| # taz.de -- Fahren ohne Fahrschein: Armut wird weiter bestraft | |
| > Der Freiheitsfonds kauft 60 Schwarzfahrer*innen aus bundesdeutschen | |
| > Gefängnissen frei. Sechs davon in Berlin. Reform des Gesetzes geplatzt. | |
| Bild: Leonard Ihßen und Vivian Kube vom Freiheitsfonds vor der JVA Plötzensee… | |
| Berlin taz | Nichts anderes als eine Kriminalisierung von Armut ist die | |
| Strafbarkeit von Fahren ohne Fahrschein. Das zeigt die Aktion der | |
| Initiative Freiheitsfonds, die am Dienstag 60 Schwarzfahrer*innen in | |
| acht Bundesländern aus Gefängnissen freikaufte. In Berlin kamen die | |
| Aktivist*innen mit 3.400 Euro Bargeld in die Justizvollzugsanstalt | |
| Plötzensee und [1][kauften dort sechs Gefangene frei]. | |
| Unter ihnen ein Mann, der ohne den Freiheitsfonds seine Wohnung verloren | |
| hätte. Das ist häufig der Fall bei Strafen von über sechs Monaten, weil das | |
| Sozialamt die Miete nur so lange übernimmt. | |
| Wochenlange Inhaftierung, drohende Obdachlosigkeit, psychische Probleme, | |
| Stigmatisierung: und das bloß, weil man kein Ticket gelöst hat? Klingt | |
| reichlich übertrieben – ist es auch. Kein Wunder, wurde der Tatbestand doch | |
| 1935 von den Nazis eingeführt. Und so passt es, dass vor allem | |
| [2][Arbeitslose, Mittellose, Menschen ohne festen Wohnsitz oder | |
| Suchtkranke] betroffen sind – die sind alten und neuen Nazis ja seit jeher | |
| ein Dorn im Auge. | |
| Dass das menschenfeindliche Nazigesetz weg muss, ist daher den meisten | |
| demokratischen Parteien klar. Schließlich sind laut Umfragen mehr als zwei | |
| Drittel der Bevölkerung für eine Entkriminalisierung von Schwarzfahren. | |
| Eine Reform war von der Ampelkoalition daher schon lange geplant, seit | |
| dieser Woche aber ist klar: Vor den Neuwahlen wird das nichts mehr. | |
| Allerdings hätte die von der FDP vorgesehene Herabstufung des | |
| Schwarzfahrens von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit ohnehin wenig | |
| bewirkt: Am Ende müssen die Betroffenen trotzdem in den Knast. Statt wie | |
| jetzt eine Ersatzfreiheitsstrafe abzusitzen, landen sie dann in | |
| Erzwingungshaft. Und danach sind nicht mal die Schulden getilgt, die | |
| Geldbuße muss trotzdem noch bezahlt werden. | |
| ## Ein Haftplatz kostet 200 Euro am Tag | |
| Dabei ist die im Gegensatz zu den Haftkosten lächerlich gering: Im Schnitt | |
| kostet jeder Häftling den Staat mehr als 200 Euro am Tag. Und die 9.000 | |
| Menschen, die jährlich für dieses Bagatelldelikt weggesperrt werden, werden | |
| nicht nur für einen Tag verknackt. Der eingangs erwähnte Mann sollte 217 | |
| Tage einsitzen. Ein 59-Jähriger aus Frankfurt am Main, der ebenfalls am | |
| Dienstag befreit wurde, sollte sogar für 331 Tage hinter Gitter. | |
| Und so profitieren vom Freiheitsfonds nicht nur die Betroffenen, sondern | |
| auch der Staat: Bislang wurden laut Kampagne mit 1 Million Euro Spendengeld | |
| 1.190 Menschen freigekauft – was die Steuerzahler*innen über 17 | |
| Millionen Euro Kosten erspart habe. | |
| [3][Würde der Staat aufhören, das Inkassounternehmen für die | |
| Verkehrsbetriebe zu spielen], könnte er laut Expert*innen pro Jahr 120 | |
| Millionen Euro einsparen. Und obendrein würden die völlig überlastete | |
| Justiz und die überfüllten Gefängnisse entlastet. | |
| Angesichts dessen fordern nicht nur Wissenschaftler*innen, | |
| Menschenrechtler*innen, Jurist*innen, Aktivist*innen und die | |
| Linkspartei, die „Beförderungserschleichung“ nicht mehr zu ahnden. Auch | |
| viele Gefängnisleitungen, [4][wie der frühere Chef der JVA Plötzensee], | |
| sprechen sich dafür aus und wenden sich immer wieder an den Freiheitsfonds | |
| mit der Bitte, ihre Insass*innen freizukaufen. | |
| Das wird dieser wohl auch weiterhin tun müssen. Zwar verspricht die SPD, in | |
| der nächsten Legislaturperiode einen neuen Anlauf zur Entkriminalisierung | |
| von Schwarzfahren zu unternehmen. Doch das ist mit der CDU – derzeit laut | |
| Umfragen vor der rechtsextremen AfD stärkste Kraft – nicht zu machen. Im | |
| Gegenteil, wie nicht zuletzt der Fall der Brandmauer diese Woche gezeigt | |
| hat, treten die Christdemokrat*innen derzeit fleißig nach unten und | |
| werden sich hüten, armen und marginalisierten Menschen zu helfen. | |
| 1 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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