# taz.de -- Party ohne Alkohol und Drogen in Berlin: Nüchtern, queer und Spaß… | |
> Die Veranstaltungsreihe „Lemonade Queers“ im Schwuz bietet ein | |
> konsumfreies Feiererlebnis. Solche Räume sind für queere Menschen | |
> besonders wichtig. | |
Bild: Gegen die Einsamkeit des nüchternen Feierns: Die Lemonade Queers Crew im… | |
Berlin taz | Welcome to Lemonade Queers!“ Vlady Schklover tritt in pinker | |
Fransenjacke, schwarzem Bandana und einer Menge Energie auf die kleine | |
Bühne im Schwuz. „Let’s get ready to celebrate sobriety“, ruft Schklover | |
ins Publikum. Die Pepsi Boston Bar im Untergeschoss des Schwuz ist | |
rappelvoll, heute findet hier eine sogenannte Sober Party namens Lemonade | |
Queers statt. | |
Viele sind gekommen, weil andere queere [1][Partys in Berlin], bei denen | |
viel konsumiert wird, nicht ihr Ding sind. Oder weil sie wegen einer | |
Suchterkrankung klassische Partykontexte meiden. Auf die Frage, wie viele | |
hier dauerhaft nüchtern leben, recken sich etwa die Hälfte der Hände nach | |
oben. Kurz darauf erklingt ein schiefes, aber herzliches „Happy Birthday“ | |
für ein:e Gäst:in, die seit 17 Jahren abstinent lebt. | |
Die Abstinenz feiern, das sieht bei den Lemonade Queers im Schwuz so aus: | |
Drag, Comedy, Lip Sync, Rap- und Popmusik. Aber die Lemonade Queers ist | |
auch für alle, die eher für die Gemeinschaft und nicht für eine laute und | |
ausgelassene Party hier sind. | |
Darum springt Momo Strödecke in glitzernden Leggings und durchscheinenden | |
Flügeln durch die Party und verbindet alle, die Lust auf Verbindung haben – | |
„Connection Fairy“ nennt Strödecke sich. Vor der eigentlichen Party und dem | |
Bühnenprogramm initiiert Strödecke eine Kennenlernrunde für alle, die | |
allein gekommen sind oder Lust auf neue Kontakte haben. | |
## Hier muss man sich keinen Mut antrinken | |
Hier können sich abstinente Queers untereinander vernetzen, ohne dass sie | |
sich dafür Mut antrinken müssen. Denn Alkohol schenkt die Bar heute keinen | |
aus. Der „Drink of the night“ ist stattdessen „Winter is Coming“, eine | |
Winterbowle aus Apfelsaft, Rosmarin, Cranberry und Zimt. Auch ohne | |
Verlegenheitsbier kommen die Menschen schnell ins Gespräch: Smalltalk, aber | |
auch Geschichten über [2][Wege aus der Sucht] entstehen dabei. | |
Vlady Schklover und Momo Strödecke sind die beiden Gründer:innen der | |
Lemonade Queers. Die zwei sind in vielerlei Hinsicht wie Yin und Yang. | |
Schklover ist extrovertiert, steht gern auf der Bühne, flitzt während der | |
Veranstaltungen oft von A nach B, war schon immer gern lang und exzessiv | |
feiern. Strödecke sorgt sich während der Partys eher um die leisen Töne, | |
bringt Menschen zueinander, betreut einen Ruhebereich für alle, die etwas | |
Pause von der Enge und der Lautstärke der Party brauchen. | |
Beide verbindet aber vergangene Konsumgewohnheiten, die sie auf Dauer | |
ändern wollten. „Ich komme aus einem Dorf in Bayern – da war Alkohol | |
einfach eine normale Freizeitbeschäftigung“, sagt Momo Strödecke. Alkohol | |
sei immer ganz normal und vermeintlich unproblematisch gewesen, bis sie | |
sich schließlich betrunken im Urlaub im Dschungel verlief und merkte: „Ich | |
muss etwas ändern.“ Aufzuhören sei ein schleichender Prozess gewesen. | |
Auch Vlady Schklover kennt diese Art von Rausch, allerdings nicht als | |
einmaliges Erlebnis. „Irgendwann habe ich auf 15 Jahre voller Filmrisse | |
zurückgeblickt“, sagt er. Schwule Ravekultur und die Lust steigernde | |
Wirkung von Drogen beim Sex seien regelmäßig Anlässe für Konsum gewesen. | |
Aber auch die hohe Arbeitsbelastung als freier Künstler und der Druck, sich | |
im Beruf zu etablieren, hätten eine Rolle gespielt. „Ich war immer nervös | |
im Umgang mit anderen Menschen“, sagt er. Der Konsum habe geholfen, sich | |
frei zu fühlen und Mauern einzureißen – besonders in der queeren Szene. | |
„Als queerer Jugendlicher muss man sich oft verstecken“, sagt Schklover, | |
„das ist ja kein normales Erwachsenwerden, was wir queere Menschen | |
erleben.“ Konsum habe ihm dabei geholfen, mit sich klarzukommen und ihm | |
Zuneigung und Liebe versprochen. | |
Eine Erfahrung, mit der Vlady Schklover nicht allein ist. „Queere Menschen | |
entwickeln oftmals eine gewisse Scham im Laufe der Identitätsentwicklung. | |
Denn sie wachsen auch heute noch in einer Gesellschaft auf, die ihnen | |
gegenüber negativ eingestellt ist“, sagt Stefan Timmermanns. Timmermanns | |
ist Professor für Sexualpädagogik an der Frankfurt University und forscht | |
zur psychosozialen Gesundheit von queeren Menschen. Dabei beschäftigt er | |
sich auch mit dem Thema Sucht. | |
## Queere Menschen erleben mehr Belastung | |
Ein Befund, der sich in der allgemeinen Forschung, aber auch in | |
Timmermanns’ Arbeit immer wieder zeigt: Queere Menschen erleben mehr | |
Belastung, in der Forschung Minderheitenstress genannt. Auch Menschen, die | |
Rassismus oder Ableismus, Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, | |
erfahren, sind stärker psychisch belastet. | |
Der Minderheitenstress [3][entsteht durch Herabwürdigungen im Alltag], aber | |
auch durch strukturelle Diskriminierung und die Befürchtung, in bestimmten | |
Räumen auf Ablehnung zu stoßen. Genauso spielen bei queeren Menschen | |
verinnerlichte negative Überzeugungen über die eigene Sexualität eine | |
Rolle. „Diese negativen Ansichten über die eigene Queerness sind oft tief | |
in der Identität verwurzelt“, sagt Timmermanns. | |
## Feiern gehen, um Sorgen hinter sich zu lassen | |
Dieser Stress prallt nicht einfach an queeren Menschen ab, sondern kann | |
dazu führen, dass sie psychische Erkrankungen entwickeln. Doch nicht nur | |
das: „Drogen- und Alkoholkonsum können ein Mittel sein, mit den | |
Diskriminierungserfahrungen und der verinnerlichten Scham umzugehen und sie | |
zu vergessen“, sagt Stefan Timmermanns. Feiern zu gehen und dabei zu | |
konsumieren – ein Mechanismus, um Sorgen hinter sich zu lassen. | |
Gleichzeitig seien in der queeren Community weniger Orte verfügbar, an | |
denen sich Menschen und ihre Verbündete treffen können. Auch in Großstädten | |
ist die Finanzierung von Rückzugsräumen oft unsicher. Sogar in der | |
vermeintlichen „Regenbogenhauptstadt“ Berlin [4][wollte der schwarz-rote | |
Senat im Zuge der Kürzungswelle queeren Jugendklubs die Finanzierung | |
streichen]. Erst nach lauten Protesten nahm er das Vorhaben schließlich | |
zurück. | |
Sollten irgendwann nur noch kommerzielle Partys als Treffpunkt für Queers | |
übrigbleiben, könnte das ein Problem werden: „Denn in klassischen | |
Partystrukturen sind Drogen eben auch leicht verfügbar“, sagt Stefan | |
Timmermanns. „Queere Menschen sind auf Räume außerhalb dieser Partykontexte | |
angewiesen, um Verbündete zu treffen“, resümiert er. Darum lautet | |
Timmermanns’ Empfehlung für alle, die mit Konsum hadern: Vernetzt euch | |
untereinander. | |
## Mit der Nüchternheit kam die Einsamkeit | |
Genau das hat Vlady Schklover getan, als er 2023 beschloss, nüchtern zu | |
werden. Denn mit dem Entschluss kam vor allem eines: Einsamkeit. Also | |
vernetzte er sich auf Facebook mit anderen abstinenten Menschen aus der | |
queeren Community und lernte bei einem Treffen im Südblock Momo Strödecke | |
kennen. Aus einigen unregelmäßigen Veranstaltungen entstand schließlich das | |
Konzept für die erste und einzige queere Party für alle, die nüchtern | |
bleiben wollen. | |
Und tatsächlich scheint die Lemonade Queers einen Nerv zu treffen. Als die | |
erste Party im Juli 2023 stattfand, war der Raum im Schwuz vollkommen | |
überfüllt. Das könnte auch daran liegen, dass sie anders als ein Großteil | |
der Berliner Clubkultur kostenlos ist. Eine Tatsache, die auch Stefan | |
Timmermanns mit Blick auf seine Forschung begrüßt. „Menschen mit niedrigen | |
sozioökonomischen Status berichten häufiger von Einsamkeit. Auch queere | |
Orte besuchen sie weniger, weil sie sich das schlicht nicht leisten | |
können.“ Darum sei es besonders wichtig, kostenlose Angebote zu schaffen. | |
Obwohl die Berliner Kulturszene für 2025 auf harte Zeiten eingestellt ist, | |
ist das Jahr mit guten Neuigkeiten für die Lemonade Queers gestartet: Momo | |
Strödecke und Vlady Schklover werden ihre Partyreihe im Schwuz | |
weiterführen können. Der nächste Termin ist am 19. März – dann heißt es | |
wieder: „Let’s get ready to celebrate Sobriety!“ | |
5 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Wulff | |
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