| # taz.de -- Regisseur über Film „September 5“: „Die Grundfragen sind die… | |
| > Im Kinofilm „September 5“ geht es um das Attentat bei den Olympischen | |
| > Spielen 1972 in München. Regisseur Tim Fehlbaum beleuchtet dabei die | |
| > Rolle der Medien. | |
| Bild: Das Fernsehstudio wurde genau rekonstruiert: Marianne Gebhardt (Leonie Be… | |
| taz: Herr Fehlbaum, Ihr neuer Film „September 5“ thematisiert das Attentat | |
| palästinensischer Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München. | |
| Sie zeigen dabei nicht so sehr die schrecklichen Ereignisse selbst, sondern | |
| fokussieren einen Wendepunkt in der Mediengeschichte. Warum ausgerechnet | |
| dieser Tag? | |
| Tim Fehlbaum: Weil sich bei Olympia 72 ein entscheidender medialer Umbruch | |
| vollzog. Die Spiele waren als weltoffenes, friedliches Gegenbild zu 1936 | |
| geplant – mit aufwendigsten technischen Neuerungen in der TV-Übertragung. | |
| Als dann der Anschlag geschah, kippte der gigantische Produktionsapparat | |
| plötzlich von Sport- in Krisenberichterstattung. Das war weltweit live zu | |
| sehen, via Satellit, etwas völlig Neues. Gerade darin liegt die historische | |
| Bedeutung dieses Datums: Der Tag markiert einen Wendepunkt, an dem sich | |
| zeigte, wie sehr Mediengeschehen und Terrorakte miteinander verwoben sind. | |
| taz: Ihr Film beschäftigt sich mit medienethischen Fragen. Was stand für | |
| Sie in dieser Hinsicht im Vordergrund? | |
| Fehlbaum: Etwa die Überlegung, wie ein Sender reagiert, wenn er befürchten | |
| muss, dass vor laufender Kamera Menschen erschossen werden. Zeigt man das | |
| live? Was bedeutet das für die Angehörigen, die zuschauen könnten? Es ging | |
| um die Verantwortung der Berichterstattung und um die Frage, wie weit man | |
| gehen darf, um „die Wahrheit“ zu zeigen. Es ist ein Dilemma, das damals | |
| erstmals so akut und global sichtbar wurde. | |
| taz: Sie sind Jahrgang 1982 und haben die Ereignisse nicht selbst | |
| miterlebt. Wie sind Sie zum Thema gekommen? | |
| Fehlbaum: Als Teenager habe ich „One Day in September“ von [1][Kevin | |
| Macdonald] gesehen, eine Dokumentation über das Attentat. Das hat mich | |
| schon damals beeindruckt und nie ganz losgelassen. Später habe ich in | |
| München Film studiert, war immer wieder auf dem Olympiagelände. Der Ort ist | |
| nach wie vor präsent, und die Tragödie hat sich tief ins kollektive | |
| Gedächtnis eingeschrieben. | |
| taz: Der Film ist ausschließlich aus der Perspektive des | |
| berichterstattenden TV-Teams erzählt. Andere Perspektiven – etwa auch die | |
| der israelischen Opfer – zeigt der Film nicht. Warum diese strenge | |
| Fokussierung? | |
| Fehlbaum: Unser Film reflektiert die Rolle der Medien an diesem Tag, und | |
| entsprechend wollten wir den Film ganz streng aus der Sicht der | |
| Fernsehberichterstatter erzählen. Gerade aus heutiger Sicht, wo wir von | |
| einer sich dermaßen rapide entwickelnden Medienlandschaft umgeben sind, | |
| schien uns diese Thematik relevant. | |
| Zudem habe ich, als jemand, der selber in den Medien tätig ist, zu diesem | |
| Aspekt einen direkten Bezug. Zum anderen fasziniert mich als Filmemacher | |
| gerade diese Einschränkung: Wir bleiben in einem Studio, die Leute dort | |
| sind eigentlich Sportreporter, plötzlich müssen sie über ein tödliches | |
| Geiseldrama berichten – und das live. Da treffen journalistische | |
| Unerfahrenheit in Krisensituationen und ein technologisches Novum | |
| aufeinander. Diese begrenzte Perspektive erlaubt es, den medialen | |
| Ausnahmezustand aus nächster Nähe zu erzählen, ohne ständig zwischen | |
| Schauplätzen zu springen. | |
| taz: Ihr Film erinnert an ein Kammerspiel mit Kameras. Welche ästhetischen | |
| Entscheidungen haben Sie getroffen, um die Epoche authentisch einzufangen? | |
| Fehlbaum: Wir haben akribisch recherchiert und versucht, die damalige | |
| TV-Technik originalgetreu abzubilden. Für uns war wichtig, dass die | |
| Darsteller physisch mit den alten Monitoren, Mischpulten und Kameras | |
| interagieren, damit es echt wirkt. Unser Ausstattungsteam hat die | |
| Original-Baupläne des ABC-Studios ausgewertet. Wir wollten ein Gefühl von | |
| Echtheit erzeugen, um den Zuschauer in diese Epoche zurückzuversetzen. | |
| Da es in unserem Film auch darum geht, was für einen Einfluss | |
| technologische Entwicklungen auf unseren Konsum von Nachrichten haben, war | |
| uns eine akkurate und eindringliche Darstellung des technologischen | |
| Apparates besonders wichtig. | |
| taz: Es gab bereits mehrere Filme und Dokumentationen zu München 72. Warum | |
| jetzt ein weiteres Werk darüber? | |
| Fehlbaum: Der Tag ist historisch so bedeutend, dass man ihn nicht oft genug | |
| aufarbeiten kann. Aber wir erzählen eine neue, spezifische Geschichte: | |
| Nicht aus der politischen oder polizeilichen Perspektive, sondern aus dem | |
| Blickwinkel von Menschen, die eigentlich nur Sport übertragen sollten und | |
| urplötzlich in eine Krisensituation gerieten. Das ist ein Ansatz, der sich | |
| klar von [2][Spielberg („München“)] oder anderen Verfilmungen | |
| unterscheidet. | |
| taz: Haben Sie im Zuge Ihrer Recherchen auch direkt mit Zeugen gesprochen? | |
| Fehlbaum: Ja, das war entscheidend. Ein Gespräch mit Geoffrey Mason, einem | |
| damaligen ABC-Mitarbeiter, hat uns darin bestärkt, den Film konsequent aus | |
| dieser Medienperspektive zu erzählen. Von ihm und weiteren Zeitzeugen | |
| erfuhren wir Details, die selbst intensive Archivarbeit nicht liefern | |
| konnte. Wir hatten außerdem Zugang zu Originalbändern von ABC, was sehr | |
| aufschlussreich war. | |
| taz: In Ihrem Film taucht die Perspektive der Opfer und ihrer Angehörigen | |
| nur indirekt auf. Besteht durch Ihre Perspektivwahl nicht die Gefahr, das | |
| Opferleid auszublenden? | |
| Fehlbaum: Wir haben das im Team diskutiert. Uns war aber klar, dass wir für | |
| diesen Film eine eng gefasste Perspektive wählen: ein Tag, ein Studio, ein | |
| Fernsehteam. Natürlich blendet das einiges aus. Doch genau darin liegt auch | |
| unsere Aussage. Wir zeigen nicht den ganzen Kosmos des Attentats, sondern | |
| wie Medienmenschen in einem hermetischen Raum versuchen, mit einer | |
| unfassbaren Situation umzugehen. | |
| taz: Ihr Film feierte bei Festivals Premiere, es gab zahlreiche | |
| Vorab-Screenings vor Publikum. Haben Sie bereits Reaktionen aus Israel | |
| erhalten? | |
| Fehlbaum: Bislang ist mir dazu noch nichts Konkretes zugetragen worden. | |
| Aber klar, wir wissen, dass dieser Tag für Israel und besonders für die | |
| Hinterbliebenen der Opfer ein extrem schmerzhafter Punkt ist. Wir hoffen, | |
| dass man erkennt, dass wir hier nicht die Opferperspektive kleinreden, | |
| sondern eine spezifische journalistische Geschichte erzählen. | |
| taz: Der Film gilt als Anwärter für die ganz großen Filmpreise, bei denen | |
| stets auch ein politischer Faktor mitschwingt. Gibt es politische | |
| Diskussionen um die Darstellung des Terrors oder um eine „fehlende | |
| palästinensische Perspektive“? | |
| Fehlbaum: Einige fragen sicher, warum wir nur diese eine Perspektive | |
| beleuchten. Mir schien es unmöglich, innerhalb unserer Erzählperspektive | |
| den politischen Hintergründen in all ihrer Komplexität gerecht zu werden. | |
| Aber unser Ziel war es, einen historischen Tag aus dem Sendezentrum heraus | |
| nachzuvollziehen. Wir wollen verstehen, wie Journalisten damals agiert | |
| haben. Das heißt nicht, dass andere Sichtweisen unerheblich wären, aber sie | |
| sind nicht Teil dieses Projekts. | |
| taz: Hat die Eskalation im Nahostkonflikt nach dem 7. Oktober Ihre Sicht | |
| auf das Thema verändert? | |
| Fehlbaum: Als der Konflikt in dieser ungeahnten Weise aufflammte, war unser | |
| Film schon fertig. Aktuelle Ereignisse werden die Rezeption möglicherweise | |
| beeinflussen, aber unser Werk soll vor allem dazu anregen, über mediale | |
| Vermittlung nachzudenken. Wie konsumieren wir Nachrichten heute? Welche | |
| Verantwortung tragen Medien? Diese Fragen sind damals wie heute zentral. | |
| taz: Könnten wir aus der damaligen Medienberichterstattung etwas für den | |
| Umgang mit heutigen Krisen lernen? | |
| Fehlbaum: Die Grundfragen sind dieselben geblieben: Was zeigt man? Was | |
| zensiert man? Wie überprüft man Informationen? Die Technologie hat sich | |
| stark verändert, aber die moralischen Dilemmata ähneln sich. Es ist | |
| vielleicht tröstlich zu sehen, dass es selbst in einer so frühen Phase der | |
| globalen Live-Berichterstattung schon Bewusstsein für diese Probleme gab. | |
| Konkrete Patentrezepte gibt es nicht, aber es sensibilisiert uns, bewusster | |
| mit Bildern und Informationen umzugehen. | |
| 8 Jan 2025 | |
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| Chris Schinke | |
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