| # taz.de -- Wahlplakate zur Bundestagswahl: Die Scheiße fällt nach oben | |
| > Berlin ist zuplakatiert. Ganz oben an den Laternen hängt | |
| > Menschenfeindlichkeit mit unnützen Ausrufezeichen. Eine Polemik zum | |
| > Bundestagswahlkampf. | |
| Bild: Trostlosigkeit im Morgengrauen: Wahlplakate in Berlin | |
| Das Einzige, was man über Politik in Berlin wissen muss, ist, dass sie | |
| nicht der Gravitation gehorcht: Die Scheiße fällt nach oben. Zumindest die | |
| politische. Wer einen analogen Eindruck über die Skalierung an | |
| Menschenfeindlichkeit in unserer Parteienlandschaft braucht, muss sich zu | |
| Wahlkampfzeiten nur einen Laternenmast anschauen. | |
| Angeführt wird die Skala des Grauens von denen, die mit Leitern so weit | |
| oben wie möglich Wahlplakate montieren: außer Reichweite des bösen | |
| Migranten. [1][Immer begleitet von Worten wie: Heimat! Sicherheit! | |
| Grenzen!] Und Sätzen, die uns angeblich dabei helfen sollen, unsere | |
| Identität zu verorten. Uns klarzumachen, ob wir Feind oder Freund sind. | |
| Drinnen oder draußen. Oder zumindest, wo wir hingehören – in den Augen des | |
| Privilegs. | |
| „Zeit für eine Migrationswende!“, „Zeit für Abschiebungen!“, „Zeit … | |
| innere Sicherheit!“: Die AfD mag anscheinend nicht nur Leitern, sondern | |
| auch Ausrufezeichen! Ihnen sollte mal jemand sagen, dass diese fetzigen | |
| Dinger Sonderzeichen sind! Vielleicht würde sie das abschrecken! | |
| ## Antifas tragen zu selten Leitern mit sich rum | |
| Diese Plakate hängen immer ganz oben. Schon bemerkt? Es fällt auf, man | |
| könnte sich schon fragen, warum. Die Antwort ist – Achtung, Wortspiel – | |
| plakativer, als man denkt. Zudem gibt sie einem ein Stück Hoffnung zurück. | |
| Mir zumindest. | |
| Es gibt keine Wahlwerbung, die häufiger abgerissen und zerstört wird, als | |
| rechtsfaschistische und rechtskonservative Wahlplakate. Die Berliner linke | |
| Zecke kann den braunen Gedankensumpf augenscheinlich nicht ertragen, trägt | |
| aber offensichtlich nicht häufig genug eine Leiter mit sich herum. | |
| Rechtskonservativ hängt meist direkt unter den ganzen alternativlosen | |
| Ausrufezeichen. Das passt auch politisch gut, die fühlt man ja auch grad | |
| nah beieinander. Überall sieht man diesen machtbesessenen | |
| Mr.-Burns-Verschnitt, der [2][den Song „Schwarz zu Blau“] wie vieles andere | |
| aus dem Kontext gerissen und als Handlungsanweisung missverstanden hat. | |
| Das Mittelfeld wird wiederum von reichen Menschen bestritten, die es | |
| geschafft haben, dem inhaltsstarken, philosophischen Konzept der Freiheit | |
| eine neue Definition zu geben. Liberal heißt bei ihnen nicht mehr, dass man | |
| der Welt offen gegenübersteht. Liberal heißt heute, dass der, der alles | |
| hat, sich auch alles erlauben können muss. | |
| ## Ablenkung vom Klassenkampf | |
| So hängen die Ich-will-Immos-und-Dollars-in-Saint-Tropez-Vertreter dieser | |
| Einzelkämpfer-Mentalität in der Mitte der Laterne. Aus dem Fenster eines | |
| SUVs gut sichtbar. Selbst im Vorbeifahren. Das Pink kratzt durch die | |
| abgetönten Scheiben auch weniger in den Augen. Manchmal aber auch in | |
| Schwarz-Weiß. Das ist nachdenklich ästhetisch – quasi Kunst. Lenkt | |
| wunderbar vom Klassenkampf ab. | |
| Aller Liberalität zum Trotz erfährt [3][die Wahlwerbung der angeblichen | |
| Mitte] dennoch zu viel Aggression, als dass sie mit den Plakaten des | |
| Proletariats abhängen könnte. Auf Augenhöhe eines stehenden Erwachsenen | |
| hängen [4][nur noch Zuversicht] und Überzeugungen, welche Gerechtigkeit, | |
| Gleichberechtigung und gleiche Chancen fordern. Linksgrünversifftes | |
| Gutmenschendenken, das offensichtlich niemandem so sehr an den Karren | |
| pisst, dass man es zerstören muss. Ist ja auch echt schon nah genug an der | |
| Hundescheiße, die unter der Laterne liegt. Strafe genug. | |
| Die Menschen, die es stören könnte, sehen diese Plakate wahrscheinlich | |
| sowieso nicht; wer hoch hinaus will, schaut eh nur nach oben. Ist | |
| wahrscheinlich angenehm: Da sieht man dann die anderen Menschen auch nicht | |
| mehr. | |
| Abschließend, neu erschienen: die Wanderplakate! Die könnten mal oben, mal | |
| unten hängen und lassen die pinke Mitte vor Neid darüber erblassen, dass | |
| man eine Partei wirklich, so in echt, nach sich selbst benennen kann. So | |
| was Tolles lernt man sicher nur im Russischunterricht. | |
| Menschlichkeit wird in Berlin also vertikal skaliert. Wenn ihr demnach | |
| nicht genau wisst, wo ihr politisch steht oder wer ihr so sein wollt in | |
| unserer Gesellschaft, reicht der Blick an die Laterne. Stellt euch einfach | |
| neben die Laterne, fangt an zu singen und macht, rabimmel, rabammel, | |
| rabumm, euer Kreuzchen. | |
| 14 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /AfD-erbt-6-Millionen-Euro/!6069185 | |
| [2] /Berliner-Konzert-von-Seeed/!5637237 | |
| [3] /Absurde-Wahlplakate/!6062180 | |
| [4] /Wahlplakate-der-Gruenen/!6065200 | |
| ## AUTOREN | |
| Arto Liber | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Wahlwerbung | |
| Schwerpunkt AfD | |
| CDU | |
| Klassenkampf | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Kolumne Postprolet | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wahlprogramme der Parteien: Lügen, die wir lesen sollten | |
| Die Wahlprogramme der Parteien sind leere Versprechungen. Warum man sie | |
| trotzdem kennen muss. | |
| Wahlplakate der Grünen: Hört auf mit den Doppelpunkten | |
| Die Grünen lieben sie: die Doppelpunkte. Kein Wahlplakat kommt ohne das | |
| Satzzeichen aus, dabei sagt das mehr über sie aus, als ihnen wohl lieb ist. | |
| Absurde Wahlplakate: Ist das noch Wahlkampf oder schon Stalking? | |
| Dieses Jahr scheinen die Wahlplakate noch penetranter als sonst. Unser | |
| Kolumnist rechnet ab. |