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# taz.de -- Klimaklage gegen RWE: Prozess in der Schwebe
> Zwei Prozesstage gingen am Montag und Mittwoch ohne Urteil zu Ende. Denn
> der Fall zeigt, wie schwierig es ist, Wissenschaft und Recht
> zusammenzubringen.
Bild: Der peruanische Bergbauer Saul Luciano Lliuya vor dem Gerichtsgebäude in…
Hamm taz | Der Prozess des peruanischen Bergführers Saúl Luciano Lliuya
gegen RWE hängt in der Schwebe. [1][Zwei Prozesstage gingen am Montag und
Mittwoch zu Ende] – ohne ein Urteil. Das hatte im Vorhinein allerdings
niemand erwartet: Die Prozesstage machten die Komplexität des Falls
deutlich.
Über Huaraz, wo Lliuya lebt, schmilzt ein Gletscher aufgrund der
Erderhitzung in einen See. Schon 1941 ist dieser See übergelaufen, hat eine
Schlammwelle ausgelöst und Huaraz zerstört. Tausende starben damals. Heute
sind die Schutzwälle weit besser, aber [2][der Klimawandel verändert die
Region] und lässt den Wasserstand des Sees steigen.
Lliuya will, [3][dass RWE für Schutzmaßnahmen in Huaraz bezahlt]. Damit ist
die Klage die erste ihrer Art, weil es nicht um die Einhaltung von
Klimazielen geht, sondern um konkreten Schadensersatz. Sollte Lliuya
gewinnen, könnten auch andere Leute fossile Konzerne auf Schadensersatz
verklagen. CO2 auszustoßen würde plötzlich sehr, sehr teurer.
RWE argumentiert, dass das Oberlandesgericht seine Verantwortung
überschreitet, weil für Kompensationen wegen CO₂-Ausstoßes der Bundestag
zuständig wäre. Außerdem könne jede*r Autofahrer*in mit einem
Verbrenner vor Gericht gestellt werden, wenn das Gericht dabei bleibt, dass
die Klage zulässig ist.
## RWE schüre Angst, so der vorsitzende Richter
Dem widersprach der vorsitzende Richter Rolf Meyer aber gleich zu Anfang
der Verhandlungen am Montag. Der CO₂-Ausstoß von Einzelnen sei ungleich
niedriger als der von RWE und nicht annähernd groß genug, um zu einer
Verurteilung zu führen. RWE schüre Angst, sagte Meyer, und das führe nie zu
etwas Gutem.
Dass das Gericht die Klage überhaupt angenommen hat, wertet Roda Verheyen
als Erfolg. Sie ist Klimaanwältin, war unter anderem am Klimabeschluss des
Bundesverfassungsgerichts 2021 beteiligt, und vertritt Lliuya. Richter
Meyer hat auch noch einmal bestätigt, dass die Kette von RWEs
CO₂-Emissionen zum wachsenden Gletschersee nicht zur Debatte steht. „Im
Prinzip haben wir schon gewonnen“, sagte Verheyen. „In jedem Fall wird das
Urteil beinhalten, dass große Emittenten für ihre Verantwortung am
Klimawandel vor Gericht gezogen werden können.“
Während der zwei Verhandlungstage ging es darum, ob das Risiko für Lliuyas
Haus groß genug ist, um RWE zu verurteilen. Der Fall sei auch deswegen so
interessant, sagte Meyer in seinen Anfangsbemerkungen, weil der Schaden an
Lliuyas Haus nur droht und noch nicht eingetreten ist.
## Fokus des Gutachtens lag auf Eislawinen vom Gletscher
Die Richter*innen befragten deshalb über die zwei Verhandlungstage den
von ihnen bestellten Sachverständigen Rolf Katzenbach, Professor für
Geotechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Sein Gutachten kam zu
dem Schluss, dass das Flutrisiko für Lliuyas Haus in den nächsten 30 Jahren
bei einem Prozent liege, einmal in 3000 Jahren eintrete. Selbst in diesem
„praktisch unmöglichen“ Fall komme es nur zu einer Überflutung von 20
Zentimetern Höhe in Schrittgeschwindigkeit.
Das Felsmaterial um den See, Batholith, sei außerordentlich stabil und
werde deswegen nicht abbrechen, sagte Katzenbach. Die Felsnase an einem
Ende des Sees habe zum Beispiel schon viel durchgemacht: Zuerst sei sie von
Gletschereis bedeckt gewesen, das sich dann zurückgezogen habe, danach habe
sie jahrelang an der freien Luft gelegen, „und sie steht wie eine Eins“.
Der Fokus des Gutachtens lag deswegen auf Eislawinen vom Gletscher.
Das Gutachten der Klägerseite, verfasst von der renommierten kanadischen
Bauberatung BGC, sieht dagegen ein Risiko von 30 Prozent über die nächsten
30 Jahre. Es bezieht Felsstürze mit ein, weil BGC davon ausgeht, dass der
schmelzende Permafrost in den Anden das Batholith erheblich instabiler
macht. Das sei übertrieben, glaubt Katzenbach, weil kein Auftauen des
Permafrosts zu erkennen sei und der Einfluss des Permafrosts vom
BGC-Gutachten überschätzt werde.
„Fassungslos“ mache sie das, sagte Roda Verheyen. Katzenbach sei offenbar
kein Experte fürs Hochgebirge, es sei „absolut unfachmännisch“, Felsstür…
und den Permafrost nicht zu beachten. Sie vermisst den Einfluss der
fortschreitenden Erderhitzung auf das Risiko in Katzenbachs Berechnungen.
Lukas Arenson, einer der Autoren des BGC-Berichts, sagte, dass die bloße
Existenz des Sees einen möglichen Felssturz belegen könnte, weil der See
sich ja erst an Felsen aufstauen musste, ansonsten wäre er nicht
entstanden.
## Vergleich von Äpfeln mit Birnen?
Arenson sagte außerdem, dass Lliuyas Haus selbst den Berechnungen
Katzenbachs zufolge gefährdeter sei, als Katzenbach es darstellt. Denn er
modelliere nicht die Straßenzüge und Häuser in der Stadt, sodass das Wasser
am Grundstück auch schneller und höher sein könnte.
Katzenbach kritisierte im Gericht wiederum, das BGC-Gutachten vergleiche
Äpfel mit Birnen, weil es die Wahrscheinlichkeit für Felsstürze unter
anderem aus Ereignissen in den Alpen ableitet. Jede Berechnung müsse
„ortskonkret“ sein, „ich käme gar nicht auf die Idee, das zu übertragen…
Die Expert*innen der Klägerseite bestehen darauf, dass das BGC-Gutachten
dem neuesten Stand der Technik und Forschung entspreche, unter anderem weil
sie Satellitenbilder ausgewertet haben, um die Möglichkeit eines
Felssturzes zu beweisen.
Katzenbach wiederum behauptete für sein Gutachten den neuesten Stand der
Technik. Außerdem berechne BGC nur die Wahrscheinlichkeit eines großen
Felssturzes, nicht aber einer daraus folgenden Flutwelle. Das sei aber
entscheidend, weil nicht jeder große Felssturz eine Flutwelle auslöse, die
Lliuyas Haus erreicht.
## Der Fall ist sehr kompliziert
Katzenbach kritisierte außerdem, dass BGC für die Berechnung
„ungerechtfertigte“ Zahlen verwende: „Sie wussten offensichtlich nicht
weiter und haben das getan, um ein passenderes Ergebnis zu erhalten.“ Die
Berechnungen der Wahrscheinlichkeit würden so ad absurdum geführt.
Das sei falsch, widersprach Arenson. Katzenbach habe falsch nachgerechnet.
Die Wahrscheinlichkeit von Naturgefahren berechne man so wie im
BGC-Gutachten geschehen, weil die Zerstörungskraft von Überflutungen und
anderen Gefahren derart groß ist.
Der Fall ist, da sind sich die Klägerseite, RWE und Katzenbach einig, sehr
kompliziert. Richter Rolf Meyer runzelte mit fortschreitender Dauer des
Prozesses immer verzweifelter die Stirn, beide Prozesstage wurden mehrmals
verlängert. Er und seine zwei Kolleg*innen müssen entscheiden, welchem
Gutachten sie glauben.
„Wir müssen überzeugt sein, dass es eine konkret drohende Gefahr gibt“,
sagte Meyer. Dabei müssten sie sich innerhalb der Grenzen üblicher
Rechtsprechung bewegen, „ansonsten kriegen wir den Fall vom
Bundesgerichtshof zurück. Das wäre Unsinn, und dieses Gericht macht keinen
Unsinn.“
Die Klägerseite müsse Meyer überzeugen, dass in den nächsten 30 Jahren eine
Gefahr für Lliuyas Haus besteht, sagte er. „Das sehe ich aktuell noch
nicht.“ Die Herangehensweise von BGC sei möglicherweise nicht anwendbar,
weil sie nicht lokal genug ist, sondern aus der umgebenden Region
abgeleitet wird.
„Dieser Fall zeigt, wie schwierig es ist, Wissenschaft und Recht
zusammenzubringen“, sagte Francesca Mascha Klein, Rechtsreferentin bei
Germanwatch. Die NGO unterstützt Lliuya.
Lliuya sagte nach dem Prozess am Mittwochabend, er sehe die Möglichkeit,
mit dem Prozess Klimagerechtigkeit zu erzielen: „Und ich hoffe wirklich,
dass weitere Klagen auch an anderen Orten die Möglichkeit haben,
Gerechtigkeit zu erfahren.“
19 Mar 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Jonas Waack
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