# taz.de -- Zyklon verwüstet Komoreninsel Mayotte: Tausende Tote bei Tropenstu… | |
> Auf der zu Frankreich gehörenden Insel Mayotte hat ein Wirbelsturm | |
> heftige Verwüstungen angerichtet. Hart getroffen hat es informelle | |
> Siedlungen. | |
Bild: Desolate Aussichten nach dem Zyklon „Chido“. Hier eine Siedlung in de… | |
„Die Slums von Mayotte sind dem Erdboden gleichgemacht, ihre Bewohner in | |
Schlamm und Wellblech versunken. Drei Viertel der festen Häuser haben kein | |
Dach mehr. Es gibt kein Wasser, kein Essen, keinen Strom und es gibt | |
Plünderungen. Wir brauchen: Ausnahmezustand, Armee, Ärzte, massive Hilfe.“ | |
Der [1][Tweet von Estelle Youssouffa], Wahlkreisabgeordnete aus der Insel | |
Mayotte im französischen Parlament, am späten Sonntagnachmittag könnte | |
dramatischer kaum sein. Nachdem am Samstag der tropische Wirbelsturm | |
„Chido“ über die zu Frankreich gehörende Insel im Indischen Ozean | |
hinweggefegt ist, befürchten Beobachter mittlerweile Tausende Tote, eine | |
genaue Bestandsaufnahme war am Montag noch nicht möglich. | |
Schwere Wirbelstürme mit Tausenden Toten sind in dieser Region des | |
Indischen Ozeans vor der afrikanischen Küste zwar keine Seltenheit. Aber | |
diesmal zog das Auge des Sturms mit Windgeschwindigkeiten von 230 | |
Stundenkilometern und sintflutartigen Regenfällen direkt über die | |
französische Komoreninsel Mayotte hinweg und verwüstete alles auf seinem | |
Weg. | |
„Alles ist weg“, zitiert die Nachrichtenagentur AP eine Bewohnerin des | |
Hüttenviertels Kaweni in der Hauptstadt Mamoudzou. Ein Behördenmitarbeiter | |
sagte: „Alle Slums sind plattgemacht.“ Auch solide gebaute öffentliche | |
Gebäude – Schulen, Geschäfte, das Krankenhaus, das Gericht, die Präfektur … | |
seien „schwer beschädigt“. Die Zeitung Libération zitiert eine Anwohnerin, | |
es sehe aus, „als sei eine Atombombe eingeschlagen“. François-Xavier | |
Bieuville, der Präfekt von Mayotte, sprach am Montagnachmittag von | |
„vielleicht mehreren tausend Toten“. | |
Am schlimmsten hat es die illegalen Einwanderer getroffen, die in den Slums | |
von Mamoudzou und den kleineren Städten unter prekären Bedingungen leben. | |
Ihre Anwesenheit erklärt sich aus dem Sonderstatus von Mayotte. Eigentlich | |
ist es eine der vier großen Inseln des Archipels der Komoren, der im 19. | |
Jahrhundert französischer Kolonialbesitz wurden. | |
1975 wurden die Komoren unabhängig – aber ohne Mayotte, denn Frankreich | |
hatte zuvor vier separate Unabhängigkeitsreferenden durchgeführt und | |
Mayotte hatte als einziges der vier Gebiete Nein zur Unabhängigkeit gesagt. | |
Frankreich behielt die Insel, im Widerspruch zum völkerrechtlichen Prinzip, | |
dass Kolonialgebiete intakt in die Unabhängigkeit zu entlassen sind. Die | |
Komoren erheben seitdem Anspruch auf Mayotte – Frankreich gliederte das | |
Überseegebiet im Jahr 2011 offiziell als Departement ein. | |
Die Bevölkerung von Mayotte knüpft daran begreiflicherweise enorme | |
Erwartungen: gleiche Lebensstandards wie in Frankreich, gleiche | |
Sozialleistungen, Freizügigkeit. Die komplette Abhängigkeit führt aber wie | |
auch in anderen französischen Überseegebieten immer wieder zu Protesten: | |
Die Preise sind höher als in Frankreich, die lokalen Löhne viel niedriger, | |
aber aus Frankreich entsandte Staatsangestellte verdienen um ein Vielfaches | |
mehr – ein klassisches Kolonialphänomen. | |
## Komoren nehmen Staatsbürger nicht zurück | |
Im Vergleich zu den unabhängigen Komoren ist Mayotte aber wohlhabend, und | |
so landen auf der Insel jedes Jahr Tausende komorische Migranten sowie | |
afrikanische Flüchtlinge, die sich auf Mayotte niederlassen und denken, sie | |
seien nun in Frankreich. Von den offiziell rund 320.000 Bewohnern von | |
Mayotte sind nach amtlichen Angaben fast die Hälfte Migranten, dazu kommen | |
ungezählte unregistrierte Zuwanderer. Mayotte liegt von der nächsten | |
Komoreninsel Anjouan rund 70 Kilometer entfernt. Die Regierung der Komoren | |
lehnt die Rücknahme der eigenen Staatsbürger ab, da sie Mayotte als | |
komorisches Staatsgebiet betrachtet. | |
Attraktiv ist für die Migranten insbesondere die Aussicht, dass ihre auf | |
Mayotte geborenen Kinder das Anrecht auf die französische | |
Staatsbürgerschaft erhalten. Die Antwort der jeweiligen Regierungen in | |
Paris bestand in Versuchen, den Zustrom unattraktiv zu machen. So werden | |
die in Mayotte geborenen Kinder komorischer Eltern seit diesem Jahr nicht | |
mehr automatisch Franzosen, Aufenthaltstitel für Mayotte berechtigen nicht | |
zur Weiterreise nach Frankreich. Schätzungsweise über 15.000 Kinder von | |
Illegalen haben kein Recht auf Schulbesuch und leben von | |
Bandenkriminalität. Die meisten Migranten lassen sich in selbst gebauten | |
Slums nieder. | |
All das ist der alteingesessenen Bevölkerung ein Dorn im Auge. Bei | |
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2022 erhielt die Rechtsextremistin Marine | |
Le Pen auf Mayotte fast 60 Prozent der Stimmen. Ab 2023 wurden im Rahmen | |
der Operation „Wuambushu“ ganze Hüttenviertel dem Erdboden gleichgemacht. | |
Die vorerst letzte derartige Operation endete erst am 11. Dezember 2024, | |
drei Tage vor dem Wirbelsturm, mit der Zerstörung von 466 Wellblechhütten, | |
in denen 2.000 Menschen lebten. „Ein administrativer Erfolg, ein taktischer | |
Erfolg und ein Sicherheitsbeweis“ nannte das der Präfekt von Mayotte. 33 | |
Familien wurden umgesiedelt – „der Rest wird vermutlich woanders Hütten | |
bauen“, zitiert AFP eine Quelle in der Präfektur. | |
Die Opfer vergangener oder bevorstehender Räumungen sind nun auch am | |
schwersten vom Wirbelsturm betroffen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne | |
Grenzen äußerte sich am Montag „besonders besorgt um die Menschen, die in | |
den völlig zerstörten Barackensiedlungen leben; die Lebensbedingungen | |
dieser Menschen waren schon vor dem Wirbelsturm äußerst prekär“. | |
16 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://x.com/DeputeeEstelle/status/1868318452487958920 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
Rudolf Balmer | |
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