Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „We listen and we don't judge“: Viraler Beichtstuhl
> Beim Social Media Trend „We listen and we don't judge“ hört man sich
> Schuldbekenntnisse an, ohne zu urteilen. Aber geht es danach jemandem
> besser?
Bild: Die Beichte, Italien, Darstellung aus dem Jahr 1872
Ein Paar sitzt vor der Kamera. „Weißt du noch, als wir uns erst vier Tage
kannten und du mir beim Umzug geholfen hast?“, fragt sie. „Ja, und?“,
antwortet der Partner. „Die ganzen anderen Kerle, die da waren und geholfen
haben, die habe ich damals auch gedatet“.
Es ist ein Spiel mit einfachen Regeln. Man macht sich gegenseitig peinliche
oder überraschende Geständnisse vor laufender Kamera. Wer urteilt oder
kritisiert, verliert. Nach jeder Beichte wiederholen die
Teilnehmer*innen mantraartig: „Wir hören zu, wir urteilen nicht“. Dann
ist der andere an der Reihe.
Der Trend „We listen and we don’t judge“ soll anderen Menschen Raum geben,
ihre Gedanken und Gefühle ohne [1][Vorurteile oder Bewertungen] zu teilen.
Der Fokus liegt auf aktivem Zuhören und dem Verständnis für die
Perspektiven der anderen, ohne sofort eine Meinung zu äußern, zu
kritisieren oder gar auszurasten.
Es geht darum, sich auf den anderen einzulassen. Dabei kommen allerlei
skurrile Macken und Geständnisse ans Licht: Die Frau, die angeblich früher
zur Arbeit geht, aber einfach nur schnell vom Partner weg will. Der Vater,
der Chips und Süßkram im Auto isst, weil er nicht mit den Kindern zuhause
teilen will.
Zwischen gesunder Übung und Social-Media-Spektakel
Für den Alltag ist das eine super Sache. Aber Social-Media-Trends werden
selten erfolgreich, weil sie so gesund sind, es braucht schon etwas mehr.
Immerhin ist es jedermanns Lieblingsbeschäftigung im Internet, andere
Menschen zu bewerten und zu verurteilen. Und wenn es schon die Menschen im
Video nicht tun, dann zumindest die Kommentatoren, damit [2][der
Algorithmus] versteht: Dieses Video hat Potenzial, viral zu gehen.
So wird die Übung aus der gewaltfreien Kommunikation zum Beicht-Hype: je
mieser und schockierender die Enthüllung, desto besser. Und bei manchen der
Videos heißt es dann nicht mehr, „Wir hören zu und urteilen nicht“, sonde…
„wir hören zu und trennen uns“. Oder ist doch nur alles fake? Kann sein,
wie immer bei schnelllebigen Social-Media-Trends weiß man es nie genau.
Guter Trick für ein frohes Fest
Die Beliebtheit des Trends ist schon etwas fragwürdig, aber die Idee, mehr
zuzuhören und weniger zu urteilen, ist gut. Besonders zur Weihnachtszeit.
[3][Wie würde das Familienessen verlaufen], wenn sich die Eltern zurück
hielten und nicht über die Partnerwahl oder das neue Tattoo schimpfen
würden?
Allein die Aussicht darauf, wie entspannt wir selbst durch die Feiertage
kämen, wenn wir die spitzen Bemerkungen der Tante oder die schräge
politische Meinung des Onkels einfach mal stehen lassen könnten, ohne
sofort in die Diskussion einzutreten, ist es wert, die Übung
auszuprobieren.
17 Dec 2024
## LINKS
[1] /Polarisierung-der-Gesellschaft/!5990121
[2] /Suche-nach-der-perfekten-Serie/!6017688
[3] /Alleinstehende-an-Weihnachten/!6051645
## AUTOREN
Giorgia Grimaldi
## TAGS
Social Media
Trend
Gesprächskultur
Weihnachten
Social-Auswahl
Neujahr
Memes
Kultur im Internet
Robert Habeck
## ARTIKEL ZUM THEMA
Frohes neues Jahr!: Neujahrsgrüße nach Deutschland
Wie blicken die Menschen in Europa auf uns? Was wünschen sie sich – was
wünschen sie uns? Die taz-Korrespondent*innen haben sich umgehört.
Jüdische Meme-Künstlerin „Ruth Lol“: Memes gegen Deutschland
Mit sarkastischen Memes auf Instagram über Erinnerungskultur und den
Rechtsruck spricht „Ruth Lol“ vielen Jüd*innen aus der Seele. Ein
Porträt.
Meme „Chill Guy“: Alles scheißegal
Der „Chill Guy“ ist ein Gegenentwurf zur überdrehten, ständig gestressten
Welt. Ein Hund, der uns alle daran erinnert: Bleibt cool, Leute.
Der Küchentisch als Meme: Die K-Frage
Mit seiner Bewerbungsrede hat Robert Habeck den Küchentisch zum politischen
Symbol erhoben. Dabei ist dieses Möbelstück eigentlich ganz bescheiden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.