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# taz.de -- Pestizide in türkischen Lebensmitteln: Gift auf dem Teller
> Oft dürfen türkische Lebensmittel wegen hoher Pestizidrückstände nicht in
> die EU. In der Regel landen sie dann in der Türkei auf dem Markt.
Bild: Gemüseverkauf: Seit 2008 ist der Pestizidverbrauch in der Türkei stark …
Nüsse, getrocknete Feigen, Aprikosen und Granatäpfel gehören zu den
Hauptimportprodukten aus der Türkei. Nicht selten wird die Ware allerdings
an den EU-Grenzen abgefangen und aufgrund zu hoher Pestizidrückstände
wieder zurückgeschickt. Gelöst ist das Problem damit allerdings noch nicht.
Das Phänomen ist nicht neu. Seit 2004 müssen türkische Exporte EU-Standards
erfüllen.
Immer wieder werden seither Lebensmittel zurückgeschickt, weil sie bei den
schärferen Kontrollen des [1][RASFF-Systems] durchfallen und einer neuen
Verordnung der EU von 2020 entsprechend zu hoch mit Pestiziden belastet
sind. Seit über 20 Jahren kämpft die türkische Landwirtschaft mit der
Mission, die EU-Standards zu erfüllen, und scheitert immer wieder daran.
Beunruhigend ist die Frage: Was passiert mit der Ware in der Türkei?
Landwirtschaftsminister Ibrahim Yumakli, der auch für
Lebensmittelsicherheit zuständig ist, versicherte Anfang des Jahres in
einem Fernsehinterview, dass zurückgewiesene Lebensmittel vernichtet werden
würden. Belege dafür gibt es allerdings nicht. Irritierend ist, dass
keinerlei Warnungen auf der Website der Türkischen Direktion für
Lebensmittelsicherheit, beispielsweise für getrocknete Feigen, Pistazien
und Tomaten, zu finden sind – also für genau die Lebensmittel, die die EU
abgewiesen hatte.
Die Direktion für Lebensmittelsicherheit ist als offizieller Partner des
RASFF für die Überwachung und Regulierung der
Lebensmittelsicherheitsstandards verantwortlich. Merkwürdig ist auch der
deutliche Preisverfall solcher Produkte in der Türkei nach den
Rückweisungen. Der Verdacht liegt sehr nah, dass die Regierung den
Menschen, die durch die Wirtschaftskrise unter Armut und Hunger leiden,
hier ein giftiges Geschenk präsentiert.
## Teufelskreis für die Landwirtschaft
Landwirtschaftsminister Yumakli ist das Problem ganz offensichtlich
vertraut. So berichtete er von mehr als 250.000 Pestizidkontrollen
innerhalb der letzten 3 Jahre. Der Rückstandsanteil sei um 35 Prozent
reduziert worden. Tatsächlich zeigen [2][offizielle Zahlen] zum
Pestizideinsatz ein völlig anderes Bild: Seit 2008 ist der
Pestizidverbrauch in der Türkei stark gestiegen und nahm auch von 2021 bis
2023 kontinuierlich zu.
Angesichts des Klimawandels, fehlender Aufklärung und wirtschaftlicher
Unsicherheit greifen viele türkische Landwirte auf billige Pestizide
zurück, was wiederum Folgen für Gesundheit, Umwelt und nachhaltige
Landwirtschaft hat. Es ist ein Teufelskreis. Auch Korruption und Mangel an
Expertise in den türkischen Institutionen behindern die Kontrolle von
giftigen Pflanzenschutzmitteln. Dieses Problem liegt zwar größtenteils in
der Verantwortung der Türkei, ist jedoch Teil eines globalen Problems.
Der Pestizideinsatz schadet nicht nur der Türkei und Drittländern, sondern
auch der EU trotz bestehender Verbote. Zudem werden zum Teil sogar
lebensgefährlichen Pestizide, die in der EU und in Deutschland verboten
sind, durch die EU und Deutschland in Länder mit weniger strengen
Vorschriften exportiert. Daten der [3][Europäischen Chemikalienagentur]
(ECHA) zeigen, dass Unternehmen mit Sitz in der EU im Jahr 2023 insgesamt
173.451 Tonnen Pestizide in Länder mit weniger strengen Vorschriften,
darunter die Türkei, exportiert haben.
Darunter waren auch in der EU und in Deutschland verbotene Stoffe wie
Imidacloprid, Ethylenoxid und Phosmet, die in Rückständen bei Lebensmitteln
aus der Türkei nachgewiesen wurden. Laut der ECHA-Datenbank gehört
Deutschland zu den weltweit größten Exporteuren hochgefährlicher Pestizide.
Im Jahr 2022 belegte es mit einem Exportvolumen von 3,94 Milliarden
US-Dollar den fünften Platz. Eine Studie von November 2022 zeigt, dass der
Export verbotener Pestizidwirkstoffe sowie reiner Wirkstoffe aus
Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich anstieg.
## Richtige Vorsätze im Sand gelandet
Im September 2022 kündigte [4][Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir]
ein Exportverbot für bestimmte gesundheitsschädliche Pestizide an, mit dem
Ziel, die entsprechende Verordnung bis zum Frühjahr 2023 umzusetzen. Das
ist bis heute nicht passiert. Gleichfalls hat sich die EU zum Ziel gesetzt,
im Rahmen des [5][Europäischen Grünen Deals] und der
[6][Farm-to-Fork-Strategie] die Exportvorschriften für gefährliche
Pestizide bis Ende 2023 zu verschärfen. Kein konkretes Gesetzesvorhaben
wurde bisher umgesetzt.
Ein im Dezember 2024 in den Niederlanden veröffentlichter [7][Bericht]
zeigt, dass verbotene Pestizide, die in die Drittländer exportiert werden,
als Importe oft ihren Weg zurück zu den Verbraucher*innen in der EU
finden. Die internationale Non-Profit-Organisation [8][Foodwatch] fordert
deshalb die vollständige Einstellung der Produktion und das Verbot solcher
Pestizide. Die Folgen giftiger Pflanzenschutzmittel betreffen nicht nur den
Giftgehalt in Reis, Nüssen, Obst, Gemüse und Gewürzen, sondern auch die
Umwelt.
Betroffen sind vor allem Gewässer, die Bodenfruchtbarkeit und
Biodiversität, was wiederum die globale Ernährungssicherheit und
öffentliche Gesundheit gefährdet. Die Pestizidproblematik ist [9][ein
globales Thema], das nicht nur die Türkei und Drittländer betrifft. Die
Verantwortung für die Lösung dieses Problems liegt auch bei den Ländern,
die diese Pestizide exportieren.
Es ist dringend notwendig, die Kontrolle und Regulierung von Pestiziden
weltweit zu verschärfen und alternative Methoden einzuführen, um die
Gesundheit der Verbraucher*innen zu schützen und die Umwelt zu
bewahren. Solange dieses Problem nicht als globales Anliegen behandelt wird
und die Profitinteressen über Nachhaltigkeit und Gesundheit gestellt
werden, wird die weltweite Lebensmittel- und Umweltkrise weiter verschärft
und die öffentliche Gesundheit gefährdet.
Das Problem ist nicht gelöst, wenn das Gift auf den Tellern in Drittstaaten
landet und trockene Aprikosen durch getrocknete Äpfel ersetzt werden.
6 Feb 2025
## LINKS
[1] https://food.ec.europa.eu/food-safety/rasff_en
[2] https://www.statista.com/statistics/1457174/turkey-pesticides-used-in-agric…
[3] https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/institutions-and-b…
[4] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/119-vo-exportverb…
[5] /Kompetent-versenkt/!6012533
[6] https://food.ec.europa.eu/horizontal-topics/farm-fork-strategy_en
[7] https://www.foodwatch.org/en/eu-breaks-promise-to-stop-export-of-banned-tox…
[8] https://www.foodwatch.org/en/about-us
[9] https://www.boell.de/de/pestizidatlas
## AUTOREN
Sinem Vardar
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