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# taz.de -- Freestyle Chess an der Ostsee: Glamouröse Brett-Show
> In einem Luxusresort an der Ostsee wird gerade eine Schach-Revolution
> vorangetrieben. Der Weltverband hält dagegen. Es geht um Macht und Geld.
Bild: Duell im Weissenhaus: Nodirbek Abdusattorov (l.), Weltmeister im Schnells…
„And the number is: 200“ liest Holly Buettner die Ziffern auf einer kleinen
Kugel vor. In weißer Manschetten-Bluse und Louboutin-Stilettos steht sie
auf einer Bühne im Luxusresort Weissenhaus an der Ostsee. Wie der
Verschnitt einer Wettshow in Vegas sieht es hier aus, mit Lottomaschine,
rotem Vorhang, Trophäe und Gong. Beobachtet wird sie von zehn Männern in
bunten, maßgeschneiderten Samt-Jacketts. Sie sind die eigentlichen Stars
der Veranstaltung. Denn die ganze Show wird abgezogen, damit sie Freestyle
Chess spielen können. Eine Spielvariante, die Schach revolutionieren soll.
Zumindest, wenn es nach Jan Henric Buettner, dem Gatten der Showmasterin,
geht. Der 60-Jährige ist Unternehmer, selbsternannter Gründer von Freestyle
Chess und hostet in seinem [1][Private Nature Luxury Resort] in dieser
Februarwoche den Auftakt der „Freestyle Chess Grand Slam Tour“. Sein
Mitstreiter ist der [2][weltbeste Schachspieler Magnus Carlsen.]
Beim Freestyle werden die hinteren Spielsteine auf dem Brett mit
ausgeloster Grundstellung zufällig angeordnet. Das soll Schach zugänglicher
machen, da es verhindert, dass Partien durch einstudierte
Eröffnungssequenzen entschieden werden. Ganz innovativ ist das nicht, Bobby
Fischer hat mit Fischerschach diese Spielvariante schon in den 1990ern
erfunden. Neu ist, aus dem Spiel eine Marke zu machen. Jan Henric Buettner
hat bisher selbst 3 Millionen Euro investiert und das Preisgeld für dieses
Jahr mit insgesamt 750.000 Dollar ungewöhnlich hoch angesetzt.
Und er hat weitere Geldgeber*innen gefunden. Etwa Jan Deepen, der
Gründer des Zahlungsdienstleisters SumUp, oder die NBA-Legende Derrick
Rose, mit dem eine Schachshow in Vegas geplant sei. „Mir geht es darum,
dass die Spieler Spaß haben“, sagt Buettner. Auf seiner Gürtelschnalle
prangt das Logo von Freestyle Chess – zwei Meerkatzen aus dem Wappen des
Weissenhaus-Schlosses.
## Inszenierte Rebellion
Der Spaß – und vielleicht das Geld – bringt die internationale Elite des
Schachs ins Luxusresort: Den amtierenden und jüngsten Weltmeister Gukesh
Dommaraju, die Nummer 2 in der Weltrangliste nach Carlsen, Fabiano Caruana.
Oder Alireza Firouzja, Großmeister und Fashion-Ikone. Magnus Carlsen läuft
passend zum Gastgeberpaar auf – in weißem Jackett, das Weissenhaus-Wappen
auf das Hemd gestickt. Noch im Dezember hatte er sich bei einem Spiel
geweigert, dem offiziellen Dresscode des Schachweltverbands Fide zu folgen
und stattdessen in Jeans gespielt.
Diese [3][inszenierte Rebellion] rückte die Fide in ein schlechtes Licht –
eine perfekte Publicity für das Freestyle-Chess-Event. Der Verband wurde
von der Gegenwart eingeholt, denn die Welt des Schachs hat sich seit der
Pandemie digitalisiert. Über Werbung und exklusive Inhalte laufen
mittlerweile lukrative Geschäfte auf den Onlineplattformen. Schon vor dem
Turnier im Weissenhaus ist daher klar, wer gewinnt: Carlsen als
Markenbotschafter und Buettner als Unternehmer dürften großen Profit aus
der Veranstaltung schlagen.
Doch die Fide will mitreden. Sie sieht sich in ihrem Vorrecht, Regeln für
die Schachwelt aufzustellen, verletzt. So beansprucht die Organisation,
dass nur sie einen Weltmeistertitel vergeben darf. Genau darüber stritten
sich Buettner und der Vorsitzende der Fide, Arkady Dvorkovich, monatelang.
Denn es stand im Raum, den Gewinner des Freestyle Slam „Weltmeister“ zu
nennen. Wer mit dieser Idee aufkam? Buettner behauptet, die Fide sei auf
ihn zugekommen und habe für die Vergabe 500.000 Dollar gefordert, er habe
nur 100.000 geben wollen. Auf eine Anfrage der taz äußert sich die Fide
dazu nicht. [4][In einer Mitteilung lehnte die Organisation den Deal aber
offiziell ab] und kritisierte den „intransparenten Qualifikationsprozess“
des Turniers.
Zudem habe der Verband Spieler unter Druck gesetzt: Wenn sie beim
Freestyle-Turnier dabei wären, dürften sie nicht mehr an Turnieren der Fide
teilnehmen. „Kinderkacke“, findet Buettner und organisierte am Sonntag
einen „runden Tisch“ im Weissenhaus, damit die Spieler selbst entscheiden,
welcher Titel künftig vergeben wird. Der im Herbst in Südafrika zu kürende
Gewinner soll nun „Freestyle Chess Champion“ heißen. Die Welt wird mal eben
aus dem Titel gestrichen, teilte der Pressesprecher am Montag mit. Das
hätten die Spieler einstimmig entschieden.
## Nur digital zugängliches Event
Allerdings gibt es weitere Regeln, die die Fide und den
privatwirtschaftlichen Verein Freestyle Chess unterscheiden. Die Fide
verbietet etwa seit dem russischen Angriffskrieg Spielern, unter russischer
Flagge anzutreten. „Wir versuchen, möglichst unpolitisch zu sein“, sagt
Buettner. So ganz einig sind sich Buettner und die Turnierleitung aber
anscheinend nicht. Für Wettkampf-Direktor Sebastian Siebrecht ist klar,
dass russische Spieler auch im Freestyle Chess unter der neutralen
Fide-Flagge spielen würden.
Außerdem fördert die Fide Nachwuchstalente, etwa durch Workshops an
Schulen. Freestyle Chess will das durch eine „Freestyle Chess Academy“ auch
schaffen. Wie die genau aussehen soll? „Ich erzähle gerne erst mal und
schaue dann, wie’s läuft“, erklärt Buettner.
Auch die im Weissenhaus viel betonte Zugänglichkeit von Freestyle-Schach
ist weitläufig zu verstehen. Bei klassischen Schachturnieren ist es etwa
üblich, Schachbretter für die Gäste aufzustellen. Schach-Amateure wie auch
Zuschauer*innen kann man auf diesem Turnier aber lange suchen. „Wir
mussten leider aus Platzgründen Leute wegschicken, die aus Hamburg und
Bremen angereist waren“, sagt ein Sprecher der taz. Dafür ist die ganze
Veranstaltung online zugänglich. Es sind mehr Kameras als Menschen vor Ort,
auch die größten Schach-Influencer sind eingeladen. Ein Händchen für den
Hype hat Freestyle Chess also.
Kurz nach der Ziehung der Kugel erscheint auf der Leinwand die Kombination
für die Aufstellung der nächsten Partie. Die Spieler der gleichen Farbe
können zusammensitzen, sich über die Startpositionen austauschen.
Währenddessen dann nur noch das Klicken der Uhren. An diesem Samstag
gewinnt Alireza Firouzja die erste Runde. Für sein Post-Game-Interview
zieht er sich noch schnell eine Prada-Jacke über, seine Augen glänzen
hinter der Louis-Vuitton-Brille. Zwischen all dem Glamour freut er sich
einfach über den Sieg.
11 Feb 2025
## LINKS
[1] https://www.weissenhaus.de/en/packages.html
[2] /Streit-um-die-Zukunft-des-Schachs/!6058251
[3] /Schachstar-Magnus-Carlsen-in-Jeans/!6053238
[4] https://www.fide.com/news/3409
## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclere
Nathan Pulver
## TAGS
Schach
Ostsee
Revolution
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
FC St. Pauli
Schach
Magnus Carlsen
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