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# taz.de -- Klimaaktivist über seinen CDU-Austritt: „Dieses Blinken nach rec…
> Klimaktivist Heinrich Strößenreuther verlässt die CDU, in die er 2021
> eingetreten war. Seine Offensivqualitäten will er nun bei den Grünen
> einsetzen.
Bild: Nah dran an der Politik: Heinrich Strrößenreuther im März 2021, kurz v…
taz: Herr Strößenreuther, vor dreieinhalb Jahren sind Sie als prominenter
Verkehrs- und Klimaaktivist [1][medienwirksam in die CDU eingetreten] und
haben dann [2][die KlimaUnion gegründet]. Jetzt geben Sie ebenso öffentlich
das Parteibuch wieder zurück. Warum?
Heinrich Strößenreuther: Seit einem halben Jahr frage ich mich mindestens
einmal am Tag, ob ich austreten soll. Dieses Blinken nach rechts an den
braunen Rand nervt. Der Titel dieses Fraktionsantrags „Brot, Bett und
Seife“ war eigentlich Nazi-Jargon und 1:1 von der AfD übernommen worden, zu
der doch die Brandmauer zementiert werden wollte. Es wurden nach und nach
Grenzen überschritten, und das passt nicht mehr für eine Partei, die das C
im Namen trägt. Aber auch beim U, dem Thema Umwelt und Klima, ist die CDU
auf Bundesebene mittlerweile programmatisch hinter dem Stand zurück, wo sie
mit Armin Laschet im Sommer 2021 war.
Sie haben es nicht geschafft, der CDU nachhaltig zu vermitteln, dass
Klimakompetenz in ihrem besten Interesse wäre?
Es ging darum, das Klima-Thema in einer Partei größer aufzubauen, die sich
ja in einer christlichen Verantwortung sieht, zu der die Bewahrung der
Schöpfung gehört. Das ist leider am Ende zu wenig gelungen. Die CDU hat
auch noch nicht verstanden, was global schon an Transformation passiert –
wo die Frage nicht mehr lautet, ob die stattfindet, sondern nur noch, ob
wir mitmachen wollen oder nicht. Bei der Autoindustrie sind die Felle zum
Teil schon weggeschwommen, in anderen Branchen wie Anlagentechnik oder
Batteriekonstruktion gibt es noch viel Potenzial, für mittelständische
Unternehmen, die davon profitieren könnten. Die CDU handelt gegen die
Interessen der eigenen Klientel und der deutschen Wirtschaft.
Offensichtlich ist die Partei überzeugt, dass sie mit Klimaschutz nichts zu
gewinnen hat.
Das war ja nicht immer so. Armin Laschet hatte sich im letzten Wahlkampf
als künftiger Klimakanzler präsentiert. Er machte dann aber den Fehler,
angesichts der Ahrtal-Flut …
… zu lachen.
Nein, das meine ich nicht. Das will ich auch gar nicht bewerten. Der Fehler
war, nicht zu sagen: Eine solche Katastrophe darf nie wieder passieren, wir
müssen in der Klimapolitik jetzt ganz anders antreten. Und genau das war
der Wendepunkt bei den Umfragewerten. Zahlen der Adenauer-Stiftung belegen,
dass eine Million Wähler wegen des Klimathemas zu den Grünen gewandert
sind. Das sind 2 Prozentpunkte, das hat den Unterschied zwischen Regierung
und Opposition ausgemacht. Die CDU hat wegen ihrer Klimaunglaubwürdigkeit
die Wahl verloren. Diese Fakten haben leider in der Partei relativ wenig
Leute interessiert.
Ist die CDU mit Friedrich Merz falsch abgebogen?
Die CDU macht den gleichen Fehler wie 1998 unter Rot-Grün, als sie blind
alles ablehnte, was die Regierung tat. Diesmal sogar eine ganze Ecke lauter
und populistischer, fast schon in Trump’scher Manier. Mit Friedrich Merz
hatte ich als Gründer der KlimaUnion mehrere Gespräche. Wir haben versucht,
ihm das Thema nachhaltige Energiepolitik näherzubringen. Ich hatte
eigentlich das Gefühl, dass er die Zusammenhänge, Chancen und Risiken
verstanden hat. Zumindest hat er an den richtigen Stellen genickt oder die
Stirn gerunzelt.
Es scheint aber nicht gereicht zu haben.
Mir schien damals schon, dass es Machtkonstellationen in der Tiefe der
Partei gibt, die auch jemanden, der das Problem verstanden hat, vorsichtig
werden lassen, wenn er sein Amt behalten will. Ich halte Friedrich Merz für
einen sehr intelligenten Menschen, aber mit Carsten Linnemann und Konsorten
hat er Leute rangeholt, die die Verteidigung der alten fossilen
Geschäftsmodelle auf der Agenda haben. Dass die CDU in der vordersten Reihe
stand und steht, um die Solar- und die Windbranche kaputtzumachen, dass sie
auch der Automobilbranche keinen Gefallen tut, passt eigentlich nicht zum
Markenzeichen Wirtschaftskompetenz.
Ihr CDU-Eintritt wurde in der Klima-Community fast schon als Verrat
wahrgenommen. Konnten Sie das nachvollziehen?
Das konnte ich definitiv bei all denen nachvollziehen, die mich nur
oberflächlich kennen oder die politische Schwerstarbeit in allen Bereichen
naiv unterschätzen. Bei Verkehrsthemen war ich früher ja mit erhobenem
Schwert unterwegs, habe hier in Berlin den Volksentscheid Fahrrad initiiert
und immer kräftig ausgeteilt und für verkehrspolitischen Druck gesorgt. Da
wirkte es für einige, als hätte ich jetzt die Seiten gewechselt. Ein Teil
des Jobs, in der CDU für eine bessere Klimapolitik zu werben, war ja auch,
mit den Wölfen zu heulen, um die richtigen Narrative sowie Rückhalt in der
Partei zu erzeugen. Das hat einige frustriert und wütend gemacht. Am Ende
hat mich der Schritt von 14.000 Twitter-Followern rund 1.000 gekostet, das
hätte schlimmer sein können. Ein bisschen weh tat mir die Kritik, wenn sie
von langjährigen Mitstreitern kam, obwohl ich seit 30 Jahren Umwelt-,
Verkehrs- und Klimaaktivist, -manager und -lobbyist in der ersten Reihe
war.
Eine Interpretation war auch, dass Sie die CDU von innen aufrollen wollten.
Wir wollten die CDU definitiv unterwandern. Ich wurde auf Twitter als
U-Boot beschimpft, aber da antwortete ich oft: Nee, nicht U-Boot, sondern
lieber Landungsgeschwader. „Kommen, um zu bleiben“ – es ging darum, das
Thema Klima in der Partei aufzubauen.
War die CDU auch ein bisschen politische Heimat für Sie?
Ich komme aus einem CDU-Elternhaus, ich hatte ein Stipendium der
Adenauer-Stiftung. Ich war aber auch 15 Jahre Konzernmanager und mehrfacher
Geschäftsführer in der Bahnbranche, bin insofern viel tiefer in
Wirtschaftsthemen drin als viele aus der Klimabewegung. Da gibt es eine
breitere gemeinsame Gesprächsebene mit CDUlern. Ich habe in der Partei
Menschen kennengelernt, Landräte oder Bürgermeister, die von der Realität
weit mehr Ahnung haben als viele Klimabewegte und auch der eine oder andere
von den Grünen. Wenn man denen die Transformationserfordernis ein bisschen
klar macht, wissen die, was zu tun ist. Der CDU nur dunkel bis braun
zuzuschreiben, untergräbt den Rückhalt derjenigen, die ernsthaft etwas
bewegen wollen.
Erwägen noch mehr KlimaUnions-Mitglieder den Austritt?
Viele sind mit der Entwicklung auch nicht glücklich, sind aber auch schon
lange in der Partei sozialisiert. Wir haben oft darüber diskutiert, wie mit
inhaltlicher Kritik an der Parteispitze umzugehen ist, und Thomas Heilmann
als Vorsitzender hat dann die Strategie „Ziemlich beste Freunde“
ausgegeben: Kritik ja, aber auf keinen Fall öffentlich. Ich sehe das
anders. Wenn man sich annähern will, muss man das vorsichtig machen, da bin
ich vollständig dabei. Wenn aber rote Linien überschritten werden, muss man
eine Haltung haben und die auch kommunizieren.
Sie belassen es jetzt nicht einfach dabei, einer Partei den Rücken zu
kehren.
Richtig, ich werde bei den Grünen eintreten. Ich bin da schon in Gesprächen
und freue mich, ab dem kommenden Jahr in einem neuen Team zu spielen – auch
wenn ich mir nicht gleich „Team Robert“ auf die Brust tätowieren lasse.
Aber wenn ich mir anschaue, was es auf Bundesebene an staatstragenden
Führungsfiguren gibt, steht Habeck ganz vorne auf der Liste. Wenn ich mir
seine Reden auf Twitter in letzter Zeit so ansehe, denke ich: Das ist das,
was ich von den Spitzenleuten aller Parteien in diesen Zeiten auch hören
möchte.
Glauben Sie, die Grünen freuen sich über Ihren Aufnahmeantrag?
Ich war ja früher schon Grünen-Mitglied, bin dann aber vor dem
Volksentscheid Fahrrad ausgetreten, weil ich parteineutral bleiben wollte.
Ich glaube, die Grünen in Berlin sind in der aktuellen Situation ganz
happy, mich wieder im offensiv kommunikativen Lager zu haben, was die
Verkehrspolitik angeht.
Regine Günther ist ja auch nicht mehr mit von der Partie – mit der konnten
Sie bekanntlich weniger gut.
Mit ihrer Performance waren viele nicht so ganz glücklich, würde ich sagen.
Eigentlich hätten nach fünf Jahren wir Verkehrsaktivisti, aber auch die
Autofahrer am Straßenrand stehen müssen und applaudieren müssen ob einer
nachhaltigen Verkehrspolitik, die Radwege so ausbaut, dass Autofahrer gerne
umsteigen und so Staus und Parkplatzsorgen für die verbleibenden
verringern. Meine Sorge war schon 2016, dass in den 2020er Jahren
Autowahlkämpfe wieder möglich werden.
Was wären denn Sollbruchstellen zwischen den Grünen und Ihnen?
Die Menschen erwarten von den Grünen, dass das Thema Klima auf Platz eins
der Agenda steht. Das hat erst jüngst wieder eine Umfrage ergeben, die ich
in Auftrag gegeben habe. Das tut es aber im Moment nicht, die Partei ist
stärker mit gesellschaftspolitischen, sozialen Themen unterwegs. Da könnte
ich mir vorstellen, dass es die eine oder andere Diskussion gibt. Ein
anderer Punkt: Als jemand, der aus der Verkehrswirtschaft kommt und die
Einnahme- und Erlösseite kennt, habe ich möglicherweise manchmal eine
andere Haltung in der Diskussion über kostenlosen ÖPNV oder das
49-Euro-Ticket.
Heißt?
Der Kostendeckungsgrad von 80 Prozent, den der ÖPNV in den letzten Jahren
mühsam erwirtschaftet hatte, ist durch das 49-Euro-Ticket viel zu stark
gesunken. Das heißt im Kern, dass die Verkehrswirtschaft gezwungen ist,
Leistungen einzuschränken, und das macht sie in der Regel auf dem platten
Land, wo Bus und Bahn wenig ausgelastet sind und viel Auto gefahren wird.
Und wo dann AfD gewählt wird, weil man ja auf dem Land abgehängt würde, um
den Großstädtern den ÖPNV noch schmackhafter zu machen. Ich werde
vermutlich auch nicht der große Gender-Aktivist werden, da mir die
Klimapolitik dringender erscheint. Ich bin seit 30 Jahren Klimaaktivist,
und die Diskussionen über Sternchen kommen immer wieder, aber der
eigentliche Punkt ist, dass wir Frauen präsent machen müssen. Ich sehe
lieber zu, Frauen aufs Podium zu holen, wenn ich eine Tagung oder ein Event
organisiere.
Warum muss jemand überhaupt in einer Partei aktiv sein, der gezeigt hat,
dass er auch ohne diesen Rückhalt Kampagnen machen und Themen setzen kann?
Der Aufwand für Volksentscheide ist beträchtlich. Ich trete lieber in
Parteien ein, um dort die Mandats- und Amtsträger zu unterstützen und zu
stärken: Das ist wichtiger, als die nächste Demo auf der Straße zu
organisieren, deren Thema oft nicht mal 100 Meter weiter in den
Bundestagsbüros von den Plakaten abgelesen werden kann. Und ich glaube,
dass es jetzt tatsächlich wichtig ist, den Grünen den Rücken zu stärken,
gerade weil sie so stark aus der fossilen Ecke angegriffen werden. Und weil
sie die einzige Partei sind, die die Klimadramatik sowie die Chancen und
Risiken der globalen Transformation hin zu einer sauberen Wirtschaft
verstanden hat und sich bemüht, dafür entschlossen Politik zu machen.
Werden Sie sich wieder stärker auf Landesebene engagieren?
Auf jeden Fall. Ich habe mich schließlich zwei Jahre lang ehrenamtlich für
den Fahrrad-Volksentscheid engagiert und das Mobilitätsgesetz
vorangetrieben. Dass vor allem die Berliner CDU-Fraktion das jetzt so
schreddert und Druck auf die Senatorin und den Staatssekretär ausübt, hätte
ich nicht erwartet. Ich hätte gedacht, die bauen vielleicht ein bisschen
langsamer weiter, aber eigentlich sind sie hart auf die Bremse gestiegen –
zu Lasten der Autofahrer, die mit ihren Stau- und Parkplatzsorgen weiter
alleine gelassen werden, statt vom Umstieg auf Rad, Bus und Bahn zu
profitieren.
Die Entwicklung an der Kantstraße nehmen Sie möglicherweise sogar
persönlich?
Die Kantstraße wird gehalten. Ich habe nicht umsonst in der Coronazeit
Demos jeden Montagmorgen organisiert. Was der CDU-Stadtrat da gemacht hat,
war eine geschmacklose populistische Nummer. Man kann 60 Sekunden im
Internet googeln und findet Feuerwehrautos, die auch mit 12 Meter Abstand
zur Hauswand den sechsten Stock erreichen. Da ist viel Mist erzählt worden.
Wenn der wahr sein sollte, müsste man wohl jede zweite Dachgeschosswohnung
in Berlin stilllegen. Aber das eigentliche Debakel ist, dass das Ding nicht
schon vor drei Jahren abgeräumt wurde – wie am Kottbusser Damm, der im
Prinzip die gleichen Maße hat.
Was ist eigentlich mit den diversen Bier-Wetten, die Sie auf Twitter
abgeschlossen haben?
Die gebe ich alle vorzeitig verloren. Ich glaube, es waren acht Kisten
Bier, also ungefähr 240 Flaschen, Jever oder was die anderen eben so mögen.
Antje Kapek von den Grünen schulde ich eine Kiste Wein. Mit ihr habe ich
schon vereinbart, dass wir ein kleines Neujahr-Strategie-Barcamp machen, da
können wir anschließend zur Belohnung ein paar Flaschen aufmachen.
Angenommen, die Grünen kämen in den nächsten Senat, [3][gleichzeitig hätte
Ihr Volksentscheid Baum Erfolg] …
Sie meinen, ob ich dann politische Verantwortung übernehme und eine Million
Bäume pflanze? Das wohl nicht, aber wenn man mir ein Angebot machen würde –
nach dem Motto: Der hat das eingebrockt, der muss es auch auslöffeln –,
dann stünde ich zur Verfügung. Ich reiße mich nicht darum, aber wenn man
mich fragt, würde ich nicht Nein sagen können.
27 Dec 2024
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## AUTOREN
Claudius Prößer
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