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# taz.de -- Vorwürfe von Ex-Turnerin: Kein Brot und Wasser
> Kim Janas galt als Goldhoffnung des deutschen Turnens. Jetzt spricht sie,
> wie einige ihrer Ex-Kolleginnen auch, vom Missbrauch im System.
Bild: Kim Janas turnt im Jahr 2016 am Stufenbarren
BERLIN taz | Über acht Jahre ist es schon her, dass Kim Janas im Alter von
nur 16 Jahren das aufgeben musste, worauf mehr oder minder ihr ganzes Leben
ausgerichtet war: das Turnen. Schon ihre Mutter war Leistungsturnerin. Der
dritte Kreuzbandriss beendete dann aber eine Karriere, die sich nicht
wenige ihrer Trainerinnen und Trainer schon sehr golden ausgemalt hatten.
Als Jahrhunderttalent wurde sie gepriesen. Die höchsten olympischen Erfolge
wurden ihr zugetraut. 13 von möglichen 15 deutschen Meistertiteln zwischen
2011 und 2013 gewann sie im Schüleralter. Als einen „herben Verlust“ für
das deutsche Turnen bezeichnete die Bundestrainerin Ulla Koch damals das so
vorzeitige Aus.
Welch herben Verluste Kim Janas in all den Jahren als Turnerin erleiden
musste, war damals kein Thema. Die Kultur des Missbrauchs war so eine
Selbstverständlichkeit, dass er als solcher selbst von den Betroffenen
nicht erkannt wurde. Erst in den letzten Jahren beginnt sich das ein wenig
zu ändern. Seit Jahresbeginn herrscht großes Entsetzen über die jahrelangen
Missstände am Olympiastützpunkt in Stuttgart, seitdem die ehemaligen
Turnerinnen [1][Tabea Alt] und Michelle Timm von schlimmsten physischem und
psychischem Missbrauch berichteten.
Auch Janas hat nun erstmals via Instagram von einem brutalen System der
Erniedrigungen und Entbehrungen berichtet. Sie schreibt, sie sei heute noch
nicht ganz geheilt von dem, was sie erlebt habe. Der Weg an die
Öffentlichkeit ist ihr nicht leichtgefallen. „Darf ich das überhaupt, 8
Jahre nachdem ich aufgehört habe?“, fragt sie zu Beginn. Eine Überlegung,
die erahnen lässt, wie viele Erzählungen noch im Verborgenen liegen.
Die gebürtige Hallenserin kam im Alter von 14 Jahren nach Stuttgart
„aufgrund der guten Trainingsbedingungen“, wie die sie unterstützende
Talentstiftung Henning Tögel damals schrieb. Nun, die Bedingungen sahen,
wie Janas berichtet, so aus: tägliches Wiegen und Taschenkontrollen auf
Süßigkeiten. Sie sei „als Dicke dargestellt“ worden, weil sie 9 Prozent
Körperfett aufgewiesen habe. Ihr seien Lebensmittel wie Brot, Aufstriche,
Wurst und sogar Wasser verboten worden. Es sei normal gewesen, trotz
leichter und schwerer Erkältungen, trotz Einnahme von Antibiotika zu
trainieren. Auch Muskelfaserrisse, Kapselrisse oder Ödeme galten nicht als
Hinderungsgründe.
## „Ach, hab dich nicht so“
Bereits vor ihrem Wechsel nach Stuttgart, als sie 2013 ihren ersten
Kreuzbandriss erlitt, erzählt Janas, habe ihre Heimtrainerin unmittelbar
danach gesagt: „Ach, jetzt hab dich nicht so.“
Nach außen wussten Verantwortliche sich derweil rücksichts- und
verständnisvoll zu präsentieren. [2][Bundestrainerin Koch hob gegenüber der
Süddeutschen Zeitung im April 2015 hervor], Janas habe „das Talent, sich
selber zu schonen“. Sie verfüge über die Gabe, auf ihren Körper zu hören,
Belastungssymptome zu orten, „und dann hält sie sich zurück“.
Nach ihrer Turnkarriere und ihrem Schulabschluss studierte Kim Janas
Soziale Arbeit und nahm Gesangsunterricht. [3][Im Jahr 2022 machte sie bei
der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ mit.]
Über die nun späten Einblicke in ihre Turnkarriere schreibt Janas von einem
Zwiespalt, „mutig zu sein“, und dem Gefühl, „jetzt auch auf den Zug mit
aufzuspringen“, weil genau das die Gesellschaft den Betroffenen
signalisiere. Es schwingt also die Sorge mit, sich mit ihrer Offenheit
angreifbar zu machen. Auch das lässt erahnen, wie weit aus Sicht von Kim
Janas noch der Weg zu Veränderungen im Leistungsturnen ist.
9 Jan 2025
## LINKS
[1] /Missbrauch-im-Turnen/!6055696
[2] https://www.sueddeutsche.de/sport/turn-em-in-montpellier-fliegen-mit-den-gr…
[3] https://www.rtl.de/cms/dsds-2022-darum-musste-kandidatin-kim-janas-ihren-gr…
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Turnen
Missbrauch
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Hamburg
Missbrauch
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