# taz.de -- Solidarität mit Palästina: Aufgeheizte Stimmung | |
> Der Prozess gegen einen Neuköllner Lehrer, der einen Schüler wegen des | |
> Zeigens einer Palästinaflagge geschlagen haben soll, wurde eingestellt. | |
Bild: Eine Palästina-Flagge löste den Vorfall auf dem Schulhof aus | |
Berlin taz | Es ging um [1][eine Palästina-Fahne]. Schüler des Neuköllner | |
Ernst-Abbe-Gymnasiums hatte sie am 9. Oktober 2023, zwei Tage nach dem | |
[2][Terrorangriff der islamistischen Hamas in Israel,] auf dem Schulhof | |
herumgetragen. Ein Lehrer hatte versucht, das zu unterbinden. Es kam zu | |
Handgreiflichkeiten mit einem Schüler. Von wem die Angriffe ausgingen, wer | |
wen wie attackierte, darüber gehen die Meinungen auseinander. | |
Abschließende Klarheit brachte auch der Prozess nicht, der am Freitag vor | |
dem Amtsgericht Tiergarten stattfand. Angeklagt war ein 62-jähriger Lehrer | |
wegen Körperverletzung im Amt. Laut Anklage soll er dem inzwischen | |
16-jährigen Schüler mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen haben. | |
Gegen den Schüler läuft ein gesondertes Verfahren, die Anklage ist noch | |
nicht zur Hauptverhandlung zugelassen worden. | |
Seit dem Vorfall sei er erwerbsunfähig und in psychotherapeutischer | |
Behandlung, sagte der Angeklagte, der in der Schule Sport und Geografie | |
unterrichtet hatte, am Freitag. Ursprünglich war er per Strafbefehl zu | |
einer Geldstrafe von 3.000 Euro verurteilt worden – dagegen hatte er aber | |
Einspruch eingelegt. | |
Vor Gericht begründete er sein Einschreiten auf dem Schulhof damit, dass | |
politische Demonstrationen an Schulen nicht zulässig seien. Allerdings sei | |
ihm nicht bewusst gewesen, wie aufgeheizt die Stimmung war, weil viele | |
Schüler des Gymnasiums [3][persönliche Verbindung zum Gazastreifen] hätten. | |
## Fahne weitergereicht | |
Zunächst habe eine vermummte Person auf dem Schulhof eine Palästina-Flagge | |
gezeigt, diese sei dann an andere weitergereicht worden. Schließlich habe | |
sie der Schüler gehalten, mit dem es dann zur körperlichen | |
Auseinandersetzung gekommen sei. | |
Er habe den Schüler aufgefordert, die Fahne wegzupacken und mit zur | |
Schulleitung zu kommen, so der Angeklagte weiter, dem sei der Schüler aber | |
nicht gefolgt. Stirn zu Stirn hätten sie voreinander gestanden. Dann habe | |
der Schüler einen Kopfstoß nach vorn gemacht, „reflexhaft stieß ich ihn | |
weg“. Den Schüler absichtlich ins Gesicht geschlagen habe er nicht. | |
Die Situation sei für ihn eigentlich schon beendet gewesen, als der Schüler | |
mit ausgestrecktem Bein auf ihn zugesprungen und ihm einen Tritt in den | |
Bauch verpasst habe. Durch den Tritt sei er zu Boden gegangen, der Schüler | |
sei Kampfsportler. | |
Der Lehrer sagte mit ruhiger Stimme aus, aber Schweiß im Gesicht zeigte | |
seine Anspannung. Er sei viele Jahre an der Schule gewesen. Mit über 90 | |
Prozent habe das Ernst-Abbe-Gymnasium einen hohen Migrantenanteil. Es gebe | |
Probleme, die andere Schulen nicht hätten, insbesondere soziale Probleme. | |
Mit seiner Fächerkombination hätte er jederzeit woandershin wechseln | |
können, habe sich aber dagegen entschieden. | |
## Eigentlich für beliebt gehalten | |
Er sei gern an der Schule gewesen, habe sich auch für relativ beliebt | |
gehalten. Wenn Schüler nach vielen Jahren gekommen seien und erzählt | |
hätten, wozu sie es in ihrem Leben gebracht haben, „hatten meine Kollegen | |
und ich immer das Gefühl, wir haben einen guten Job gemacht“. | |
Nach dem Vorfall auf dem Schulhof habe ihn die Polizei als gefährdete | |
Person eingestuft und gewarnt, sich auf keinen Fall mehr in der Schule zu | |
zeigen, so der Angeklagte weiter. Vier Wochen nach dem Vorfall sei er | |
dennoch noch einmal dort gewesen, an einem Wandertag, wo er niemanden in | |
der Schule glaubte. Eine Schülerin habe ihn da fotografiert. Das Foto sei | |
mit seinem Namen und einem Aufruf ins Internet gestellt worden: „Wer ihn | |
sieht, soll ihn behindert schlagen“, rekapitulierte ihn der Angeklagte. | |
Der Schüler wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Zeuge gehört. | |
Vertreten wurde er im Prozess vom Nebenklagevertreter Ahmed Abed, | |
Abgeordneter der Linksfraktion in der Neuköllner BVV. Gezeigt wurde vor | |
Gericht auch ein auf dem Schulhof aufgenommenes bruchstückhaftes Handyvideo | |
des Vorfalls, das danach in den Medien gelandet war. Zwischen Abed und dem | |
Anwalt des Lehrers kam es zum Disput um die Interpretation der gefilmten | |
Vorgänge. | |
## Hunderttausende Klicks | |
Mit einer Geldauflage von 800 Euro wurde das Verfahren schließlich | |
eingestellt. Schon die Staatsanwaltschaft habe den Fall als minder schwer | |
eingestuft, so die Begründung der Richterin. Der Lehrer sei seit dem | |
Vorfall arbeitsunfähig, dazu komme die erhebliche mediale Aufmerksamkeit. | |
Das Handyvideo und der im Internet verbreitete Aufbruch, ihm zu schaden, | |
seien hunderttausende Male geklickt worden. | |
Nebenklagevertreter Abed bezeichnete den angeblichen Kopfstoß seines | |
Mandanten nach dem Prozess gegenüber der Presse „als Lügengeschichte des | |
Lehrers“. Der Schüler habe deshalb die Schule wechseln müssen. Dass die | |
Staatsanwaltschaft gegen ihn Anklage erhoben habe, zeige, „wie ungebremst | |
der antipalästinensische Rassismus in den Institutionen fortgeschritten“ | |
sei. | |
In Verbindung mit dem Aufruf im Internet steht eine zur Tatzeit 14-jährige | |
Schülerin in der kommenden Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor | |
Gericht, wie eine Justizsprecherin bestätigte. | |
24 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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