# taz.de -- Die Wahrheit: Mauritiusfalken sind bedroht wie eine Briefmarke | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (207): Auch die | |
> Mauritiusfalken sterben aus. Dabei gibt es auch Mauritiustauben. | |
Bild: Gefiederte Bewohner eines ökologischen Kriegsgebiets: Mauritiusfalken | |
„Wir beäugten uns eine Zeitlang gegenseitig. Genaugenommen beobachtete er | |
alles, was sich bewegte, indem er ständig schnelle, aufmerksame Blicke nach | |
allen Richtungen warf,“ heißt es auf geo.de über die Sichtung eines | |
Mauritiusfalken, von dessen Art es 1974 nur noch vier frei lebende gab. Er | |
war damals der seltenste Vogel der Welt. | |
Auf Mauritius lebte auch noch eine flugunfähige Riesentaube, der Dodo, | |
dessen letzter Vertreter 1681 starb. Zwischen 1500 und 1800 verschwanden | |
weitere 48 Arten, überwiegend Vögel und Reptilien, die es nur auf den | |
Maskarenen (Mauritius, La Réunion und Rodrigues) gab. | |
Die BBC schickte den Biologen Mark Carwardine und den Satiriker Douglas | |
Adams mit einem Kamerateam auf eine „Reise zu den aussterbenden Tieren | |
unserer Erde“, 1991 erschien darüber ihr Bericht „Die letzten ihrer Art“. | |
Ihre Recherchen führten sie unter anderem nach Mauritius, einer Insel im | |
Indischen Ozean, wo sie auf einer Nachbarinsel die vom Aussterben bedrohten | |
Rodrigues-Flughunde filmen wollten. | |
Das BBC-Team wurde am Flughafen in Mauritius vom Ornithologen Richard Lewis | |
abgeholt. Er betrieb zusammen mit dem Biologen Carl Jones eine | |
Rettungsstation für bedrohte Tierarten, die es nur auf den Maskareneninseln | |
gibt, und überredete die Filmcrew, seinem „Aviarium“ nicht nur zwei Tage | |
und den „lächerlichen Flughunden“ auf Rodrigues 12 ganze Tage zu widmen, | |
sondern umgekehrt zu verfahren, denn in dem Zuchtzentrum leben nicht nur | |
vom Aussterben bedrohte Mauritiussittiche, Rosentauben und Mauritiusfalken, | |
sondern auch „ein ganzer Haufen“ Rodrigues-Flughunde. | |
## Hinter der Front | |
Adams und Carwardine wurde während ihres Aufenthalts auf der Insel klar: | |
„Ökologisch betrachtet ist Mauritius Kriegsgebiet“, und Carl Jones sowie | |
Richard Lewis und andere – wie Wendy Strahm, eine ebenso besessene | |
Botanikerin – „sind wie Ärzte, die unmittelbar hinter der Front arbeiten�… | |
Auf der Zuchtstation sahen sie als erstes die Voliere mit | |
Rodrigues-Flughunden, die „wie eine Reihe aufgehängter kleiner kaputter | |
Regenschirme“ aussahen. „Guckt sie euch später an, die sind langweilig“, | |
meinte Richard Lewis und führte sie zu einer Voliere, in dem ein | |
Mauritiusfalke namens „Pink“ saß, der „grundlegend aus der Art geschlage… | |
sei, wie er erklärte. Denn dieser Vogel halte sich für einen Menschen, weil | |
er von Carl Jones aufgezogen wurde und auf ihn geprägt sei. Ausgewildert | |
könne er nicht überleben, aber er hätte eine wichtige Funktion im Aviarium: | |
„Die Jungvögel, die wir hier ausbrüten, erreichen nicht gleichzeitig die | |
Geschlechtsreife. Wenn die Weibchen anfangen, aufreizend zu werden, sind | |
die Männchen noch nicht in der Lage, damit umzugehen. Die Weibchen sind | |
größer und angriffslustiger, also verprügeln sie die Männchen. Wenn das | |
passiert, sammeln wir Samen von Pink ein.“ | |
Und zwar mit einem Hut von Carl Jones: „Der Falke hat große Sehnsucht nach | |
ihm, er fliegt auf den Hut und ejakuliert in die Krempe. Der Samentropfen | |
wird eingesammelt und damit ein Weibchen befruchtet.“ | |
Abgesehen von Pinks Fehlprägung machten die beiden Aviariumsbetreiber | |
anfänglich auch noch andere Fehler bei der Aufzucht von Mauritiusfalken und | |
Rosentauben, die sie für viel Geld aufzogen und auswilderten: Die | |
Inselbewohner fingen sie alle oder schossen sie ab und aßen sie auf. „Wir | |
konnten es einfach nicht fassen.“ | |
Auch bei den Flughunden gab es Probleme, erzählte Lewis: „Die | |
Rodrigues-Flughunde müssen wir mit einer in Milch gelösten Mischung aus | |
Früchten und pulverisiertem Hundefutter ernähren. Die bananenhaltige Kost, | |
mit der wir sie anfangs gefüttert haben, war überhaupt nicht gut für sie. | |
Das einzige, was sie davon bekommen haben, waren nervöse Zuckungen.“ | |
Carwardine fragte Lewis, was er denn gegen diese Flughunde habe. „Ich habe | |
nichts gegen sie“, antwortete er, „sie sind großartig. Sie sind nur nicht | |
selten, das ist alles.“ Carwardine protestierte: „Sie sind die seltensten | |
Flughunde der …“ – „Jaaa, aber es gibt Hunderte davon.“ – „Hunder… | |
bedeutet, dass sie ernsthaft bedroht sind“, sagte Cawardine. Mag sein, | |
erwiderte Lewis, aber von den „freilebenden Mauritiusfalken“ gäbe es nur | |
noch fünfzehn. „Fünfzehn! Das ist selten.“ | |
Das BBC-Team filmte zuletzt auch auf der Insel Rodrigues, und zwar, wie die | |
„seltensten Flughunde der Welt“ am Abend ihre Schlafplätze im Wald | |
verließen, „um ihren nächtlichen Überfall auf die Obstbäume zu starten“. | |
Das war es dann auch schon. Dafür war das BBC-Team um die halbe Welt | |
geflogen. | |
## Zaun gegen Abholzung | |
Aber Wendy Strahm zeigte ihnen noch eine Pflanze – als die letzte ihrer Art | |
auf der Insel: eine wilde Kaffeesorte (Ramus mania). Sie galt als | |
ausgestorben – bis ein Schüler doch noch eine Pflanze am Straßenrand | |
entdeckte. Um ihre Abholzung zu verhindern, wurde sie schnell eingezäunt, | |
aber dadurch wurden die umliegenden Bewohner auf sie aufmerksam. Sie | |
stiegen über den Zaun und rissen kleine Äste, Blätter und Rindenstücke ab. | |
„Da der Baum etwas Besonderes war, wollte jeder ein Stück davon haben.“ Ihm | |
wurden plötzlich Heilkräfte angedichtet. Vor dem Zaun wurde deswegen noch | |
ein Stacheldrahtzaun errichtet. „Dann musste der erste Stacheldrahtzaun von | |
einem zweiten Stacheldrahtzaun eingezäunt werden und dann der zweite von | |
einem dritten, bis das Gehege sich über knappe 2.000 Quadratmeter | |
erstreckte. Schließlich wurde auch noch ein Wächter eingestellt, um die | |
Pflanze zu schützen.“ | |
Im Botanischen Garten von England, Kew Garden, versuchte man unterdes „mit | |
Ablegern dieser einen Pflanze zwei neue Pflanzen zu kultivieren“, um sie | |
auszuwildern. „Bis man damit Erfolg hat, wird dieses hinter Stacheldraht | |
verbarrikadierte Einzelexemplar der letzte Vertreter seiner Art auf Erden | |
sein.“ | |
Für eine andere Pflanze, die es nur auf Mauritius gab, kam jede Hilfe zu | |
spät: der Calvariabaum. Seine Samen müssen das Verdauungssystem eines | |
Vogels passiert haben, um zu keimen. Und der „dafür zuständige Vogel“, das | |
war laut dem Journalisten Terry Glavin (in: „Warten auf die Aras“ 2007) der | |
Dodo, sodass dessen Ende auch das Ende des Calvariabaums bedeutete. | |
Als Carl Jones 1979 auf die Insel kam und sich der Aufzucht von Rosentauben | |
und Mauritiusfalken widmete, rieten britische Umweltschützer wie Norman | |
Myers davon ab: „Die begrenzten Gelder, die dafür bereitgestellt waren, | |
sollte man besser anderswo einsetzen, um die vielen anderen gefährdeten | |
(aber noch häufigeren) Vogelarten zu retten“, berichtet der britische | |
Tierfilmproduzent Stephen Moss (in: „Wie zehn Vögel die Welt veränderten“ | |
2023). Von den Mauritiusfalken wurden bis heute laut Moss 333 Tiere | |
„aufgezogen und viele von ihnen wieder in ihren ursprünglichen Lebensräumen | |
angesiedelt“. | |
16 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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