# taz.de -- Flüchtlingsunterkunft Berlin-Tegel: Sparen an den Mitarbeitern | |
> In Berlins größter Notunterkunft verliert ein Viertel der Mitarbeiter den | |
> Job. Nun dürfen sie sich erneut bewerben – aber zu schlechteren | |
> Bedingungen. | |
Bild: In der Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens … | |
Überall muss gespart werden – aber die teure Notunterkunft für Geflüchtete | |
in Tegel, das so genannte Ankunftszentrum, soll mindestens bis Ende 2025 | |
bleiben. Und womöglich soll das Großlager mit aktuell Platz für 7.000 | |
Menschen noch ausgebaut werden. Sparen will man in der Notunterkunft, die | |
[1][das Land jeden Monat rund 35 Millionen Euro kostet], dennoch – auf | |
Kosten der Beschäftigten, befürchtet der Betriebsrat der DRK Hilfe für | |
Menschen gGmbH (HfM). | |
Die HfM ist eine 100-prozentige Tochter des Kreisverbands Zentrum des | |
Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Sie ist für drei Hallen-Komplexe, den | |
Spätankommenden-Bereich, „Check in“, Poststelle und Sanitätsbereich | |
zuständig und stellt knapp 400 von rund 1.200 Beschäftigten in Tegel. | |
Anfang November wurde den HfM-Mitarbeitern mitgeteilt, die meisten würde im | |
neuen Jahr nicht mehr gebraucht, weil die HfM einen Großteil des Auftrags | |
verliere. | |
Zwei Wochen später die nächste Mitteilung: Alle HfM-Mitarbeiter würden | |
entlassen, weil die HfM die Arbeit in Tegel komplett einstelle. Man werde | |
sich jedoch bemühen, so die Geschäftsführung in einem Brief an die | |
Mitarbeiter, der der taz vorliegt, möglichst vielen eine „neue | |
Beschäftigung“ bei den anderen Gewerken zu ermöglichen, die die Aufgaben | |
der HfM übernehmen würden. | |
Betriebsrat Reinhard Zoffel nennt den Vorgang eine „Sauerei“: | |
Mitarbeitenden, die teils seit zweieinhalb Jahren gute Arbeit machten, | |
werde ohne nachvollziehbaren Grund gekündigt. Die Ankündigung, dass sie | |
sich auf ihre Jobs erneut bewerben „dürften“, sei an Zynismus nicht zu | |
überbieten, da sie so um ihre Rechte gebracht würden. „Sie sind wieder in | |
der Probezeit, bekommen eine neue Befristung und vermutlich auch weniger | |
Geld“, sagt er. Schon in den letzten Monaten sei es Praxis gewesen, dass | |
neu eingestellte Mitarbeiter für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt | |
würden. | |
## Viele sind selbst geflüchtet | |
Betriebsratsvorsitzender Farid Ullrich ergänzt, zudem seien viele | |
HfM-Mitarbeitende selbst Geflüchtete, bei einigen hänge sogar der | |
Aufenthaltstitel am Job – entsprechend groß sei ihre Angst, wie es nun für | |
sie weitergeht. In einem offenen Brief an Sozialsenatorin Cancel Kiziltepe | |
(SPD), der der taz vorliegt, fordert der Betriebsrat diese zum Eingreifen | |
auf. Dies sei „ein rechtlich höchst fragwürdiger ‚Taschenspielertrick‘ … | |
verdienten Arbeitnehmenden ihre Rechte vorzuenthalten“. | |
Dass es tatsächlich darum geht, Kosten zu sparen, hat der DRK-Landesverband | |
indirekt bestätigt. Seine Projektsteuerungsgesellschaft DRK Sozialwerk | |
Berlin gGmbH (SWB) hat die Projektleitung in Tegel inne, betreibt die | |
Notunterkunft aber zusammen mit anderen Wohlfahrtsverbänden und (bisher) | |
vier DRK-Kreisverbänden. In einer [2][Presseerklärung vom 25. November] | |
schreibt der Landesverband, man sei gehalten, „regelmäßig die Strukturen | |
und Prozesse im Ankunftszentrum Tegel zu evaluieren und ggf. neu zu | |
justieren, um die Kosten im vorgegebenen Rahmen zu halten“. | |
Im Zuge einer „Neuorganisation einzelner Betriebsabläufe“ habe sich dann | |
die HfM entschieden, in Tegel aufzuhören. Im Klartext: Man hat der HfM | |
Aufgaben entzogen, um Kosten zu sparen, die hat sich daraufhin | |
zurückgezogen. Da die Aufgaben aber bleiben, fragt sich, wie andere | |
Auftragnehmer dabei Geld sparen können. | |
Der Landesverband kann die Sorge des Betriebsrats nicht zerstreuen, dass | |
bei den Mitarbeitern gespart wird, indem sie schlechter wegkommen als | |
bisher, wenn sie erneut eingestellt werden. Auf Anfrage der taz erklärt ein | |
Sprecher, zur Entlohnung könne man nichts sagen, dies sei Sache der | |
„Kooperationspartner“. Auch der Geschäftsführer der HfM, Jacob Molte, | |
erklärt, man bemühe sich, möglichst viele Mitarbeiter bei den anderen | |
Organisationen unterzubringen, aber die Bedingungen „obliegen den anderen“. | |
## Projektleitung galt als unbequem | |
Doch es ging nicht nur um Kostenersparnis, vermuten die Betriebsräte. Die | |
HfM habe bei der Projektleitung schon länger als unbequem gegolten, „weil | |
wir immer wieder Forderungen gestellt haben, sei es zum Mitarbeiterschutz | |
oder zur Verbesserung der Situation für die Geflüchteten“, sagt Ullrich. | |
Auch die Gründung des HfM-Betriebsrats am 16. Oktober sei auf Widerstand | |
gestoßen, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Eine kleine Gruppe aus dem | |
mittleren Management habe dagegen agitiert, unter anderem habe eine | |
Mitarbeiterin aus dieser Gruppe gesagt: „Wenn wir einen Betriebsrat | |
gründen, dann fliegen wir alle raus!“ | |
Zudem habe die Projektleitung vom SWB verboten, dass die | |
Betriebsversammlung zur Wahl auf dem Gelände in Tegel stattfand. Der | |
Sprecher des Landesverbands erklärt das so: Die einzigen von der Größe her | |
passenden Räume wären die Pausenräume gewesen, die für Mitarbeiter aller | |
Gewerke zur Verfügung stehen müssten. Stimmt nicht, erwidert Zoffel. „Es | |
gab eine freie Halle, die wir hätten verwenden können.“ | |
Unbequem waren die Betriebsräte, die in Tegel als Schichtleiter arbeiten, | |
nach eigener Aussage schon länger. Es gebe so viele Missstände in Tegel, | |
sagt Zoffel, sei es mit der Heizung, den Duschanlagen, der Belüftung, der | |
Reinigung. „Wir geben alles nach oben weiter, haken immer wieder nach, | |
machen Vorschläge für Verbesserungen – aber meist passiert nichts oder es | |
dauert sehr, sehr lange.“ | |
## Unsicherheit nimmt zu | |
Zur Illustration, wie mit Kritik in Tegel umgegangen werde, berichtet | |
Zoffel Folgendes: „Wir hatten ein Bettwanzenproblem, und als über Wochen | |
nichts passiert ist, haben Mitarbeiter einen Beschwerdebrief an die | |
Projektleitung und das LAF geschrieben und Schutzkleidung gefordert.“ | |
Daraufhin habe die Leitung versucht herauszufinden, wer die Mitarbeiter | |
waren, die den Brief unterschrieben hatten. Ullrich: „Für die Leitung waren | |
nicht die Wanzen das dringlichste Problem, sondern die Mitarbeiter, die | |
sich darüber beschwerten.“ | |
Der Sprecher des DRK-Landesverbands stellt die Sache so dar: Zwar habe die | |
Betriebsleitung von Tegel mit den Autoren des Briefes reden wollen. Dabei | |
sei es jedoch nicht „um Angstmache oder Einschüchterung“ gegangen, sondern | |
um „gezielte Aufklärung“, da diese Mitarbeiter „eine erhöhte Besorgnis … | |
die privaten Folgen des Schädlingsbefalls hatten“. | |
Doch selbst wenn dies die Absicht der Betriebsleitung war: Bei den | |
Beschäftigten kam es laut Betriebsrat anders an. Die Unsicherheit bei den | |
Mitarbeitern, was man sagen oder tun darf, habe zugenommen. Nun verliert | |
ein Viertel der Belegschaft den Job – wer von ihnen weiterbeschäftigt wird | |
und zu welchen Bedingungen, ist unklar. Zoffel: „Das Klima der Angst | |
verstärkt sich.“ | |
9 Dec 2024 | |
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[2] https://www.drk-berlin.de/aktuelles/presse-service/meldung/berliner-rotes-k… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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