# taz.de -- Schutzgelderpressungen in Peru: Brutale Erpresser, korrupte Polizei | |
> Nach dem Mord an einem Musiker hat die Präsidentin in Lima den | |
> Ausnahmezustand verhängt. Das hilft nur nicht gegen allgegenwärtige | |
> Schutzgeldforderungen. | |
Bild: Nach Ausrufung des Ausnahmezustands patrouilliert Militär in den Straße… | |
Lima taz | „Leg nicht auf“. Als Francisco Huaman (Name geändert), 24, den | |
Anruf auf seinem Handy entgegennahm, wollte er gerade auf den Markt gehen, | |
um für die Küche seiner Diskothek einzukaufen. Ein neuer Lieferant, dachte | |
er angesichts der unbekannten Nummer. Gleich darauf erhielt er ein Foto per | |
Whatsapp. Es war das Foto seines Familienstammbaums, ein Dokument, das nur | |
die staatliche Einwohnerbehörde besitzt. | |
Danach wieder ein Anruf. „Wenn Du nicht 1.000 Euro bezahlst, tun wir Deiner | |
Familie etwas an“. Francisco erschrak, zahlte umgerechnet 120 Euro auf das | |
angegebene Konto ein. Doch die Anrufe wiederholten sich, er erhielt Fotos | |
von verstümmelten Menschen. Er zahlte weitere 120 Euro, bis er schließlich | |
zur Polizei ging. | |
In den letzten fünf Jahren haben sich die Anzeigen wegen | |
Schutzgelderpressungen in [1][Peru] mindestens verdreifacht. Die | |
Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher, weil die meisten Opfer es aus | |
Angst vor Repressalien nicht wagen, Anzeige zu erstatten. | |
## Brutalität und Schusswaffen | |
Schutzgelderpressungen sind in Peru nicht neu. Neu ist die Brutalität und | |
der Einsatz von Schusswaffen. „Früher haben dir die Diebe einfach die | |
Handtasche entrissen, heute bringen sie dich dafür um“, sagt Carlos Choque, | |
ein Textilunternehmer aus Lima. | |
Am 16. März fiel ihnen Carlos Flores, der beliebte Sänger der Band „Armonia | |
10“, zum Opfer. Die Tanzband war um halb drei Uhr nachts in ihrem Bus | |
unterwegs zu einem weiteren Auftritt, als zwei Motorradfahrer den Bus | |
beschossen. Carlos Flores wurde von einer Kugel getroffen und verstarb im | |
nächsten Krankenhaus. Grund des Angriffs sind vermutlich | |
Schutzgelderpressungen, denen die Band nicht nachkam. | |
Die peruanische Präsidentin Dina Boluarte rief daraufhin am Mittwoch, | |
wieder einmal, für 30 Tage den Ausnahmezustand aus und schickte das Militär | |
auf die Straßen, in der Hoffnung, damit ihr ramponiertes Image | |
aufzubessern. Bei Umfragen rangieren ihre Zustimmungswerte um die fünf | |
Prozent, nur der Kongress – von dem die Präsidentin ohne eigene Fraktion | |
abhängig ist – ist noch unbeliebter. | |
Dabei hatten gerade die Parlamentarier mit ihrem Gesetz, dass Verdächtige | |
erst verhaftet werden dürfen, wenn sie in flagranti erwischt werden, den | |
Kriminellen einen großen Gefallen getan. Am 10. März mussten sie das Gesetz | |
wieder zurücknehmen. | |
## Erpresser arbeiten mit Internet, die Polizei hat nicht mal Computer | |
Die Ausrufung des Notstands hat bisher wenig gebracht, um die Kriminalität | |
einzudämmen. Unter anderem, weil die wichtigsten Werkzeuge der | |
Schutzgelderpresser heute Internet und Handy sind. | |
„Wir haben nicht mal einen Computer, wie sollen wir da Ihre Anzeige | |
aufnehmen“, sagte man Francisco Huaman auf der örtlichen Polizeistation, | |
als er wegen der Schutzgelderpressung Anzeige erstatten wollte. Als er es | |
im Hauptbüro der Kriminalpolizei versuchte, wurde er von einem Büro ins | |
andere geschickt. Auch dort wollte niemand seine Anzeige aufnehmen. | |
Tatsächlich ist die Polizei eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Zum | |
einen, weil es zu wenige Polizisten gibt und diese schlecht ausgestattet | |
sind. 155 Polizisten kommen in Peru auf 100.000 Einwohner*innen, 20 weniger | |
als vier Jahre zuvor. Über die Hälfte der Polizeiautos sind nicht | |
einsatzfähig, nur ein Viertel der Kommissariate verfügt über Radiofunk, nur | |
vier Prozent haben GPS. | |
## Korruption bei der Polizei | |
Dazu kommt das Problem der staatlichen Korruption. Vor Kurzem deckten | |
Investigativjournalist*innen auf, dass viele bei Festnahmen | |
konfiszierte Waffen aus Polizeibeständen stammten. Für die Aufnahme in die | |
Polizeischule verlangen einige Offiziere von den Anwärter*innen bis zu | |
20.000 Euro „Aufnahmegeld“. Das Gehalt eines peruanischen Polizisten von | |
umgerechnet 600 Euro reicht nicht, um diese oft von Familienangehörigen | |
geschulterte Investition legal wieder reinzuholen. | |
Einfacher, als ihre Polizei aufzurüsten und auszumisten, ist es für | |
Boluarte, Soldaten auf die Straße zu schicken, oder die Ausländer – sprich | |
die rund 1,5 Millionen venezolanischen Flüchtlinge und Migranten – für die | |
Lage verantwortlich zu machen. | |
Ganz von der Hand zu weisen ist der Hinweis auf die Venezolaner im | |
Zusammenhang mit der Zunahme von Kriminalität nicht: „Bei 1,5 Millionen | |
Zugewanderten sind Vertreter*innen der gesamten venezolanischen | |
Gesellschaft eingewandert, positive wie negative Elemente“, sagt Victor | |
Quinteros, ein auf Kriminalität und interne Sicherheit spezialisierter | |
Jurist. Nachgewiesen ist, dass venezolanische Verbrecherbanden wie der | |
„Tren de Aragua“ die Migration nutzten, um ihren Einflussbereich | |
international auszuweiten. „Aber die peruanischen Banden haben schnell von | |
ihnen gelernt, die Pistole abzudrücken“, so Quinteros. | |
## Erst Beziehungen helfen | |
Der Erpresser von Francisco Huaman, da ist er sich sicher, sprach mit | |
peruanischem Akzent. Nach seinen vergeblichen Versuchen, Hilfe von der | |
Polizei zu erhalten, schaltete Franciscos Vater schließlich einen alten | |
Bekannten ein, der ein hohes Tier bei der Polizei war. Augenblicklich | |
änderte sich das polizeiliche Verhalten: Vier Beamte in Zivil nahmen seine | |
Anzeige auf, verfolgten die Handynummer, von der der Anruf kam, und die | |
Kontonummer, auf die Francisco eingezahlt hatte. Er solle sein Handy | |
wechseln und nur noch bekannte Nummern annehmen, rieten sie ihm. Francisco | |
Huaman hat seitdem keine Drohungen mehr erhalten. | |
Doch die wenigsten Peruaner haben Kontakte zu hohen Polizisten. Die Opfer | |
von Schutzgelderpressungen sind kleine Händlerinnen, Straßenverkäufer, | |
Busfahrer. Jeder, der ein noch so kleines Geschäft betreibt, muss damit | |
rechnen, bedroht zu werden. 2.000 Tante-Emma-Läden haben aus Angst im | |
letzten Jahr geschlossen, unzählige Marktstände zugemacht. | |
„Um die Kriminalität wirksam zu bekämpfen, braucht es die Zusammenarbeit | |
aller staatlichen Stellen, sowie politischen Willen“, sagt Victor | |
Quinteros. Im Moment ist Peru weit davon entfernt. | |
20 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Hildegard Willer | |
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