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# taz.de -- Urteile in Russland: Anwälte von Nawalny zu Lagerhaft verurteilt
> Drei Rechtsbeistände des Oppositionellen Alexei Nawalny sind in Russland
> zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden – ein Signal an alle
> Jurist*innen.
Bild: Petuschki, Russland, 17. Januar: Alexei Lipzer (im weißen T-shirt) und s…
Moskau taz | Vorgemacht hatte sich Alexei Lipzer nie etwas. Er kennt
politische Fälle, auch seine Mutter hatte bereits politische Gefangene
verteidigt, sein Großvater ist ein bekannter russischer
Menschenrechtler.„Es war zu erwarten“, sagt der 38-jährige Anwalt im
Gerichtskäfig des Bezirksgerichts von Petuschki, 120 Kilometer östlich von
Moskau gelegen. Er sagt es und versucht, durch die Gitterstäbe zu lächeln.
Gerade hat die Richterin wie eine Maschine die Urteile vorgelesen. Urteile
gegen Lipzer und seine Anwaltskollegen Wadim Kobsew und Igor Sergunin. Sie
hat kein einziges Mal aufgeblickt. Fünf Jahre Freiheitsentzug für Lipzer,
fünfeinhalb für Kobsew, dreieinhalb für Sergunin. Zudem bekommen alle drei
ein dreijähriges Arbeitsverbot.
[1][Die Anwälte, die bis zu ihrer Festnahme im Oktober 2023 Russlands
bekanntesten Regimekritiker, den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny,
verteidigt hatten], sollen – so der Richterspruch – „Teilnehmer an einer
extremistischen Vereinigung“ gewesen sein. Ihnen wird vorgeworfen, „unter
Ausnutzung ihres Status als Rechtsbeistand“ Briefe von Nawalny an seine
Mitstreiter*innen weitergegeben zu haben.
Der Richterspruch fällt ausgerechnet am 17. Januar – der Tag, an dem
Nawalny vor vier Jahren nach seiner Behandlung in Deutschland nach Russland
zurückgekehrt und sofort in Unfreiheit verschwunden war, bis er schließlich
in einer Strafkolonie hinter dem Polarkreis starb. Bald ein Jahr ist das
her.
## Anwälte als Mittäter
Das Urteil gegen seine ehemaligen Verteidiger zeigt, dass das russische
Regime Anwälte mittlerweile zu Mittätern bei einem Vergehen macht, nur weil
sie verteidigen, weil sie letztlich ihren Job machen. Zumal bei politisch
Verfolgten. Es öffnet Folter und Fälschungen von Beweisen Tor und Tür.
Denn es sind die Anwälte, die eine Art Draht zur Außenwelt für die
Angeklagten sind. Sie können zwar selten etwas am Strafmaß ändern, doch sie
sorgen dafür, dass die Verurteilten die Zeit in Haft besser überstehen. Die
Anwälte sind es, die die Häftlinge regelmäßig besuchen, die auf die
Haftumstände verweisen können, die gegen mögliche Missstände in den
Strafkolonien und für die Gesundheit der Häftlinge auch mittels
Öffentlichkeit kämpfen. Wenn sie keine Besuche machen, kann ein Häftling
schneller zum Opfer von Behördenwillkür werden.
Der Richterspruch für Lipzer, Kobsew und Sergunin ist ein Signal an die
Jurist*innen, die Finger von politischen Fällen zu lassen, und eine weitere
Einschüchterungsmaßnahme in einem Staat, der durch zunehmende Repressionen
Politik macht. Viele Anwälte haben Russland bereits verlassen.
Einige – auch prominente – waren zur Urteilsverkündung nach Petuschki
gekommen. Nur diese ist öffentlich bei einem Prozess, den der Staat zu
einem geschlossenen erklärt hatte. Sie wollen sich nicht einschüchtern
lassen und wissen doch, dass letztlich jede Art von Kritik, auch die
Verteidigung von Regimekritiker*innen, für die russische Staatsmacht ein
Verbrechen darstellt. Ohnehin endet kaum eine Anklage mit einem
„freigesprochen“.
## Walze der Zerstörung
„Was soll ich sagen? Es ist alles betrüblich, traurig. Aber ja, jeder hat
ein Recht auf Verteidigung, auch Oppositionelle. Wir werden unsere Arbeit
fortsetzen“, sagt Lipzers Anwalt Andrei Orlow nach dem Urteilsspruch,
wissend, dass die alles zerstörende Walze des Staates jeden treffen könnte
– auch ihn, der nun in Berufung geht. Angst und Anwalt passten nicht
zusammen, meint er. Das hatte auch sein Klient Lipzer stets gesagt.
[2][Bereits im Juni 2021 hatten Russlands Behörden Nawalnys
Antikorruptionsstiftung zu einer „extremistischen Vereinigung“ erklärt].
Mittlerweile ist sie als „extremistische Organisation“ im Land verboten.
Jeder, der mit ihr zu tun hatte, auch in der Vergangenheit, macht sich als
„Extremist“ verdächtig.
„Wir stehen wegen der Übermittlung von Gedanken vor Gericht“, hatte Wadim
Kobsew in seinem letzten Wort vor einer Woche gesagt. Der Staat schaue in
die Vergangenheit, „durch neue Linsen“. „In den 1930er, 1940er, 1950er
Jahren schickten Menschen mit ebensolchen ernsten Gesichtern wie jetzt
andere Menschen für ihre skeptischen Gedanken über die Staatsorgane ins
Lager.“
Der 41-Jährige sieht sein Land immer und immer wieder „auf der Stelle
treten“. „Es ist, als säßen wir beim Optiker fest und probierten wahllos
alle Brillen nacheinander an, ohne uns auch nur die Mühe zu machen, aufs
Rezept in unserer Tasche zu schauen“.
17 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Inna Hartwich
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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