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# taz.de -- Drama „Endspiel“ als Oper in Berlin: Beckett im Riesenrad
> Wo etwas feststeckt, braucht es Zauberer. An der Staatsoper Berlin
> inszeniert Johannes Erath die Beckett-Oper „Fin de partie“ von György
> Kurtág.
Bild: In „Fin de Partie“ wandelt sich die Bühne wundersam in ein liegendes…
Es gibt wohl keinen anderen Theaterstoff, der sich weniger als Opernvorlage
eignet als Samuel Becketts „Endspiel“: Eine Handlung gibt es nicht. Von den
vier Personen auf der Bühne sind drei unfähig, sich von der Stelle zu
bewegen. Von zweien sieht man nur den Kopf, da sie in Mülltonnen wohnen.
Das sind Nell und Nagg, die Eltern von Hamm, der im Rollstuhl
dahinvegetiert und seinen Diener Clov drangsaliert. Seine hilflosen Eltern
ignoriert Hamm nach Kräften.
Genauso wenig wie [1][Beckett] mit „Endspiel“ ein Drama im herkömmlichen
Sinne schrieb, hat György Kurtág eine herkömmliche Oper daraus gemacht.
Sein „Fin de partie“ – Kurtágs einzige Oper, bei deren Uraufführung 2018
der Komponist bereits 92 war – ist eigenwilliges zeitgenössisches
Musiktheater, das sich allein der Texttreue verpflichtet sieht. Das von
Kurtág selbst erstellte Libretto enthält ausschließlich Beckettschen Text,
allerdings beinahe um die Hälfte gekürzt.
## Die Gesangslinien folgen der Sprache
Das ist auch nötig, denn immerhin findet auf anderer Ebene eine Art
Verdoppelung des Textes statt, und die menschliche Aufmerksamkeit hat
Grenzen. Für seine Bühnenmusik folgt der Kurtág bei der Gestaltung der
Gesangslinien sehr eng den französischsprachigen Dialogen und fügt der
gesanglichen Ebene, die eindeutig führend ist, instrumental gleichsam eine
weitere Sprachebene hinzu.
Wie ein großes Ensemble aus vielen Solisten lässt er das Orchester den
gesungenen Text auf die Singenden zurückwerfen – mal karikierend, mal
imitierend, hier spöttisch kommentierend, dort empathisch antwortend. Die
tiefen Bläser spielen eine wichtige Rolle, ihre zahlreichen Einwürfe
verleihen der musikalischen Textur eine latent komische Anmutung, ein
eigenartig beredtes Zirkus-Flair.
Was sich dazu auf der Bühne der Staatsoper – im Bühnenbild von Kaspar
Glarner – abspielt, ist visuell absolut hinreißend. Während das äußere
Setting von Becketts Nicht-Drama prinzipiell maximale Trostlosigkeit
vorsieht, wird diese Tristesse in der Oper ins Phantastische transportiert,
wird Unsichtbares sichtbar gemacht: Wir sehen, was die statischen Figuren
im Inneren bewegt, als äußere Aktion.
Dazu ist es nötig, dass sich die Bühne magisch verwandelt. Zu Beginn wird
in einem sorgsam präparierten Guckkasten das „eigentliche“ Bühnenbild
vorgeführt, als in freudlos bräunlichen Farben gehaltene Stube, in der die
Figuren gefangen sind: Hamm bewegungslos im Rollstuhl, Clov mit einer
Leiter, auf die zu klettern ihm auch nicht hilft, seinem Schicksal zu
entkommen, und Nagg und Nell als zwei Köpfe, die aus absurd kleinen
Mülleimern lugen.
## Geisterhafte Illusionen
Diese scheinbare Ausweglosigkeit wird ganz allmählich transformiert. Der
rechteckige Kasten wird zu einem großen runden Guckloch, um das herum das
Setting zunächst als geisterhafte Projektion gedoppelt erscheint und dann
abgelöst wird von freudigeren Erscheinungen, vor allem Erinnerungen von
Nell und Nagg. Federn und Glitter fliegen durch die Luft, die Spielebenen
verschmelzen ineinander, ein unwirklicher Hauch von Zärtlichkeit, wie im
Illusionstheater der „Laterna Magica“, legt sich über die harschen Dialoge.
Wenn schließlich nur noch Hamm und Clov auf der Bühne sind, weicht diese
weiche Illusion einer anderen, sehr manifesten. Auf wundersame Weise
scheint sich – man glaubt es kaum –, während das Geschehen lief, die Bühne
in ein gigantisches, liegendes Riesenrad verwandelt zu haben, dessen zwölf
Gondeln sicher nicht zufällig an die Ziffern einer Uhr erinnern. Hamm und
Clov, in Glitzeranzügen, erscheinen neben und in diesem übermächtigen
Bauwerk als virtuelle Varieté-Darsteller ihrer selbst, während Hamm in
seiner „wahren“ Gestalt als bewegungslose Puppe an der Seite liegt.
Die vier SängerInnen Laurent Naouri, Bo Skovhus, Dalia Schaechter und
Stephan Rügamer machen ihre Sache großartig, auch was die
Textverständlichkeit betrifft. Wäre mensch des Französischen hinlänglich
mächtig, wäre es häufig glatt möglich, auf die Übertitel zu verzichten –
was natürlich auch der sprachsensiblen Gestaltung der Musik zu verdanken
ist. Die MusikerInnen der Staatskapelle nehmen ihre komplexe diskursive
Aufgabe ebenso hörbar mit Leichtigkeit ernst.
Sich im Fall von „Fin de partie“ vor dem Opernbesuch mit einer gewissen
Frustrationstoleranz zu wappnen, schadet sicher nicht. Aber sowieso lässt
sich das Theater – und die Oper – des Absurden unbedingt auch als
Entlastung von der Aufgabe verstehen, immer alles verstehen zu müssen.
14 Jan 2025
## LINKS
[1] /Schau-zu-Samuel-Becketts-Fernsehstuecken/!6049008
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Oper
Staatsoper Berlin
Theater
Staatstheater Braunschweig
Theater
Orchester
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