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# taz.de -- Kongress der Hacker: Geregeltes Chaos
> Der Chaos Communication Congress in Hamburg vereint Technik und
> Aktivismus. Dieses Jahr ging es vor allem um eins: Solidarität.
Bild: 14.000 Besucher*innen kamen zum CCC Kongreß in Hamburg
Kurz bevor der Jahresrückblick des Chaos Computer Club (CCC) so richtig
losgehen kann, betreten vier Vermummte die Bühne, stellen sich vor die
Speaker*innen und halten ihr Transparent vor sich. „Betroffenen
glauben!“, steht darauf. „CCC, zehntausend Schützer“, rufen sie und werf…
Flugblätter in die vorderen Reihen im Saal 1 im Hamburger Kongresszentrum
CCH.
Einige im Publikum jubeln, noch mehr der etwa 3.000 Menschen aber bleiben
still. Es ist Samstagnachmittag, der 28. Dezember 2024, und der
Jahresrückblick, eine der beliebtesten Veranstaltungen beim jährlichen
Hackerkongress in Hamburg, wird durch einen Protest gestört. Einer der
Freiwilligen vom CCC, der gerade das Bühnenprogramm betreut, tritt auf die
Bühne, gibt den Aktivistis nur eine Minute Redezeit.
Der Kongress lebt vor allem davon, dass Freiwillige unentgeltlich
stundenweise Aufgaben übernehmen. Der Mann mit dem Mikrofon ist
offensichtlich nicht vorbereitet auf so eine Störung. Und die
Aktivist*innen nicht darauf, dass sie wirklich reden dürfen. „Der CCC
schützt offen Täter und glaubt betroffenen Personen nicht. Deswegen sind
wir hier. Ihr habt es alle gesehen und ihr könnt es euch alles auf
Instagram durchlesen.“ Mehr kommt nicht.
Was sie wollen, wird erst auf dem Social-Media-Profil von „Keine Show für
Täter Hamburg“ klar, auf das die Gruppe hinweist. Sie werfen dem CCC vor,
einen Mann nicht langfristig vom Kongress ausgeschlossen zu haben, gegen
den eine Frau Vergewaltigungsvorwürfe erhoben hat. Konkreter werden sie
nicht, weder auf Instagram, noch auf der Bühne.
Der CCC schreibt der taz später auf Anfrage, dass er „keine öffentliche
Positionierung zu einzelnen Fällen abgeben“ könne, weil die Schiedsstelle
mit den vorgelegten Fällen vertraulich umgehe. Diese Stelle ist es, die
Betroffene kontaktieren können, wenn sie Opfer von Gewalt geworden sind.
Auch gegen sie richtet sich der Protest. Auf der Bühne werden die
Aktivist*innen mehrfach aufgefordert zu gehen, immerhin sei das
Programm kuratiert, den Speaker*innen laufe die Zeit davon. Der Kongress
erlebt, was es bedeutet, wenn sich Menschen an das Motto der Veranstaltung
halten: „Illegal Instruction“, also Regeln brechen. Die Reaktion ist nicht
besonders souverän.
## Schwerpunkt Grenzüberschreitung
Der Kongress vom CCC ist ein „sehr stranger Ort“, stellt eine Philosophin
mit dem Künstlernamen Elenos fest. Die Philosophin mit Schwerpunkt auf
Grenzüberschreitungen gibt am Sonntagmittag einen Talk darüber, wie man die
eigene Community vor ideologischen Angriffen schützen kann. Für sie
bedeutet das: Erst mal auch klären, wie die Welt oder eben die eigene
Community funktioniert. Beim Kongress vom CCC gehe es eigentlich um Chaos,
„aber es gibt sehr viele Regeln“.
Der Verein hat sich 1981 gegründet, trägt das Chaos im Namen, organisiert
aber 2024 zum 38. Mal ganz unchaotisch seinen jährlichen Kongress. Dieses
Mal unter dem Motto „Illegal Instructions“. Hier geht es um Grenzbrüche.
Ein Ereignis oder eine Handlung seien dann illegal, wenn sie sich über die
Ordnung hinwegsetzen, so Elenos. Das ist der Grundton vom Talk. Und, dass
diese Illegalität gut ist – wenn sie sich gegen faschistische Regeln
richtet.
„Illegal Instructions“, für Gabriela Bogk, Informatikerin mit
jahrzehntelanger Erfahrung in der Sicherheit, hat das eine doppelte
Bedeutung, wie sie in der Eröffnungsrede der Veranstaltung mit Aline
Blankertz erklärte. Sie erzählt davon, wie man einen Computer dazu bringt,
„Dinge zu tun, für die er nie gedacht gewesen war“, ihm also Aufträge zu
geben, die eigentlich so nicht vorgesehen waren. Das ist der Moment, in dem
du die Kontrolle übernimmst.“
Aber es gebe noch einen weiteren Aspekt. „Denn wir leben nicht in guten
Zeiten, sondern wir leben in schwierigen. Der Faschismus kommt. Und wir
müssen uns darauf vorbereiten.“ Das bedeutet für sie auch, dass manchmal
„direktere Maßnahmen“ ergriffen werden müssten, als „Schilder hochhalten
und protestieren“. Es ginge darum, darüber zu reden, wie sie ergriffen
werden können. „Und wir wollen euch das Werkzeug dafür geben. Dafür sind
wir hier.“
Das düstere Bild vom kommenden Faschismus zeichnete nicht nur Bogk, sondern
auch andere, die Talks oder Workshops gaben oder Diskussionen
organisierten. Die Angst vor dem Erstarken rechter Kräfte in ganz Europa
prägte den Kongress. Aber auch der Wille, sich dem entgegenzustellen.
Der Kongress des CCC zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur Vorträge
gibt, sondern dass sich Menschen begegnen, dass sich Gruppen aus ganz
Deutschland organisieren, dass sie zusammen basteln und löten, dass sie
gemeinsam programmieren, reden, dass Aktivist*innen ohne große digitale
Kenntnisse auf Menschen treffen, die mit ihrem technischen Know-how helfen
wollen.
## Diskriminierung kritisieren
Hier zeigen NGOs, wie sie mit Satellitenbildern schiffbrüchige Flüchtende
retten, diskutieren trans Personen, über selbst organisierte
Hormontherapien und digitale Selbstverteidigung. „Wir können uns nicht
darauf verlassen, dass zukünftige Regierungen uns beschützen werden“, sagt
Luce deLire, Philosophin mit Schwerpunkt Trouble Making und Geschlecht,
i[1][m Talk über das Selbstbestimmungsgesetz], das viele kritisieren, weil
es weiterhin diskriminiert. Also muss man sich selbst schützen,
zusammenfinden. Das Publikum jubelt. Das ganze Wochenende über finden Talks
von und für diese Community statt. Und wie bei vielen anderen
Veranstaltungen etwa zur Bezahlkarte und den Zuständen in
Geflüchtetenunterkünften geht es darum, sich gegenseitig zu stärken.
Kurz vor der Bundestagswahl ist das eines der Kernthemen des Kongresses.
Die Gemeinschaft fürchtet in Zukunft Einschränkungen der Zivilgesellschaft
und der Grundrechte, sieht sich aber auch als eine der Speerspitzen gegen
Rechtsextremismus und Menschenhass. Auf einer kleinen Bühne, knapp
außerhalb trubeliger Tische, an denen Kontakte geknüpft und gemeinsam
Bildschirme angestarrt werden, sprechen drei „Sicherheits-Enthusiastinnen“
mit dem Publikum darüber, wie Cryptopartys so gestaltet werden, dass alle
mitkommen.
Bei diesen Veranstaltungen erklären IT-Expert*innen anderen Menschen, wie
sie sicher und selbstbestimmt digital kommunizieren können. Besonders
Aktivist*innen bekommen solche Workshopabende, aber auch queere
Personen, manchmal Journalist*innen. Das Problem, das viele sehen, die
Wissen weitergeben wollen: Sie überfordern. Dafür braucht es eine Lösung.
Denn, so eine der Speakerinnen: „Sicherheit ist ein Community-Thema.“
Digitale Selbstbestimmung müsse „für alle funktionieren“.
Viele auf dem Kongress sehen, dass sie nicht alleine kämpfen müssen und
auch nicht können. Sie suchen Wege, solidarisch für andere einzustehen.
Eine davon ist Lilith Wittmann. 2021 wurde sie deutschlandweit auch
außerhalb der Szene bekannt, [2][weil sie bei einer Wahlkampf-App der CDU
enorme Schwachstellen in der Datensicherheit gefunden hat – und dafür dann
verklagt wurde]. Am Sonntagabend stehen die Menschen schon lange vor ihrem
Vortrag in der Schlange, um in den großen Saal zu kommen.
## Hacken mit Spaßfaktor
Wittmann wird einen Vortrag darüber halten, was sie die letzten Monate so
untersucht hat: Wie Menschen im Gefängnis verwaltet und in ihrer
Kommunikationsmittelwahl eingeschränkt werden. [3][„Knäste hacken“, heißt
der Talk]. Im Minutentakt jubelt das Publikum. Am Ende stellt Wittmann
fest: „Ich kann nur sagen, dass sich Knäste auch häufig nicht an geltendes
Recht halten, wie wir gerade gesehen haben. Warum sollten wir das also tun?
Deswegen: Bitte, hackt Knäste. Das hier war eine Anleitung.“
Wittmann gehört zu denen, die das Publikum – nicht nur dieses Jahr –
besonders liebt, weil sie verkörpern, was die Gemeinschaft sehen will: Spaß
beim Hacken, Witz, Charme und einen sozialen Kompass. Und weil sie immer
weitermacht. Genauso wie die Stars des letzten Jahres, die für einen
Nachklapp gekommen sind. Im vergangenen Jahr, beim 37C3, haben drei Hacker
aus Polen, Michał Kowalczyk, Jakub Stepniewicz und q3k, gezeigt, wie ein
Zughersteller eine selbst auslösende Bremse ins polnische Zugsystem
geschummelt und damit abgezockt hat.
[4][Dieses Jahr erzählen sie von Slapp-Klagen, horrenden Geldforderungen
und unsinnigen Gesprächen mit Politik, Industrie und Verkehrsbetrieben].
Und trotz all dem emotionalen Stress, den sie hatten und auf den sie nicht
vorbereitet gewesen seien, sagen sie am Ende: Sie wünschten, sie hätten
sich noch früher an die Öffentlichkeit gewandt. Das alles hat sich gelohnt.
Ob sich der Auftritt von „Keine Show für Täter Hamburg“ für die Betroffe…
sexualisierter Gewalt lohnt? Das Publikum wird ungeduldig. Einige
Männerstimmen werden laut und fordern, dass die Aktivist*innen die
Bühne verlassen. „Wir sind Betroffene von euch“, sagt einer. Auf der Bühne
wird tatsächlich von einer überforderten Person eine Umfrage ins Publikum
gegeben: Wer will die Aktivist*innen anhören? Wer will, dass sie gehen?
Das Ergebnis spricht nicht für die Vermummten. Dann endlich, von ganz
links, ein Zeichen der Vernunft. Einer schreit: „Gerechtigkeit heißt nicht
Demokratie!“ Als die Aktivist*innen den Raum dann verlassen und sich
auf Rolltreppen Richtung Ausgang machen, wird die Sache nicht mehr groß
kommentiert. Der Jahresrückblick beginnt. Er ist düster.
Berichtigung: In einer früheren Version dieses Textes wurde Gabriela Bogk,
der falsche Vorname zugeschrieben. Wir bitten, diesen Fehler zu
entschuldigen.
3 Jan 2025
## LINKS
[1] https://media.ccc.de/v/38c3-die-geschlechter-denen-die-sie-hacken-selbstbes…
[2] /Lilith-Wittmann-ueber-Wahlkampf-Apps/!5802119
[3] https://media.ccc.de/v/38c3-knste-hacken
[4] https://media.ccc.de/v/38c3-we-ve-not-been-trained-for-this-life-after-the-…
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
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