandalay an der Uni. | |
Er rannte mit Mitstudierenden und Lehrkräften panisch aus den Gebäuden ins | |
Freie. Sein erster Gedanke galt seiner Familie. Er erreichte seine | |
Verwandten und Freunde – sie waren unversehrt. Doch das Elternhaus seiner | |
Freundin lag in Trümmern. | |
Win sammelt jetzt von Mandalay aus Spenden über das Internet, um | |
Wasserfilter für diejenigen zu bauen, die keinen Zugang mehr zu sauberem | |
Wasser haben. Viele im Land sorgen sich, dass der Mangel an Trinkwasser zu | |
einer Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen führen könnte. In den letzten | |
Tagen half Win auch bei der Bergung von Verschütteten sowie bei | |
Aufräumarbeiten. | |
Die Lage in Mandalay beschreibt er mit einem einzigen Wort: „erschreckend“. | |
Die Kommunikation gestalte sich schwierig, da Telefonleitungen kaum | |
funktionierten. Strom sei nur zwei, drei Stunden am Tag verfügbar. „Wer ins | |
Krankenhaus muss, muss sich selbst dorthin begeben“, sagt er. | |
## Große Kommunikationsprobleme | |
Ohne Strom sei auch das Telefonieren oder Absetzen eines Notrufs nicht | |
möglich. Das Militär beschränkt zudem den Zugang zum Internet, das die | |
Bevölkerung nur mit Verschlüsselung sicher nutzen kann. Wegen beschädigter | |
Straßen und Kommunikationsproblemen erreichen Rettungsdienste oft nicht | |
rechtzeitig die Bedürftigen. Vieles läuft bisher über Messenger-Dienste und | |
per Facebook – die Menschen helfen sich selbst, weil ihnen kaum jemand | |
hilft, zumindest nicht das Militär. | |
Eine große Herausforderung, sagt Win, seien die verschütteten Leichen, die | |
bisher noch nicht geborgen werden konnten. Durch Mandalay ziehe ein | |
unerträglicher Gestank, berichtet er. Außerdem fürchten sich viele Menschen | |
vor Nachbeben. „Deshalb schlafen sie auf der Straße und an offenen Plätzen, | |
um nicht von einstürzenden Gebäuden erfasst zu werden“, sagt er. Doch jetzt | |
ist der Regen das große Problem. | |
Letzte Woche erklärte das Militär direkt vor einer Auslandsreise des | |
Juntachefs Min Aung Hlaing [2][eine Feuerpause und erwiderte damit eine | |
Initiative des bewaffneten Widerstands]. Damit wollte der vom | |
Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesuchte General wohl für | |
positive Stimmung bei seinen Gesprächspartnern in Bangkok sorgen. Doch gab | |
es seitdem zahlreiche Berichte, dass das Militär weiterhin Orte unter | |
Kontrolle der Rebellen beschossen hat. | |
„Es wird voraussichtlich fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir uns von den | |
Schäden erholen. Myanmar ist ein armes Land, finanzielle Mittel fehlen“, | |
sagt Wind. | |
7 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/myanmar-node/myanmarsich… | |
[2] /Erdbebenfolgen-im-Buergerkriegsland/!6080279 | |
## AUTOREN | |
Klaudia Lagozinski | |
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