# taz.de -- Bremer Ausbildungsfonds kann kommen: Ausbilden wird bald belohnt | |
> Die Bremer Ausbildungsumlage ist verfassungsgemäß, sagt der | |
> Staatsgerichtshof. Wegen einer Sonderregel für Kirchen war die | |
> Entscheidung knapp. | |
Bild: Wer in Bremen ausbildet, soll finanziell entlastet werden: Die Ausbildung… | |
Bremen taz | Der Gerichtssaal des Bremer Staatsgerichtshofs ist zur | |
Urteilsverkündung voll. Schließlich sind auch alle vertreten, die vor | |
Gericht die [1][Ausbildungsumlage abschaffen wollten:] die Handels- und die | |
Handwerkskammer, die Rechtsanwalts- und Apothekerkammer, die Kammern von | |
Ärzt*innen und Zahnärzt*innen. | |
Vereint sahen sich diese Berufsstände in ihrer Ablehnung, unzumutbar werde | |
ihr Recht als Arbeitgeber eingeschränkt. Der Bremer Staatsgerichtshof hat | |
an diesem Montag gegen sie entschieden: Das | |
Ausbildungsunterstützungsfondsgesetz aus dem Jahr 2023 ist | |
verfassungsgerecht. Das bedeutet, dass ab nächstem Jahr alle Unternehmen | |
einen Beitrag zur Ausbildungsförderung zahlen müssen. | |
Die Empörung bei Wirtschaftsverbänden und Opposition ist groß: Von einem | |
„schweren Schlag für alle Unternehmen“ spricht die Bremer CDU, einen | |
„schwarzen Tag für unsere Wirtschaft“ sieht die FDP. Und die Handelskammer | |
kündigt weitere Einzelklagen von Mitgliedsunternehmen gegen das Gesetz an. | |
[2][Ziel des Gesetzes ist es,] die Zahl der Ausbildungsplätze und die | |
Qualität der Ausbildung zu erhöhen – und so etwas gegen den | |
Fachkräftemangel zu tun. Die „Zwangsabgabe“, wie die Handelskammer es | |
nennt, soll von allen Betrieben in Bremen abgeführt werden. Pauschal werden | |
von allen 0,27 Prozent der Arbeitnehmerbruttolohnsumme fällig – also 0,27 | |
Prozent der gesamten Lohnkosten eines Unternehmens über das Jahr. | |
Kleinstbetriebe sind ausgenommen. Das Geld wandert in einen Fonds. | |
## Wer ausbildet, profitiert von dem Gesetz | |
Wer ausbildet, bekommt aus dem Fonds Geld zurück: 2.250 Euro pro Azubi und | |
Jahr. Für den Ausbildungsbetrieb kann sich das netto durchaus lohnen. Das | |
Ressort der Bremer Arbeitssenatorin Claudia Schilling (SPD) [3][rechnet | |
vor], dass ein Unternehmen mit fünf Beschäftigten und einem Azubi zwar | |
rechnerisch 719 Euro zahlen müsste – durch die Verrechnung mit dem | |
Ausgleich aber 1.531 Euro ausgezahlt bekommt. | |
Der Ausgleich soll Ausbildungsbetriebe entlasten und es attraktiv machen, | |
Lehrstellen anzubieten – und auch zu besetzen. Mit dem restlichen Geld des | |
Fonds sollen zentral Maßnahmen finanziert werden, damit Ausbildungen nicht | |
nur begonnen, sondern auch erfolgreich beendet werden: Beispiele sind | |
Weiterbildungen für Ausbilder*innen, Sprachkurse für zugewanderte Azubis, | |
Nachhilfe in praktischer Form in den Betrieben oder eine zentrale | |
Einführungswoche für Auszubildende. | |
Vor allem zwei Argumente führen die Gegner aus der Wirtschaft an: Zum Einen | |
kritisieren sie die zusätzliche Bürokratie. Sie müssen künftig einmal | |
jährlich die Zahl der Auszubildenden und die Summe aller Jahresgehälter an | |
die Behörde melden. Zum anderen finden sie, eine Ausbildungsplatzabgabe | |
schiebe den Unternehmen Verantwortung für ein Problem zu, an dem sie keine | |
Schuld trügen. Schließlich seien die Betriebe händeringend auf der Suche | |
nach Azubis und würden gerne mehr ausbilden – es fehle allein an passenden | |
Kandidat*innen. | |
Das Argument wird vom Gericht in der Begründung aufgenommen – das Problem | |
anhand einiger Zahlen dann aber doch zum Teil den Unternehmen angelastet. | |
Laut Expertenkommission gebe es in Bremen ein seit Jahren rückläufiges | |
Ausbildungsplatzangebot. Auf 100 Suchende kämen nur 91 Plätze. Und 31 | |
Prozent (und damit noch etwas mehr als im Bundesschnitt) der Ausbildungen | |
brechen vorzeitig ab. | |
## Unternehmen tragen Verantwortung für Fachkräfte | |
Juristisch waren andere Argumente noch wichtiger: Das Land dürfe gar kein | |
Ausbildungsfondsgesetz verabschieden, hieß es, schließlich greife es damit | |
in die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ein. Das Gericht verwarf den | |
Einwand. Der Bund habe zwar die Möglichkeit, einen solchen Fonds | |
aufzulegen, aber er mache davon keinen Gebrauch. Das Land darf also tätig | |
werden. | |
Ein zweiter Einwand wirft dem Land vor, mit der Sonderabgabe gegen die | |
eigene Verfassung zu verstoßen. Die Handlungsfreiheit, die Bremen in | |
Artikel 3 allen zugesteht, werde durch die Ausbildungsplatzabgabe | |
unverhältnismäßig eingeschränkt. Es gäbe keine rechtlichen Voraussetzungen, | |
eine Sonderabgabe von Unternehmen zu erheben. | |
Das Gericht weist das zurück: Eine Abgabe mit lenkender Wirkung habe zwar | |
Auswirkungen auf den Schutzbereich der Handlungsfreiheit; aber sie sei | |
verhältnismäßig und gerechtfertigt. Einmal durch die überschaubare Höhe der | |
Abgabe, vor allem aber, weil der Sachzweck klar auf der Hand liege. Die | |
bessere Versorgung mit Fachkräften liege insbesondere im Interesse von | |
Unternehmen. Und durch die historisch gewachsene duale Ausbildung mit | |
praktischem Ausbildungsteil in den Betrieben hätten Unternehmen auch eine | |
besondere Verantwortung, den Fachkräftemangel zu beheben. | |
Das sogenannte Passungsproblem, das also Ausbildungsplätze und | |
Ausbildungswillige nicht so einfach zueinanderpassen, könne nicht allein | |
auf die Gesellschaft abgewälzt werden. Natürlich haben der demografische | |
Wandel, die Einwanderungspolitik und auch Entwicklungen in der | |
Bildungslandschaft mit dem Trend zu mehr Abitur Auswirkungen auf die Menge | |
an perfekt passenden Bewerber*innen. „Aber der Arbeitgeber muss seine | |
Aufgabe erfüllen, auch wenn sich Umstände ändern.“ | |
Ein Punkt hätte fast der Genickbruch sein können für das Gesetz: Gespalten | |
waren die Richter in der Antwort auf die Frage, wer eigentlich gemeint ist | |
vom Gesetz: Wer muss zahlen? Ist es eine homogene Gruppe von Arbeitgebern, | |
die alle gleich behandelt werden? Oder gibt es Ausnahmen, die gegen das | |
Gleichbehandlungsgesetz verstoßen würden? | |
Die umstrittene Stelle im Gesetzestext klingt harmlos: „Dieses Gesetz gilt | |
für im Land Bremen ansässige Unternehmen […].„ heißt es. Und kurz darauf: | |
„Für die Auslegung des Begriffs Unternehmen gelten die Bestimmungen des | |
Umsatzsteuergesetzes.“ Das Problem: Je nachdem, welchen Teil des §2 des | |
Umsatzsteuergesetzes man sich anschaut, könnten damit die Kirchen als große | |
Arbeitgeber rausfallen. | |
Die Mehrheit des Gerichts legt das Gesetz anders aus: „Der Gesetzgeber | |
beabsichtigte weitgehend umfassende Einbeziehung aller privaten | |
Arbeitgeber“, so der Vorsitzende Richter Peter Sperlich. Zwar habe der | |
Gesetzgeber das Gesetz nach Kritik der Katholischen und der Bremischen | |
Evangelischen Kirche etwas umformuliert, doch ausgenommen von der Umlage | |
werde damit nur der „ideelle Bereich“ der Kirche; als großer Arbeitgeber, | |
etwa in Kitas und Kliniken, müssten sie in den Fonds einzahlen. Es gebe | |
„keine Ansatzpunkte“ dafür, dass der Gesetzgeber Arbeitgeber aus der | |
Verantwortung entlassen sehen wollte. | |
Die knapp unterlegene Minderheit der Vizepräsidentin und zweier Richter, | |
einer von ihnen Stephan Haberland, sieht in der Definition von | |
„Unternehmen“ durch das Umsatzsteuergesetz einen klaren Verweis darauf, | |
dass Kirchen auch als große Kita- und Krankenhausträger ausgenommen wären – | |
und damit, so folgern sie, verstoße das Gesetz gegen | |
Gleichbehandlungsgrundsätze und sei verfassungswidrig. | |
„Die Aufgabe von Verfassungsgerichten ist es nur, die Verfassungsmäßigkeit | |
von Gesetzen zu prüfen. Nicht, Gesetze zu reparieren, damit sie konform | |
sind“, so Haberland im Gerichtssaal, nach der eigentlichen | |
Urteilsbegründung durch Richter Sperlich. „Das Gericht darf nicht Gesetze | |
neu bestimmen, wenn der Gesetzeswortlaut klar und eindeutig ist.“ Es gebe | |
keinen Hinweis darauf, dass einfach schlampig formuliert worden sei. | |
Wie auch immer das Gesetz gemeint war: Das Gericht hat mit seinem Urteil | |
klar formuliert, wie es ausgelegt werden muss, damit es verfassungsgemäß | |
ist. Wenn ab Januar die Daten der Unternehmen gesammelt werden, müssen sich | |
also auch die Kirchen beteiligen. | |
16 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ausbildungsabgabe-in-Bremen/!5920780 | |
[2] /Ausbildungsumlage-in-Bremen/!5909476 | |
[3] https://ausbildungsfonds-bremen.de/so-funktioniert-der-fonds/ | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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