| # taz.de -- Protest an der Alice-Salomon-Hochschule: Es geht auch friedlich | |
| > Weil sie den Polizeieinsatz bei einer Palästina-Demo verhinderte, geriet | |
| > die ASH-Präsidentin in die Kritik. Dabei sollte ihr Beispiel Schule | |
| > machen. | |
| Bild: Berlin, 7. Januar: Palästina-freundliche Transparente an der Fassade der… | |
| Der politische Druck auf Hochschulleitungen aufgrund ihres angeblich zu | |
| laxen Vorgehens gegen Studierendenproteste, die mit Palästina solidarisch | |
| sind, hat mittlerweile System. In Berlin traf es Mitte Januar die | |
| [1][Alice-Salomon-Hochschule] (ASH). Obwohl – vielleicht gerade weil – es | |
| Hochschulpräsidentin Bettina Völter gelungen war, Gewalt zu verhindern und | |
| die Studierenden zum friedlichen Abziehen zu bewegen, wird sie nun | |
| kritisiert. Sogar ihr Rücktritt wird gefordert. Wie absurd. | |
| Studierendenproteste und auch Hörsaalbesetzungen, haben eine lange | |
| Tradition, um politische Forderungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig | |
| bergen sie hohes Konfliktpotenzial: Hochschulangehörige können sich | |
| behindert oder sogar bedroht fühlen; Demonstrationen können eskalieren. In | |
| solchen Situationen hat die Hochschulleitung die schwierige Aufgabe, zu | |
| deeskalieren und mit Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und | |
| Diskursbereitschaft zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln. | |
| Genau das hat Völter getan. | |
| An der ASH etwa las man auf Arabisch „Hamas Habibi“; ein Plakat forderte | |
| „Friede der Welt, Tod dem Imperialismus“. Die Gipskopie einer Büste der | |
| Gründerin und Namensgeberin Alice Salomon wurde mit einer [2][Kufija] | |
| drapiert, jemand schrieb „Palestine“ auf den Sockel. Dass die Demonstration | |
| dennoch ohne Gewalt, ohne das Skandieren diskriminierender Slogans oder | |
| andere größere Zwischenfälle stattfinden konnte, ist allein dem Einsatz der | |
| Hochschulpräsidentin zu verdanken. | |
| Sie verhandelte mit den Protestierenden die Grenzen der Besetzung: | |
| diskriminierende Plakate wurden nach Aufforderung entfernt. Völter | |
| veröffentlichte eine Stellungnahme, die Antisemitismus klar verurteilt, | |
| sowie die Verbrechen der Hamas und zugleich das jahrzehntelange Leiden der | |
| palästinensischen Bevölkerung benennt. Im Nachgang verurteilte sie | |
| Äußerungen der Besetzer und erstattete Anzeigen. | |
| ## Schräge Vorwürfe | |
| Deeskalieren konnte sie auch deshalb, weil sie der Polizei Grenzen setzte: | |
| [3][„Wir brauchen Sie nicht“], erklärte sie den vor einem Ausgang | |
| aufgestellten Polizisten, „wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am | |
| Eingang stehen.“ Die Eskalation, die an der ASH ausblieb, wurde schließlich | |
| von anderer Seite angefeuert. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner | |
| (CDU) findet es „völlig unverständlich“, dass Völter die Polizisten als | |
| bedrohlich empfinde, nicht aber die „vermummten und gewalttätigen | |
| Antisemiten“. | |
| Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner forderte gar den Rücktritt der | |
| Präsidentin. Derartige Übertreibungen verkennen nicht nur die | |
| grundgesetzlich garantierte Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, sie | |
| unterwandern zudem die Autonomie der Bildungseinrichtung und die | |
| Deeskalationsbemühungen. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft unterstellte | |
| Völter „Polizistenhass“ und „Behinderung der Strafverfolgung“, weil si… | |
| Polizei als bedrohlich bezeichnete. | |
| Abgesehen davon, dass insgesamt ASH und Polizei kooperierten, bestätigt | |
| auch [4][Amnesty International], dass Demonstrierende die Präsenz der | |
| Polizei in der konkreten Situation häufig als bedrohlich empfinden. Ebenso | |
| fehl am Platz war die Kritik des Antisemitismusbeauftragten der | |
| Bundesregierung, Felix Klein, der Völter mangelnde Sensibilisierung für | |
| Antisemitismus zum Vorwurf machte. [5][Jüdische Angehörige der ASH] nahmen | |
| die Hochschulpräsidentin in Schutz. | |
| Völter sei nach dem [6][Massaker am 7. Oktober 2023] auf sie zugegangen und | |
| habe sie in die Gestaltung der Lehre und Veranstaltungsreihen zum Thema | |
| Israel/Palästina einbezogen. So fand im Sommer letzten Jahres eine | |
| Ringvorlesung zur Sensibilisierung für Antisemitismus statt. Eine weitere | |
| Reihe im aktuellen Wintersemester bringt israelische und palästinensische | |
| Sprecher*innen zusammen, die sich für [7][Versöhnung und Verständigung] | |
| einsetzen. | |
| ## Gegen den autoritären Wind | |
| Die Skandalisierung der Protestierenden lenkt vom Inhalt ihrer Forderungen | |
| ab. Der pauschale Antisemitismusvorwurf verunglimpft legitime Kritik an | |
| Israels nachgewiesenermaßen völkerrechtswidrigen Kriegsführung. Umso mehr, | |
| da die deutsche Regierung diesen Völkerrechtsverstößen der in Teilen | |
| rechtsradikalen Regierung in Israel mit Waffenlieferungen und | |
| diplomatischer Rückendeckung weiterhin Vorschub leistet. | |
| Der Bundestag will Ende des Monats einen [8][Entschließungsantrag] mit dem | |
| Titel „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen | |
| entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ | |
| verabschieden. Inhaltlich setzt er primär auf staatliche Überwachung und | |
| Repression. | |
| Es ist paradox zu meinen, dass die Ereignisse an der ASH einmal mehr | |
| Zeugnis für die Notwendigkeit des Antrags seien. Ganz im Gegenteil sind sie | |
| der beste Beleg dafür, dass dies der falsche Weg ist. Hochschulen brauchen | |
| nicht mehr staatliche Kontrolle, und sie brauchen sicher nicht mehr | |
| Sanktionsmechanismen oder Polizei. Hochschulen brauchen die Unterstützung | |
| staatlicher Akteure, um ihre Konflikte durch Diskurs und Deeskalation | |
| selbst zu konfrontieren. | |
| Und Hochschulleitungen brauchen das Vertrauen, dass sie zulässige Kritik am | |
| israelischen Vorgehen von zu verurteilenden antisemitischen Handlungen | |
| unterscheiden können. Dass das an der ASH gelungen ist, passt nicht ins | |
| Konzept derer, die die Hochschulen unter strengere staatliche Aufsicht | |
| stellen wollen. | |
| Die Ankündigung aus den Reihen der CDU, die Hochschulförderung an die | |
| Bereitschaft von Hochschulen zu knüpfen, mit Palästina solidarische | |
| Demonstrationen zu unterdrücken, zeigt, wie sehr illiberale und autoritäre | |
| Reaktionen auf Dissens bereits normalisiert worden sind. Völters Ausruf | |
| gegenüber der Polizei – „wir brauchen Sie nicht“ – erhält gegenüber … | |
| autoritären Tendenzen ihren Wert. | |
| 23 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hoersaalbesetzung-in-Hellersdorf/!6057104 | |
| [2] /Nahost-Konflikt-in-Berlin/!5967030 | |
| [3] /Konflikt-an-der-Alice-Salomon-Hochschule/!6061702 | |
| [4] https://www.amnesty.de/aktuell/deutschland-einschraenkung-pro-paleastinensi… | |
| [5] https://www.ash-berlin.eu/hochschule/presse-und-newsroom/ash-news/statement… | |
| [6] /Nach-dem-Massaker-im-Kibbuz-Kfar-Aza/!5968099 | |
| [7] https://www.ash-berlin.eu/hochschule/presse-und-newsroom/ash-news/stellungn… | |
| [8] https://fragdenstaat.de/dokumente/250171-antisemitismus-und-israelfeindlich… | |
| ## AUTOREN | |
| Ilyas Saliba | |
| Ralf Michaels | |
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